Ein Augiasstall voll Arbeit – Mein Fazit aus unserer Arbeit zur Enquêtekommission Internet und digitale Gesellschaft des 18. Deutschen Bundestags

Drei Jahre lang circa zweimal die Woche von Bielefeld nach Berlin. So zeitaufwendig hatte sich bei Digitalcourage niemand die Arbeit in der Enquêtekommission Internet und digitale Gesellschaft vorgestellt. Aber es hat sich gelohnt.
Bild
Ein großes Gebäude, teils beleuchtet, bei Nacht.

Ein Augiasstall voll Arbeit

Frage: Welche Ihrer Erwartungen an die Arbeit der Kommission haben sich erfüllt, welche nicht?

Eigentlich schreibt man an dieser Stelle: „Es war eine große Ehre für mich, bei dieser Enquête-Kommission mitwirken zu können.“ Ja, das war es auch, aber so what?! Eigentlich war es ein Augiasstall voll Arbeit. Die Kraft von 17 Abgeordneten, 17 Sachverständigen und einem 18. Sachverständigen, der Öffentlichkeit, hat kaum ausgereicht, um den Stall gründlich auszufegen. Die gute Nachricht: Ein Großteil des „Mists“ – also der zu beantwortenden Fragen – ist heraus. Und es gibt noch eine gute Nachricht: Diese Enquête hat im Bundestag bereits während ihrer Konsolidierungsphase eine Menge bewegt.

Text-Tetris

Ich hätte mir allerdings noch mehr Informations- und Meinungsaustausch gewünscht. Stattdessen spielten wir oft „Text-Tetris“ und schoben Textbausteine hin und zurück. Das lag daran, dass wir zwölf Berichte produzieren mussten: Wir hatten einfach viel zu viel Stoff für eine einzige Enquête – mit unseren Fragestellungen wären auch acht Kommissionen gut ausgelastet gewesen. Dabei begannen wir mit den härtesten Themen, der Netzneutralität, dem Urheberrecht und dem Datenschutz. Am Ende konnten wir fast nur den Ist-Zustand beschreiben – und selbst das war häufig ein parteipolitisches Desaster.

Wir begannen mit den härtesten Themen, der Netzneutralität, dem Urheberrecht und dem Datenschutz

Dabei gab es oft Überraschendes zu erleben: Einerseits stritten sich selbst in nicht-öffentlichen Sitzungen die verschiedenen Parteivertreter, andererseits gab es erstaunliche Koalitionen zwischen den Fronten und unerwartet viel Konsens.

Unser Bericht ist ein Stückwerk auf hohem Niveau. Er hat viele fortschrittliche Gedankenansätze, er bietet Stoff für viel wissenschaftliche Forschung, zum Beispiel zu Immaterialgütern und elektronischem Bargeld. Ganz sicher gilt: Es liegen recht viele Nuggets im Mist. Wer sich nicht scheut, kann reich werden beim Durchsieben der Texte.

Frage: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Es war mir wichtig, weite Teile der Netzbewegung mit in die Kommission zu nehmen. So freute ich mich, dass die Politiker und Referentinnen, die den Einsetzungsantrag geschrieben hatten, sich eine (informelle) 18. Sachverständige ausgedacht hatten. Diese virtuelle Person sollte die Bürgerinnen und Bürger repräsentieren und dafür Sorge tragen, dass die „Öffentlichkeit in besonderem Maße“ in die Enquêtearbeit eingebunden werden sollte.

Um mitarbeiten zu können, brauchte es auch Informationen. Deshalb schlug ich vor, dass sich die Enquête eines der Instrumente der „Liquid Democracy“ bedienen solle. Ich machte mich für das Programm „Liquid Feedback“ stark und es gab sehr breite Zustimmung. Man entschied sich für „Adhocracy“. Es gab allerdings Widerstand aus dem Präsidium des Bundestages. Nach dessen Verständnis – so interpretiere ich das – ist ein Mandat eben gerade vom Willen der Wählenden unabhängig: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Artikel 38 GG).

„Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Artikel 38 GG)

Wir holten uns also den Sachverstand, der sich manchmal auch als Meinung entpuppte, und entschieden dann nach demokratisch legitimierten Prinzipien, welche Ratschläge und Texte wir mit in den Bericht nahmen. Dafür mussten wir allerdings zuvor Präsidium und Ältestenrat „hacken“. Auch dies gelang interessanterweise unter anderem mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der SPD – und mithilfe des Liquid Democracy e. V., der das System – außerhalb des Bundestags – auf seinen Servern installierte und betrieb.

Sachverständige sind unabhängig von den Parteien. Dennoch wird von ihnen erwartet, dass sie sich bei Abstimmungen an die Fraktion gebunden fühlen. Sie sind direkt den Fraktionen zugeordnet und von ihnen abhängig. Das beginnt schon damit, dass Sachverständige im Bundestag nicht das Recht haben, sich Papiere auszudrucken. Das muss über die Fraktion geschehen. Auch viele interne Infos bekommen die Sachverständigen nur über die Fraktion.

Starke Bindung unterschätzt

Zu Beginn meiner Tätigkeit für die Kommission hatte ich diese starke Bindung unterschätzt. Ich hätte mir erhofft, dass die Fraktionen eine geringere Rolle spielen, wenn wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir uns die digitale Zukunft wünschen.

Schade ist: Sachverständige können auch keine Vertretung schicken. Zudem wird es einem nicht gerade leicht gemacht, eigene Mitarbeiter für die Arbeit einzusetzen.

Da sich der Fraktionszwang stärker auswirkte, als ich es mir gewünscht hätte, geriet ich in eine Rolle, die so zuvor nicht abzusehen war. Ich wurde bei vielen Abstimmungen zum Zünglein an der Waage. Diese Position zeichnete sich dadurch aus, dass man es niemandem recht machen konnte. Doch sie konnte auch sehr wertvoll sein, wenn man die Möglichkeit, die Mehrheit umzudrehen, nicht zu ausgiebig auskostete. Leider bekam ich für diesen Balanceakt nur wenig Unterstützung von der Opposition. Stattdessen wurde versucht, mich öffentlich unter Druck zu setzen. Wie viel ich im Vorfeld schon aus Texten heraus verhandelt hatte, war nach außen nicht mehr erkennbar, wenn ich (im Gegenzug) meine Stimme für einen Text gab, der vielen nicht weit genug ging.

Insgesamt kann ich feststellen: Jetzt, wo der Bericht fertig ist, habe ich genügend Erfahrung gesammelt, um zu wissen, was wir alles von Anfang an hätten anders machen sollen.

Frage: Was sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse der Enquête?

Die vielen kleinen Revolutionen, die wir in den Bundestag getragen haben, waren für mich persönlich der größte Erfolg. Wir haben in der Kommission viele „neue“ Instrumente ausprobiert, um die Kommunikation und Textarbeit zu erleichtern.

Wir haben neue Arbeits- und Beteiligungsformen in den Bundestag gebracht und diese erstmals erprobt. Wir haben mit Hilfe der Beteiligungsplattform Adhocracy erste vorsichtige Schritte in Richtung flüssiger Demokratie gemacht.

Ich hatte zudem extern Mailinglisten eingerichtet, die allerdings am Spamschutz des Bundestags scheiterten. Wir nutzten – argwöhnisch beäugt – Etherpads zum kollaborativen Schreiben, weigerten uns selbstverständlich, Facebook oder Xing als Kommunikationsplattformen zu verwenden, nutzten Doodles zur Terminfindung, zwitscherten mit unterschiedlichsten Absichten auf Microbloggingplattformen, und ich lernte nach und nach, wie so ein Bundestag funktioniert. Dabei vermisste ich nach wie vor Zeit für Dialoge statt formeller Sitzungen mit „Text-Tetris“. Soviel aber kann ich sagen: Diese Revolution der Bürgerbeteiligung im Bundestag wird im Nachgang noch weitere Auswirkungen haben.

Ich hatte den Eindruck, dass in den vielen Gesprächen in und um die Sitzungen herum viel bei den Abgeordneten ankam. Viel Wissen über die „Netzwelt“ konnte tief sickern und wird auf diesem Weg auch die einzelnen Parteien erreichen. Doch auch wir Sachverständigen haben viel gelernt und können Wissen über politische Abläufe in unsere Organisationen tragen.

Die wichtigsten thematischen Ergebnisse dieser Enquête waren für mich die Handlungsempfehlung zur Einführung eines anonymen digitalen Bargeldes und die Empfehlung, einen ständigen Ausschuss zum Thema „Netzpolitik“ einzurichten. Ebenso freue ich mich über die Eindeutigkeit, mit der sich die Kommission für die Förderung von Freier Software ausspricht.

Als persönlichen Erfolg sehe ich, dass es mir – entgegen aller Prophezeiungen – gelungen ist, zum äußerst umstrittenen „geistigen Eigentum“ einen Konsenstext herbeizuführen, der betont, wie ungünstig dieser Begriff ist.

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und des Kommissionssekretariats gebührt Dank

Viel Dank gebührt den Referentinnen und Referenten aller Fraktionen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Enquête-Sekretariat, die geradezu übermenschliches geleistet haben, um die vielen „Tetris-Steinchen“ zu einem Gesamtbericht von mehr als 2 000 Seiten werden zu lassen. Und ich danke allen, die mir und uns zugearbeitet haben. Abschließend möchte ich der Koalition und den Sachverständigen danken. Sie haben mich trotz meiner oft abweichenden Positionen und meines Abstimmverhaltens – manchmal auch zähneknirschend – gestützt und bestärkt.

Soviel scheint klar: Der auch von mir unterstützte Vorschlag zur Bildung eines ständigen Ausschusses zur vernetzten Gesellschaft wird ein ständiger Augiasstall sein, der ausgemistet und gepflegt sein will.

Die Fragen stellte das Sekretariat der Enquetekommission


padeluun, Gründungsvorstand von Digitalcourage, war von 2010 bis 2013 sachverständiges Mitglied der 'Enquêtekommission Internet und digitale Gesellschaft des 18. Deutschen Bundestags'. Dieser Beitrag hier ist zuerst im Abschlußbericht der Enquête-Kommission erschienen.