Internet of too many things

In letzter Konsequenz bedeutet das „Internet der Dinge“ den völligen Verlust unserer Privatsphäre und die Steuerung unserer Gedanken. Wir können eingreifen und es unseren Werten entsprechend formen. Aber wie?
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Collage: Ein Gemälde von Raffael (in schwarz-weiß). Darüber eine Grafik eines Gehirns im Querschnitt (rot).

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Aristoteles, Sokrates, Platon? Die großen Denker der Antike verblassen in der öffentlichen Aufmerksamkeit gegenüber einer neuen Philosophie, die sich im digitalen Zeitalter zu ungeahnten Höhen aufschwingt. Das Zauberwort heißt „smart“. Hinter diesem Label verbirgt sich mehr als nur intelligente Technik. In letzter Konsequenz bedeutet „smart“ den völligen Verlust unserer Privatsphäre und die Steuerung unserer Gedanken – wenn wir nicht rechtzeitig eingreifen. Bleibt nur noch die Frage, wie wir handeln können.

Inhalt

1. Was ist das „Internet der Dinge“?
2. Wo stehen wir aktuell?
3. Welche Daten werden gesammelt?
4. Wo liegen die Gefahren?
5. Fazit
Weiterführende Links

1. Was ist das Internet der Dinge?

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Internet of Things (IoT), Industrie 4.0, smarte Geräte, und Vernetzung der virtuellen mit der physischen Welt. Immer wieder hört und liest man diese zukunftsbestimmenden Begriffe.
Eine allgemeine Definition gibt es nicht, doch geht es hauptsächlich darum, Geräte des Alltags mit dem Internet und untereinander zu verbinden. Einige „smarte“ Geräte sind nützlich oder komfortabel. Viele Anwendungen sind bislang aber lediglich Spielereien, mit denen der Konsum angekurbelt werden soll. Leider bietet das „Internet der Dinge“ auch enorme Überwachungsmöglichkeiten und Sicherheitsrisiken. Das sollte wissen, wer die Wohnungstür, die Heizung oder das Auto von unterwegs steuern möchte.

Nehmen uns Geräte das Denken ab?

Die Vernetzung aller Gegenstände soll große Vorteile mit sich bringen: Der großflächige Einsatz jeglicher Art von Sensorik erfasst alle möglichen Umweltbedingungen. Diese werden an andere Maschinen gesendet (Machine to machine oder M2M - Communication) und von diesen verarbeitet. Mittlerweile muss smarte Technik nicht mehr komplett von Menschen programmiert werden, sondern ist selbst lernfähig und damit in der Lage, sich selbst weiterzuentwickeln.
Das klassische Beispiel ist der „intelligente“ Kühlschrank. Er erkennt mittels Kamera und Drucksensoren, wenn die Milch zur Neige geht, und schickt eine Bestellung an den nächsten Supermarkt. Dieser empfängt die Bestellung und liefert sie per Drohne an die Kundin. Auch die Bezahlung läuft über das Netz. So ist immer genügend Milch im Kühlschrank – scheinbar ohne jedes menschliche Zutun. Aber auch ohne die Freiheit, eine andere Milchsorte zu wählen als bisher.

Leerer Kühlschrank

Arbeit für Roboter, Freizeit für uns?

Durch die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation wird das Leben für einige Menschen erheblich einfacher. Prozesse sollen komplett automatisiert, und dadurch auch Kosten gesenkt werden. Das Leben des Menschen soll einfacher, billiger, sicherer und bequemer werden. Allerdings werden global betrachtet – wegen hoher Preise und fehlender Infrastruktur – nur wenige Menschen smarte Geräte für sich arbeiten lassen können. Darum muss das Ziel darin bestehen, das Leben aller Menschen auf der Welt durch den Einsatz von Technologie zu verbessern. Problematisch ist, dass hinter der klugen Technik eine Industrie agiert, für die Gesundheit- und Umweltschutz sowie Arbeitsrechte störende Kosten sind. Des Weiteren kann eine zunehmende Automatisierung den Arbeitsmarkt – vor allem für ungelernte Arbeitskräfte – stark verändern. Darum ist es wichtig, dass bei der Entwicklung von smarter Technik überlegt wird, welchen Nutzen sie bringt und welche sozialen und ökologischen Kosten sie verursacht.

Auf die Automatisierung der Produktion und die Erfindung selbstfahrender Fahrzeuge folgt nun die Automatisierung der Gesellschaft. (Spektrum Digital-Manifest S. 7)

Technische Anforderungen an smarte Geräte

Geräte, die im „Internet der Dinge“ eingesetzt werden, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllen, damit die Vernetzung funktioniert und mehr Aufwand einspart als erzeugt.
Zuerst ist wichtig, dass alle Geräte eindeutig identifizierbar sind. Am einfachsten und kostengünstigsten würde das wohl mit RFID-Chips funktionieren, die zu diesem Zweck auch bereits in der Industrie eingesetzt werden.

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Entscheidend ist auch eine lange Lebensdauer aller Geräte und Sensoren. Der Aufwand, das „Internet der Dinge“ aufrechtzuerhalten, wenn jedes Gerät alle zwei bis fünf Jahre kaputtgehen würde, wäre bei der angestrebten Anzahl von vernetzten Gegenständen immens. Vor allem auch deshalb, weil eine Vielzahl der Geräte geographisch weit voneinander entfernt liegen und oft nicht klar ist, wer sich um deren Wartung kümmert.
Von großer Bedeutung ist der Energieverbrauch der einzelnen Komponenten, da die Energieeinsparung ein Hauptziel des „Internets der Dinge“ ist. Ein schwer umsetzbares Ziel, denn viele Sensoren müssen, um ihren Zweck zu erfüllen, rund um die Uhr laufen. Das lässt die Stromrechnung selbst bei geringer Leistung schnell anwachsen. Einer Studie der Internationalen Energieagentur zufolge, verbrauchen die Geräte aus dem Bereich des „Internet der Dinge“ mehr Energie als sie einsparen.
Damit das „Internet der Dinge“ reibungslos funktioniert, bedarf es der Lösung eines weiteren Problems. Um M2M-Communication zu betreiben, braucht man eine Sprache, die alle Geräte verstehen, und vor allem einheitliche Schnittstellen. Zur besseren Standardisierung haben sich schon einige große Firmen zu Konsortien zusammengeschlossen. Sind diese Schnittstellen und Übertragungsprotokolle aber nicht quelloffen, kann es schnell zur Monopolbildung einzelner Unternehmen kommen. Das heißt, bei der zukünftigen Entwicklung des „Internets der Dinge“ muss darauf geachtet werden, dass die Geräte ökologisch vertretbar und sozial diskriminierungsfrei gestaltet werden.

Internet und Privatsphäre – unvereinbar?

2. Wo stehen wir aktuell?

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Inzwischen gibt es nahezu jedes Gerät mit einem vorangestellten „smart“. Oft bedeutet das nur, dass es eine integrierte Schnittstelle zur Datenübertragung hat. Viel intelligenter werden die Geräte dadurch nicht. Ob Geräte intelligent zusammenarbeiten können, hängt maßgeblich davon ab, wie viele Leute „smarte“ Geräte benutzen. Denn je mehr solcher Sensoren und Maschinen miteinander vernetzt sind, umso mehr Daten lassen sich generieren, untereinander austauschen und schließlich zu unterschiedlichen Zwecken verarbeiten. Der Einzug der „smart devices“ in den Haushalt der Durchschnittsbürger.innen findet nur langsam statt, da die Geräte teuer sind und – vor allem in Deutschland – eine große Skepsis gegenüber der „totalen Vernetzung“ besteht.

Die Industrie geht voran

Industrie und Unternehmen setzen, meist unter dem Namen „Industrie 4.0“ oder „Industrial Internet of Things (IIoT)“, schon mehr Vertrauen in das „Internet der Dinge“ und treiben die Entwicklungen auf diesem Gebiet voran. Die Produktion soll durch „Effizienzsteigerung, Kostensenkungen und besserer Ressourcennutzung“ optimiert werden. Damit M2M-Kommunikation auch zwischen unterschiedlichen Maschinenarten stattfinden kann, sind Vereinheitlichungen unabdingbar.
Die Vollautomatisierung soll in der Industrie aber immer nur so weit gehen, dass manuelle Eingriffe zu jedem Zeitpunkt möglich sind, denn es bestehen auch Risiken. Die Anforderungen an die IT-Sicherheit wachsen durch das IIoT, da die Manipulationsmöglichkeiten extrem steigen. Für Unternehmen ist das meist jedoch unkritischer als für den Normalverbraucher, da ihre Infrastruktur oft auf einen eingeschränkten Nutzerbereich ausgelegt ist und so von Anfang an weniger Angriffsfläche von außerhalb bietet.

3. Welche Daten werden gesammelt?

Alle. Das klingt sehr pauschal, ist aber wahr, wenn man das Ziel des „Internets der Dinge“ bedenkt. Die Vernetzung aller möglichen Geräte und Sensoren hat zur Folge, dass alle verfügbaren Daten gesammelt und zusammengeführt werden können. Dies ist, neben möglichen Hacks, auch der höchste Risikofaktor des „Internets der Dinge“.

4. Wo liegen die Gefahren?

Da so viele Daten wie möglich gesammelt und verarbeitet werden sollen, hat das „Internet der Dinge“ ein riesiges Potential. Die große Menge an Daten sorgt allerdings auch dafür, dass viele Personen, Unternehmen, Regierungen et cetera Interesse an diesen haben. Außerdem ermöglichen die vielen Schnittstellen ein viel einfacheres Abfangen der Daten. Die Motivation, an diese Daten zu gelangen, ist also deutlich höher als sie es im „normalen“ Internet ohnehin schon ist, und der Aufwand, um an diese Daten zu gelangen, ist erheblich niedriger.

Ein Damoklesschwert über unserer Privatsphäre

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Noch ist das „Internet der Dinge“ relativ sicher, denn noch ist es nicht in jedem Zuhause, Auto und Krankenhaus. Das kann sich allerdings jederzeit ändern – und vor allem mit einer Zunahme der Nutzer.innen wird das früher oder später auch passieren. Immer wieder hört man davon, dass einzelne Geräte gehackt wurden, die eigentlich dazu gedacht waren, den „Privatnutzern eine höhere Lebensqualität sowie mehr Komfort, Sicherheit und Spaß“ zu bieten. An den Hacks wird oft kritisiert, dass sie unter Laborbedingungen zustande gekommen seien. Das mag stimmen, aber allein die Aussicht, was schon mit geringem Aufwand bei diesen Geräten zu erreichen ist, schockiert. Zudem ist kaum zu erwarten, dass sich die Sicherheitsvorkehrungen maßgeblich verbessern. Wenn alle Geräte miteinander vernetzt sind, genügt eventuell ein Spielzeug mit WLAN-Anbindung ohne Passwort, um Fremden Zugriff auf alle anderen Geräte zu verschaffen.

Die beunruhigendsten Hacks von „smarten“ Geräten:
  • Ein Kühlschrank als Spam-Bot, der massenhaft Spams im Internet verschickt hat, obwohl er eigentlich nur Bestellungen beim Supermarkt tätigen sollte.
  • Wahlmaschinen, die Wahlen manipulieren können und so unsere Demokratie gefährden.
  • Generatoren, die durch simple Änderung von wenigen Parametern zur Explosion gebracht werden können.
  • Medizinische Geräte, deren Dosierung von Medikamenten manipuliert werden kann – bis hin zu einer tödlichen Dosis.
  • Autos, die durch Hacks ferngesteuert werden können.
  • Scharfschützengewehre mit Zielcomputer, welche sich per Fernsteuerung umprogrammieren lassen und so ein anderes Ziel treffen als geplant.

Personalisierte Information baut eine »filter bubble« um uns herum, eine Art digitales Gedankengefängnis. (Spektrum Digital-Manifest S. 15)

Doch die Risiken des „Internets der Dinge“ verbleiben nicht auf der technischen Ebene. Wenn zunehmend Maschinen unser Leben bestimmen und nicht mehr uns, sondern nur noch andere Maschinen in Entscheidungen mit einbeziehen, verlieren wir unsere Mündigkeit. Wir leben in einer „Blase“, bekommen nur noch von Algorithmen vorgeschlagene Werbung, Suchergebnisse und Nachrichten. Alle Informationen werden auf mich individuell zurecht geschnitten, ich fühle mich dadurch bestätigt und bekomme immer weniger von dem mit, was eigentlich passiert. Ich muss mir keine Gedanken mehr über etwas machen, sondern bekomme diese Gedanken schon „vorgedacht“ aufgetischt und muss sie nur noch schlucken. Wer trägt die Verantwortung für das Handeln von Maschinen, wenn sie vollständig autonom funktionieren? Und wer trägt die Verantwortung für das Handeln von Menschen, wenn diese ihre Autonomie verlieren?

5. Fazit

Es wird Zeit, die Fernbedienung für das eigene Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. (Spektrum Digital-Manifest S. 32)

Autonomer Mensch oder Roboter?

Das „Internet der Dinge“ verführt dazu, nicht mehr über Sicherheit und Privatsphäre nachzudenken. Das Marketing kann uns blenden und darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter einem innovativ klingenden Namen kein echter Nutzen verbirgt. Das „Internet der Dinge“ kann uns das letzte Stückchen unserer Privatsphäre nehmen und dabei gleichzeitig unsere Sicherheit massiv gefährden.
Der Einzelne darf nicht von Maschinen bevormundet werden, sondern muss stets selbst die Macht über seine Daten und Gedanken haben. Um das auch in Zukunft zu gewährleisten, muss technische Entwicklung an unseren Wertesystemen ausgerichtet sein. Andernfalls unterhöhlt sie das Fundament der Demokratie, weil Menschen steuerbar werden.

Suchalgorithmen und Empfehlungssysteme lassen sich beeinflussen. Unternehmen können bestimmte Wortkombinationen ersteigern, die in den Ergebnislisten bevorzugt angezeigt werden. Regierungen haben wahrscheinlich Zugriff auf eigene Steuerungsparameter. Bei Wahlen wäre es daher im Prinzip möglich, sich durch Nudging Stimmen von Unentschlossenen zu sichern – eine nur schwer nachweisbare Manipulation. (Spektrum Digital-Manifest S. 10)

Digitalcourage wirkt. Wirken Sie mit!

Wir alle müssen uns gegen technische Innovationen entscheiden, wenn diese die friedliche und selbstbestimmte Koexistenz der Menschen gefährden. Doch das heißt nicht, dass wir technischen Fortschritt generell ablehnen sollten. Auch technische Innovationen können in Einklang mit unseren Wertesystemen stehen und diese sogar unterstützen. Jede Anwendung lässt sich auch datenschutzfreundlich umsetzen und ist dabei immer noch effektiv und hilfreich. Auf diese Weise kann das „Internet der Dinge“ die Gesundheit verbessern, Unfälle verhindern oder den Energieverbrauch senken, ohne dass Menschen mit ihrer Privatsphäre bezahlen müssen.

Weiterführende Links


Bilder
Empty Fridge: Luca Florio auf flickr CC BY-SA 2.0
The Internet and Privacy: Bernard Goldbach auf flickr CC BY 2.0
Autonomy, Mastery, Purpose: Paul Downey auf flickr CC BY 2.0