Smart Home – Der ferngesteuerte „goldene Käfig“

Mit smarter Technologie wollen Unternehmen uns ganz privat zu Hause „kennenlernen“. Uns selbst gibt die smarte Technik das Gefühl, die eigenen vier Wände ständig unter Kontrolle zu haben. Aber ist das so?

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Home smart home – home sweet home? Zu Hause fühlen wir uns da, wo wir sein können, wie wir wirklich sind. Darum wollen uns Unternehmen gerade hier gern ganz genau unter die Lupe nehmen. Mit Smart Homes gaben sie dazu eine hervorragende Gelegenheit und verkaufen uns gleichzeitig das Gefühl, modern und unabhängig zu sein. Die Frage ist: Haben wir die smarte Haustechnik unter Kontrolle oder ist es umgekehrt?

Inhalt

1. Was ist ein Smart Home?
2. Wo stehen wir aktuell?
3. Welche Daten werden gesammelt?
4. Wo liegen die Gefahren?
5. Brauchen wir „smart“ wirklich?
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1. Was ist ein Smart Home?

Wenn Ihre Küche Ihr Lieblingsessen kocht und Sie Ihr Spiegel daran erinnert, Ihre Medikamente einzunehmen, dann leben Sie vermutlich in einem Smart Home.

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Was ist „smart“? Häufig verwenden Technik-Unternehmen den Begriff einfach für Ihre individuelle Produktpalette. Wohn-Zeitschriften meinen mit „smart“ vor allem einen bequemen und modernen Lifestyle. Der gemeinsame Nenner der verschiedenen Auffassungen ist die digitale Vernetzung: Türen, Fenster und Böden, Haushaltsgeräte, Heizungen und Lampen – sie alle stehen (zum Beispiel über WLAN) miteinander und mit den Handys und Laptops der Bewohner in Verbindung. Dadurch können die Geräte sich aufeinander abstimmen und zum Beispiel den Energieverbrauch senken oder den Lebenskomfort erhöhen. Die Bewohnerinnen sind immer bestens über den Zustand des Heims informiert und können von unterwegs nachjustieren. Allerdings kann die datenhungrige Technik die ansonsten unverletztliche Privatsphäre der eigenen Wohnung verletzen.

Alte Zukunftsvisionen von Putzrobotern

2. Wo stehen wir aktuell?

Was vor einigen Jahren nur auf den Seiten von Science Fiction Romanen denkbar war, ist heute längst Realität. Geräte denken für uns mit, erledigen unsere Hausarbeit und werden manchmal sogar zu echten Sozialkontakten. Die Branche für Smart Homes boomt, und große Unternehmen wie Samsung gründen ganze Tochterfirmen, die auf intelligentes Wohnen spezialisiert sind.

Willkommen im Smart Home!

Sehen wir uns doch einmal in einer smarten Wohnung um. Wir stehen im Flur. Das smarte Türschloss kann auch aus der Ferne geöffnet werden. So können Paketboten und Handwerkerinnen auch dann Zugang zur Wohnung bekommen, wenn gerade niemand zu Hause ist. Smarte Fenster ermöglichen es, das Tageslicht zu dimmen und Wärme besser innen oder außen zu halten, um Energie zu sparen. Im Flur befindet sich auch das Hirn der Wohnung: eine Steuerzentrale (oder alternativ smarte Steuerwürfel), die alle technischen Geräte miteinander vernetzt. Von hier aus können wir die Technik des gesamten Hauses bedienen. Folglich können aber auch Unternehmen und Ihre Tochterunternehmen über Service-Schnittstellen Zugang zu dem System haben. Und genauso wie Autos, Computer oder Telefone können auch vernetzte Wohnungen gehackt werden.

Der Komfort verführt: Smart Home-Besitzer.innen werden auch per E-Mail oder SMS benachrichtigt, wenn in der Wohnung etwas Ungewöhnliches (Rauch, fremde Menschen...) registriert wird. Sind wir gerade nicht zu Hause, können wir die Steuerzentrale per App nutzen. Zum Beispiel, um von der Arbeit aus zu kochen.

Auf die Automatisierung der Produktion und die Erfindung selbstfahrender Fahrzeuge folgt nun die Automatisierung der Gesellschaft (Spektrum Digital-Manifest S. 7)

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Die Küche

Sofort springen zwei große Roboterarme ins Auge: Die Roboterküche verspricht eine voll funktionstüchtige Koch-Armada, die mit den Fähigkeiten eines Meisterkochs Essen zubereitet. Mittels einer Kamera erkennt das Gerät Bewegungen und imitiert sie. So kann es lernen, eigenständig bestimmte Gerichte zuzubereiten. Die dafür nötigen Zutaten sind jederzeit verfügbar – und das, obwohl wir nie einkaufen müssen. Mit sogenannten Dash Buttons kann direkt ein Produkt nachbestellt werden, wenn es aufgebraucht wurde. Natürlich mischt in der smarten Küche auch Apple mit, zum Beispiel mit dem iKettle, der – wie sollte es anders sein – per App gesteuert werden kann. Während ein Serviceroboter uns das Essen serviert, haben wir Zeit für einen Blick ins Bad.

Oft sind die unterbreiteten Vorschläge so passgenau, dass sich die resultierenden Entscheidungen wie unsere eigenen anfühlen, obwohl sie fremde Entscheidungen sind. Tatsächlich werden wir auf diese Weise immer mehr ferngesteuert (Spektrum Digital-Manifest S. 8)

Japanische Hight-Tech-Toilette

Das Bad

Smarte Toiletten sind mittlerweile ein alter Hut. Ökologisch sinnvoll ist smarte Wasserregulierung in der Dusche, die Langduschern ihre Grenzen aufzeigt. Der Smart Mirror hilft uns bei der Wahl des Make-Ups, während auf dem Boden der Smart Body Analyzer Herzschlag und Körperfettgehalt misst. Mit einem wasserdichten, smarten Regelungsknopf können überall in der Wohnung Heizungen gesteuert werden.

Das Schlafzimmer

Ein smarter Luftdetektor registriert nicht nur Rauch und schlechte Luft, sondern reagiert auch, indem er den Rauch per E-Mail oder Push-Nachricht meldet und Fenster öffnet (wenn sie denn auch smart sind). Und auch unser Bett denkt mit: Der smarte Matratzenbezug misst unseren Schlafrhythmus und passt die Raumtemperatur so an, dass wir optimal schlafen können. Außer natürlich, wenn wir uns Sorgen über unsere Daten machen oder darüber, wie wir so viel Smartheit bezahlen sollen.

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Und was kostet der Spaß?

Smart Homes sind vielen Leuten heute noch viel zu teuer. Schon für eine einzige über das Internet steuerbare Steckdose zahlt man zwischen 30 und 70 Euro. In einigen Fällen können sich diese Kosten aber sehr lohnen und sogar Leben retten. Smart Homes für Senioren können beispielsweise registrieren, wenn die Bewohner.in nicht, wie üblich, um 7 Uhr morgens das Badezimmerlicht anschaltet und die Toilettenspülung betätigt. Einerseits ist das praktisch, denn vielleicht ist die Person gestürzt und braucht Hilfe, andererseits ist das Überwachungspotenzial hier offensichtlich. Selbst gegen die Folgen von Stürzen gibt es eine Maßnahme: smarten Fußboden, der einen Aufprall registriert und Hilfe ruft. Neben Geld hat smarte Technologie aber noch einen weiteren Preis: Daten.

3. Welche Daten werden gesammelt?

Smarte Dienste zahlen wir immer auch mit persönlichen Daten. Beim Blick auf die vielen verschiedenen smarten Geräte wird deutlich, dass massenweise Daten aus verschiedensten Bereichen erhoben werden. Nahezu alle alltäglichen Gewohnheiten werden registriert: vom Schlafrhythmus, Konsum- und Bewegungsverhalten über ästhetische Vorlieben bis hin zur Nahrungsaufnahme. Da alle smarten Geräte mit dem Internet verbunden sind, können Unternehmen die Daten bequem sammeln und sie beispielsweise für Marketing-Zwecke nutzen. Wenn ein Unternehmen all unsere Daten sammelt, kann es sie außerdem vernetzen und Personenprofile erstellen. Zusammengefügt machen uns all diese Daten im wahrsten Sinne des Wortes berechenbar – und damit manipulierbar. Wer genau weiß, wann wir zu Hause sind, auf welche Werbung wir anspringen oder welche Passwörter wir verwenden, hat uns in der Hand. Damit wenigstens nur die Unternehmen diese Daten haben, ist es enorm wichtig, dass Daten – wenn überhaupt – nur anonymisiert übertragen werden und das eigene WLAN vor den Eingriffen Fremder geschützt ist.

Unter dem Stichwort Nudging versucht man, Bürger im großen Maßstab zu gesünderem oder umweltfreundlicherem Verhalten „anzustupsen“ – eine moderne Form des Paternalismus. (Spektrum Digital-Manifest S. 9)

HAL

4. Wo liegen die Gefahren?

Problem 1: Smarte Technik hat Sicherheitslücken.

Was vernetzt ist, kann auch gehackt werden. Das heißt, Kriminelle können sich Zugang zu den smarten Systemen zu Hause verschaffen. Bei smarten Anwendungen fallen besonders viele persönliche Daten an, da jeder einzelne Lebensbereich gemessen wird. Deshalb ist es wichtig, dass Hersteller für die Datenübertragung Verschlüsselungsprotokolle benutzen, die nicht leicht zu knacken sind. Hackerinnen und Hacker können sonst über den WLAN-Zugang Informationen abgreifen oder technische Abläufe im Haus manipulieren. Sie erhalten aber auch Einblicke in unser Privatleben – ein Blick auf den Stromverbrauch kann schon ausreichen, um unseren Filmgeschmack und mehr zu verraten. Viel bedrohlicher erscheinen Gefahren, die den Zugang zur Wohnung betreffen. Smarte Türschlösser zum Beispiel können bei unausgereifter Entwicklung auch von Fremden entsperrt werden.
Eine ganz andere Sicherheitslücke ist die Unzuverlässigkeit von technischen Geräten. Das smarte Thermostat der Firma „Nest“ hat es Anfang des Jahres mit einem Software-Fehler in die Medien geschafft. Wegen des Fehlers schaltete sich das Thermostat quasi über Nacht aus. Bei Sicherheitstechnik können solche Fehler gravierende Folgen haben.

Problem 2: Nicht alle Menschen können an Smart Homes teilhaben.

Während einige Personen ungewollten Zugriff auf Smart Homes haben, bleiben andere von smarter Technologie völlig ausgeschlossen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Smarte Technologie ist heutzutage noch sehr teuer, und damit nicht für alle erschwinglich. Anderen Leuten fehlt die Übung im Umgang mit technischen Geräten – darum sollen smarte Anwendungen in Zukunft immer intuitiver nutzbar sein. Barrierefreiheit bleibt eine große Herausforderung. Komplett ausgeschlossen sind Leute, denen es an der nötigen Infrastruktur fehlt, denn ohne Internetverbindung lässt sich weder vor Ort noch aus Ferne eine Steuerungsapp nutzen.

Problem 3: Smart ist nicht gleich umweltfreundlich.

Smarte Technik kann zwar Energie effizient nutzen, hat dafür aber selbst einen hohen Energieverbrauch. Ein smartes Fenster muss elektronisch sein, und auch die App, mit der man es steuert, läuft auf einem elektronischen Gerät.

Problem 4: Nicht alle Geräte sind kompatibel.

Smart-Home-Anwendungen sind oft nicht auf Kundenwünsche ausgerichtet, sondern auf die Bedürfnisse der Hersteller. Manche Steuerungselemente sind nur mit smarten Anwendungen des gleichen Herstellers kompatibel. Kundinnen können häufig nicht zwischen den Herstellern eines ähnlichen Produktes wechseln, ohne die gesamte Hausautomatisierung auszutauschen.

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Problem 5: Unternehmen nehmen Einfluss auf Privatpersonen.

Wer in der Blase eines Smart Homes lebt, gibt sich vollkommen Unternehmen preis und ist manipulierbar. Wer zum Beispiel nicht mehr einkaufen muss, weiß auch nicht, welche Alternativprodukte gekauft werden können. Bestellbuttons werden nicht zu jedem einzelnen Produkt angeboten, sodass Unternehmen hier eine Monopolposition einnehmen können – ohne Produktkonkurrenz und ohne Preisvergleich.
Auch Produkte wie Amazon Echo (https://www.youtube.com/watch?v=KkOCeAtKHIc), eine Art smartes Radio mit individuell zusammengestelltem Programm, können Einfluss nehmen. Wenn wir nicht mehr allgemeine Nachrichten hören, sondern nur noch solche, die für uns als interessant eingestuft sind, werden uns Scheuklappen aufgesetzt.
Am Ende bleibt im Smart Home das Gefühl, permanent beobachtet zu werden. Was für alte und kranke Menschen ein positives „Aufpassen“ sein kann, wird von vielen anderen als „Überwachung“ wahrgenommen. Denn jeder Schritt, den wir tun, jedes Interesse, das wir äußern, wird registriert. So kann aus einem gemütlichen Zuhause eine vollautomatisierte Zelle werden, die unsere Bedürfnisse besser kennt als wir selbst – weil sie sie weckt.

5. Brauchen wir „smart“ wirklich?

Diese Frage kommt immer wieder auf, wenn man einen Blick auf alle die Produkte wirft, die in Zukunft smart werden sollen. Natürlich kann man all diesen Produkten einen Nutzen zusprechen. Doch dieser Nutzen ist bislang marginal im Vergleich dazu, wie viel wir über uns preisgeben und wie viel von unserer Freiheit wir bezahlen. Wer sich auf das Spiel mit den Smart Homes einlässt, wird wohl in Zukunft nur noch auf das eigene Smart Phone schauen, wo die Steuerungsapp für das ganze Leben läuft. Ob das wirklich bequemer ist als selbst den Wasserkocher anzustellen und bis zum Sieden eine Minute zu warten – das ist stark anzuzweifeln.
Wer sein Zuhause „smart“ macht, sollte die Kontrolle behalten. Das setzt technisches Wissen und Kompetenzen voraus. Außerdem wird die Digitalisierung der heimischen Privatsphäre nur sinnvoll gelingen, wenn Verbraucher.innen ausreichend Rechte gegenüber den Unternehmen haben. Das betrifft Auskunftsrechte, das Recht auf Löschung von Daten, die Möglichkeit, juristisch gegen das Unternehmen vorgehen zu können, oder das Recht, die eigenen Daten von einem Anbieter zu einem anderen umziehen zu können. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung, die ab 2018 gelten wird, beinhaltet viele dieser Rechte – allerdings müssen Verbraucher.innen diese Rechte auch kennen und nutzen.
„Smarte“ Technologie ist ein Gewinn für die Gesellschaft – wenn sie eine Option ist und nicht zu einem Zwang wird.

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Bilder
Vintage Futuristic Illustrations of France in the Year 2000: Image Catalog auf flickr CC0 1.0
Japanese electronic toilet: LHOON auf flickr CC BY-SA 2.0
HAL in vector: Abel auf flickr CC BY 2.0