EU-Personalausweis: EU will Fingerabdrücke von allen Bürger.innen nehmen

EU-Rat und -Parlament haben sich auf eine Fingerabdruckpflicht für den neuen europaweit einheitlichen Personalausweis geeinigt. Datenschutzbedenken wurden dabei ignoriert und auf die Mitgliedsstaaten abgewälzt.
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Detailaufnahme eines Auges. Darüber stilisiert ein Fingerabdruck.

Von bis zu 370 Millionen EU-Bürger.innen wollen die Staaten der Europäischen Union demnächst verpflichtend zwei Fingerabdrücke erfassen. So sieht es ein Kompromiss zwischen EU-Rat und dem Europäischen Parlament vor. Das erinnert an autoritäre Staaten, die jeden Menschen zum Verbrecher erklären. Die Fingerabdrücke sollen auf dem neuen europaweit einheitlichen Personalausweis gespeichert werden – angeblich, um Dokumentenbetrug zu erschweren.

Läuft es nach den Plänen der Verhandlungsführer.innen werden in zwei Jahren nur noch neue EU-weit einheitliche Pässe ausgestellt. Die alten Dokumente sollen dann nach und nach ihre Gültigkeit verlieren.

Derzeit ist in vielen EU-Ländern, darunter auch Deutschland, die Abgabe von Fingerabdrücken noch freiwillig. Nur wer einen Reisepass beantragen möchte, muss hierzulande seine Fingerkuppen vorzeigen. 2008 war eine entsprechende Regelung für Personalausweise noch abgelehnt worden. Die damalige Justizministerin Brigitte Zypries blockierte das Gesetzesvorhaben, da es einen „Eingriff in die Grundrechte der Menschen“ bedeute.

Gesetz „zwingende Notwendigkeit“

Warum die EU-Verordnung nun doch kommen soll, ist unverständlich. Laut Zahlen der Europäischen Grenzschutzorganisation Frontex ist die Anzahl derjenigen, die mit gefälschten Papiern die EU-Grenzen passieren, auf dem tiefsten Stand seit 2013. Dabei überqueren immer mehr Menschen die Außengrenzen. Woher also die zwingende Notwendigkeit kommen soll, von der Bundesinnenminister Horst Seehofer spricht, ist mindestens fragwürdig.

Aber auch bei anderer Sachlage wäre eine zwangbewährte biometrische Vermessung aller EU-Bürgerinnen und Bürger absolut unverhältnismäßig.

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Überwachung wird gerne ausgeweitet

Der Entwurf sieht laut Pressemitteilung des Europäischen Rates vor, die Fingerabdrücke ausschließlich auf dem Ausweis selbst zu speichern. Die weitere Verwendung bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen.

Doch die Erfahrung zeigt: Überwachungsmaßnahmen werden oft ausgeweitet, aber nie zurückgenommen. Dass Polizeibehörden auf Dauer der Zugriff zu dem enormen Datenschatz verwehrt wird, ist unwahrscheinlich. Im Gegenteil: EU-Innenkommissar Avramopoulos hat sehr deutlich werden lassen, wie er seine Prioritäten setzt:

„Wir müssen die Schrauben anziehen, bis es keinen Raum mehr gibt für Terroristen oder Kriminelle und keine Mittel mehr für sie, Anschläge
durchzuführen.“

In Deutschland dürfen Polizeien und Geheimdienste bereits seit 2017 vollkommen automatisch auf die biometrischen Passbilder von Personalausweisen zugreifen, ohne dass die Zugriffe von Aufsichtsbehörden ausreichend erfasst werden. Eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten auf die Fingerabdrücke scheint da nur noch eine Frage der Zeit. Geheimdienste werden sich ohnehin kaum davon abhalten lassen, ihre Fühler nach einem solchen Datenschatz auszustrecken.

Mit einer solchen Sicherheitspolitik haben die Terroristen nicht nur gewonnen, sondern werden selbst zum Gesetzgeber. Die Verantwortlichen im Europäischen Rat -und im Europaparlament befeuern ein Klima der Angst, in der jede zur Verdächtigten wird.

Tontaubenschießen für Kriminelle, Datensicherheit nicht gewährleistet

Auch für Angreifer.innen stellen die Abdrücke ein lukratives Ziel dar. Angriffsfelder gibt es genug, müssen die biometrischen Daten doch in jedem Fall zu einer Druckerei übermittelt werden.

Der Entwurf verpflichtet die Behörden zwar dazu, sicherzustellen, dass Ausweise nicht gehackt und nicht ohne Zustimmung auf die Daten zugegriffen werden könne. Doch wie genau dies technisch umgesetzt werden soll, bleibt offen. Dass selbst sehr sichere Systeme immer wieder von Kriminellen geknackt werden, ist in Zeiten von immer neuen Datenlecks kein Geheimnis mehr.

Die geplante Verordnung würde ein technologisches Wettrüsten mit hohem Risiko und enormen Kosten zwischen den Behörden, Geheimdiensten und Kriminellen einläuten, bei dem der Ausgang mehr als ungewiss ist.

Auf dem Weg in den Überwachungsstaat

Die Polizei geht immer gezielter gegen Aktive vor, die versuchen, ihre Identität zu verschleiern. So wurden zuletzt drei Klima-Aktivisten, die für einige Stunden einen Braunkohlebagger besetzt hatten, für fünf Tage in Gewahrsam genommen, da sie ihre Fingerabdrücke verklebt hatten.

Aber auch an anderen Stellen weiten die Behörden ihre Befugnisse aus. So stieg die Anzahl der im Schengener Informationssystem gespeicherten Fingerabdrücke binnen eines halben Jahres von 165.000 auf 236.000 an. Seit kurzem darf die Datenbank auch von einzelnen Polizeibeamt.innen abgefragt werden.

Ausgeweitet wurden auch die vorgesehenen Fahndungsmöglichkeiten. So können Behörden Personen nun auch zur gezielten oder verdeckten Kontrolle ausschreiben. Bei letzterer sollen die Betroffenen möglichst so kontrolliert werden, dass diese davon nichts bemerken.

Eine Übersicht der verschiedenen EU-Datenbanken Eine Übersicht der verschiedenen EU-Datenbanken mit personenbezogenen Daten. Einige davon sollen demnächst zusammengeführt werden.

Noch geplant ist die unter dem Stichwort „Interoperabilität“ laufende Fusion verschiedener biometrischer EU-Datenbanken. So sollen das Schengener Informationssystem (SIS II), die Fingerabdruckdatenbank Eurodac, die Visumsdatenbank (VIS), das Strafregister ECRIS und das noch zu errichtende Ein-/Ausreisesystem (EES) in einer „Super-Datenbank“ zusammengeführt werden. Ein System zum automatisierten Abgleich von Fingerabdrücken gibt es für das Schengener Informationssystem bereits seit März 2018.

Historische Vorbilder

Der letzte Politiker, die in Deutschland durchgesetzt hat, von sämtlichen Bürgerinnen Fingerabdrücke zu erfassen, war Adolf Hitler. Im dritten Reich waren insbesondere Juden verpflichtet, eine „Kennkarte“ zu führen und vorzuzeigen. Nur mit gefälschten Dokumenten konnte ihnen damals die Flucht gelingen.

Nun fordern Polikerinnen und Beamte erneut, Fingerabdrücke verpflichtend zu speichern. Die Unschuldsvermutung wird dabei umgedreht: Konnten bis jetzt nur verdächtigte Personen zu einem derart invasiven Privatsphäreeingriff gezwungen werden, ist nun jede und jeder verdächtig.

Das Vorhaben gleicht dem Versuch, sämtlichen Bürger.innen einen Barcode auf die Stirn zu tätowieren – nur die sichtbaren Auswirkungen sind geringer. Selbst wenn die Politiker.innen bei ihrem Vorhaben nur die besten Absichten verfolgen, so sind sie doch willige Wegbereiter für eine totale Massenüberwachung.

Gute Nachricht

Wir fordern, das Gesetzesvorhaben sofort zu stoppen! Noch haben das Europäische Parlament und die EU-Staaten die Möglichkeit ihre Zustimmung zu verweigern. Der Entwurf bringt nicht etwa neue Sicherheit, sondern schafft ein Klima der totalen Überwachung.

Noch ist Zeit zu handeln! Werden Sie aktiv und schreiben Sie Ihren Abgeordneten. #notACriminal #notMyFinger Mit einer Spende geben Sie uns die Möglichkeit, weiter gesellschaftlich und juristisch gegen Massenüberwachung vorzugehen.

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