38 Jahre illegal überwacht: „Verfassungsschutz“ verliert vor Gericht
Nach 15 Jahren Rechtsstreit steht fest: Dr. Rolf Gössner wurde vom sogenannten Verfassungsschutz 38 Jahre lang illegal überwacht. Wir gratulieren und bedanken uns für den unermüdlichen Kampf!
Damit haben die Bundesregierung mit ihrem zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sowie alle weiteren 13 seit 1970 verantwortlichen Bundesinnenminister und 12 Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz eine schwere und blamable Niederlage erlitten in diesem skandalösen Überwachungsfall (aus der unten zitierten Pressemitteilung der Humanistischen Union)
BigBrotherAward für den „Verfassungsschutz“
2016 hat Dr. Rolf Gössner dem sogenannten Verfassungsschutz einen BigBrotherAward für das Lebenswerk der Behörde verliehen, unter anderem weil die Behörde „heillos in kriminelle Machenschaften und Neonazi-Szenen verstrickt“ ist.
Die Laudatio ist absolut lesens- und sehenswert: Den kompletten Text gibt es auf bigbrotherawards.de und das Video der Verleihung auf vimeo.com ab Minute 1:56:00.
Humanistische Union zum „Verfassungsschutz“-Skandal
Aus der Pressemitteilung der Humanistischen Union vom 17. Dezember 2020:
Vier Jahrzehnte „Verfassungsschutz“-Skandal rechtskräftig beendet
Nach vier Jahrzehnten geheimdienstlicher Überwachung und 15 Jahren Verfahrensdauer hat das Bundesverwaltungsgericht Leipzig am 14. Dezember 2020 die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen (BVerwG 6 C 11.18).
Mit dieser Entscheidung bestätigt das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW aus dem Jahr 2018 in vollem Umfang. Auch wenn die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, so lässt sich jetzt schon sagen: Damit bleibt es auch in dritter und letzter Instanz dabei, dass die 38 Jahre währende geheimdienstliche Überwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch das beklagte Bundesamt für Verfassungsschutz unverhältnismäßig und grundrechtswidrig war.
Mit diesem höchstrichterlichen Urteil ist Rolf Gössner, den der Bundesinlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ zum „Staats- und Verfassungsfeind“ erklärt hatte, endlich rechtskräftig rehabilitiert. Damit haben die Bundesregierung mit ihrem zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sowie alle weiteren 13 seit 1970 verantwortlichen Bundesinnenminister und 12 Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz eine schwere und blamable Niederlage erlitten in diesem skandalösen Überwachungsfall.
Tatsächlich ist ein so lang währender Grundrechtsbruch gegenüber einem Bürger dieses Landes bislang keinem anderen staatlichen Sicherheitsorgan höchstrichterlich bescheinigt worden. Aus diesem beispiellosen Fiasko einer geradezu kafkaesken Überwachungsgeschichte müssen dringend überfällige politische, behördliche und gesetzgeberische Konsequenzen gezogen werden.
Rolf Gössner sieht in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und der Vorinstanzen einen
„gerichtlichen Sieg über geheimdienstliche Verleumdungen und Willkür sowie über antidemokratische Denk-, Interpretations- und Handlungsmuster eines staatlichen Sicherheitsorgans. Das ist eine klare Entscheidung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung.“
Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß und Prozessvertreter von Rolf Gössner:
„Nun hat das Bundesverwaltungsgericht die Urteile der Vorinstanzen bestätigt. Dagegen hat sich der ‚Verfassungsschutz‘ 15 Jahre erbittert gewehrt. Jetzt ist es höchste Zeit, dass hieraus Konsequenzen gezogen werden. Gesinnungsschnüffelei und Gesinnungskontrolle durch den ‚Verfassungsschutz‘ sind durch klare gesetzliche Vorschriften zu unterbinden. Das gilt nicht nur zum Schutze von (u.a. anwaltlichen) Berufsgeheimnissen, die unter Überwachungsbedingungen nicht mehr zu gewährleisten sind, sondern gegenüber Jedermann.“
Werner Koep-Kerstin, Bundesvorsitzender der HUMANISTISCHEN UNION erklärt:
„Die vorliegenden Entscheidungen sind Meilensteine im Kampf gegen einen übergriffigen Geheimdienst. Als Bürgerrechtsvereinigung werden wir darüber wachen, dass sich an diese grundlegenden Urteile eine unverzügliche Änderung der bisherigen Beobachtungspraxis der Geheimdienste anschließt. Ein Weiter-So darf es nicht geben.“
Hintergrund des Überwachungs-Skandals (Kurzversion):
Dr. Rolf Gössner ist seit 1970 vier Jahrzehnte lang ununterbrochen vom Bundesamt für Verfassungsschutz geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden – schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt, parlamentarischer Berater, später auch als Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und seit 2007 zudem als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen, parteilosen Einzelperson durch den Inlandsgeheimdienst sein, die bislang dokumentiert werden konnte.
Zur Last gelegt werden ihm berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich „linksextremistischen“ und „linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern, bei denen er referierte und diskutierte, aber auch zu bestimmten Presseorganen, in denen er – neben vielen anderen Medien – veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Aktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen und Vorträgen soll er, so die Unterstellung, besagte nicht verbotene, aber als „linksextremistisch“ geltende Gruppen und Organe „nachdrücklich unterstützt“ haben; er soll sie – so wörtlich – als „prominenter Jurist“ aufgewertet und gesellschaftsfähig gemacht haben. Aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten hat der „Verfassungsschutz“ (VS) so eine Art von ‚Kontaktschuld’ konstruiert.
Im Laufe des 15-jährigen Klageverfahrens schob der VS dann neue Vorwürfe gegen Gössner nach – Vorwürfe, die zuvor keinerlei Rolle gespielt hatten, die nachträglich die unglaubliche Überwachungsgeschichte zusätzlich rechtfertigen sollten: Jetzt zog der VS auch seine Schriften in Misskredit und setzte Gössner‘s inhaltlich begründete Kritik an bundesdeutscher Sicherheits- und Antiterrorpolitik und an den Sicherheitsorganen einem Extremismusverdacht aus.
Die Geschichte hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung besonders auch für andere Publizist.innen, Anwält.innen und Menschenrechtler.innen: Denn Berufsgeheimnisse wie Mandatsgeheimnis und Informantenschutz sind unter den Bedingungen geheimdienstlicher Überwachung nicht zu gewährleisten. Die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandant sowie zwischen Journalist und Informant waren erschüttert, die Berufsfreiheit und berufliche Praxis damit mehr als beeinträchtigt.
Mehr Informationen finden sich in der Pressemitteilung der Humanistischen Union vom 17. Dezember 2020.
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