Jahresbericht 2012 – Was haben wir gemacht?

In unserem Jahresbericht fassen wir die Highlights zusammen, die im vergangenen Jahr unsere politische Arbeit geprägt haben.

BigBrotherAwards Verleihung (13. April 2012)

Die Verleihung der BigBrotherAwards fand nun schon zum zweiten Mal im Frühjahr statt – ein Rhythmus, der sich bewährt hat und den traditionell “vollen” Herbst entspannt. Der Veranstaltungsort, die Hechelei in Bielefeld, war bis auf die letzten Stuhlreihen belegt. Mit den BigBrotherAwards 2012 wurden ausgezeichnet:

Kategorie Behörden und Verwaltung:

Sächsischen Staatsminister des Inneren, Herrn Markus Ulbig, für 28 Funkzellenabfragen im Raum Dresden im Rahmen einer Anti-Rechts-Demonstration im Februar 2011. Der Vorfall war erst 2012 bekannt geworden.

Kategorie Kommunikation:

Die Cloud, als Trend, den Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu entziehen.

Kategorie Politik:

Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU), für die Einrichtung eines Cyber-Abwehrzentrums ohne Legitimation durch den Bundestag, für die Einrichtung eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR), ebenfalls am Parlament vorbei und für den Plan, alsbald eine gemeinsame zentrale Verbunddatei gewaltbezogener Rechtsextremismus zu errichten. Mit der geplanten Verbunddatei und den neuen Abwehrzentren werden Polizei, Geheimdienste und teilweise das Militär auf problematische Weise verzahnt – unter Missachtung des Verfassungsgebots einer strikten Trennung dieser Sicherheitsbehörden.

Kategorie Verbraucherschutz:

Die Firma Blizzard Entertainment, eine Abteilung der Firma Activision Blizzard, für die Ausspähung der Nutzerinnen und Nutzer, etwa durch permanentes Arbeitsspeicher-Scanning, Chautaufzeichnugen und der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen.

Kategorie Technik:

Die Gamma Group, in Deutschland vertreten durch die Gamma International in München, namentlich den Prokuristen Stephan Oelkers, für ihre Software „FinFisher“, mit der Behörden in Computersysteme eindringen, um dort Überwachungssoftware zu installieren.

Kategorie Arbeitswelt:

Die Firma Bofrost Dienstleistungs GmbH & Co KG, weil sie ungeniert auf eine gesetzlich geschützte Datei von Betriebsräten zugegriffen hat.

Kategorie Wirtschaft:

Markus Hankammer, vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Firma Brita GmbH, für ihr System „Schoolwater“. Einem RFID-System, das das Abzapfen von Leitungswasser in Schulen kontrolliert und reguliert.

Eine Lücke, die es 2013 wieder auszufüllen gilt, hinterließ der Neusprech-Award, der 2012 nicht vergeben wurde. Das gesamte Medienecho war sehr groß. Besonders der Preis für die Cloud wurde sehr kontrovers diskutiert – sowohl von Fachmedien als auch in der breiten Öffentlichkeit. Damit haben wir eine wichtige Diskussion mit angestoßen. Kommentiert – auf twitter und auf der Veranstaltung selbst – wurde besonders der Publikumspreis, der mit sehr großer Mehrheit an die Firma Brita ging.

RFID-Tags in freier Wildbahn

Ein kalter, nach-weihnachtlicher Januartag, Passanten eilen gehetzt durch die Fußgängerzone, um vielleicht die letzten Geschenke umzutauschen. Und die digitalcourage mit einem RFID-Lesegerät mittendrin, gefilmt von einem WDR-Team. Vor dem Gerry-Weber-Store in Bielefeld haben wir erstaunten Passanten gezeigt, dass ihre gerade gekaufte Kleidung mit Schnüffelchips ausgestattet ist. Ohne, dass sie es wussten. Die Aktion, über die wir an dieser Stelle schon im letzten Jahr berichtet hatten, schlug große Wellen: Sendung „markt“ (WDR), „brisant“ (ARD), Galileo (Pro 7), in Spiegel TV und sogar auf der Titelseite der SZ. Im Juli 2012 haben wir eine ähnliche Aktion in Hannover wiederholt, diesmal ohne ein Fernsehen-Team. Das Ziel war es, nicht nur aufzuklären, sondern auch Mitglieder zu werben. Letzteres hat leider nicht so gut geklappt. Aber das große Interesse und die erstaunten Nachfragen an unserem Stand haben gezeigt, dass wir das Thema anders als mit Mitgliederwerbung angehen müssen. In diesem Jahr werden wir die Aktion ausweiten und mit einer Unterschriftensammlung verbinden – mit der wir national und auf EU-Ebene das Entfernen von RFID-Chips fordern. Auch in Brüssel waren wir gegen die Schnüffelchips aktiv. Rena Tangens hat im Februar mit Vertretern der EU-Kommission gesprochen und während des Freedom-not-Fear-Wochenendes hatten wir Floreant Frederix, ebenfalls Vertreter der Kommission zu Gast. Ihm zufolge wird das so genannte PIA (Privacy Impact Assessment), mit dem Datenschutzrisiken im Vorfeld ausgelotet werden sollen, gerade evaluiert.

RFID – unser Mensakartenprojekt

Über 80 verschiedene Karten haben wir zur Verfügung gestellt bekommen – und bedanken uns recht herzlich, bei allen, die dabei für gut zwei Wochen aufs Essen in der Mensa verzichtet haben. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sehr viele Universitäten noch auf alte, unzureichende Verschlüsselung setzen. Das kann ein großes Problem sein, gerade dann, wenn nicht nur mit der Karte bezahlt wird, sondern sich auch Schränke oder Türen öffnen lassen.

AktiVKongreZ (17.–19. August 2012): Die Köpfe hinter den Avataren

Damit die Vernetzung nicht nur über Mailinglisten, Twitter und Jabber läuft, brauchen die Aktiven ein Gesicht und nicht nur eine E-Mail. Dafür ist der AktiVKongreZ dar, den die digitalcourage zusammen mit dem DGB-Bildungshaus im vergangen August schon zum dritten Mal ausgerichtet hat. Neben dem Rückblick auf die bisherigen Erfolge waren Themen vor allem die Dauerbrenner elektronische Gesundheitskarte, europäischer Datenschutz und die Möglichkeiten einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI). In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden konkrete Pläne erarbeitet, die vor allem die Organisation von Freedom not Fear 2012 einen Monat später und aber auch die Planungen für eine eventuelle „Freiheit statt Angst“-Demonstration 2013 betrafen. Auch das sensible Thema Burnout unter Aktivisten wurde diskutiert – mit dem Ergebnis, dass wir vorher klar umreißen müssen, wie wir eine Aktion planen und wie wir auf diese auch dann beenden können.

Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – padeluun als Sachverständiger

padeluun war als Sachverständiger für die FDP in der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages. Die politische Arbeit einer solchen Enquête sollte eigentlich losgelöst vom Tagesgeschäft sein, oft genug wurden aber parteipolitische Querelen auch in dieses Gremium getragen. Auch waren die Mittel ungleich verteilt, padeluun und die anderen Sachverständigen mussten neben der vielen Arbeit bei digitalcourage für die Ênquete alles ehrenamtlich und ohne Mitarbeiter leisten. Dennoch setzte die EIDG, wie sie abgekürzt und auch auf twitter diskutiert wurde, Akzente in der Netzpolitik. Netzpolitik ist eben kein Nischenthema, sondern in der Mitte der Gesellschaft und in der Mitte des Bundestages angekommen. Die Enquête hat dabei mit einer Online-Bürgerbeteiligungsplattform neue Wege ausprobiert, die das Netz ermöglicht. In seinem Abschlussbericht für die Enquête schreibt padeluun dazu:

Wir haben in der Kommission viele „neue“ Instrumente ausprobiert, um die Kommunikation und Textarbeit zu erleichtern. … Die wichtigsten thematischen Ergebnisse dieser Enquête waren für mich die Handlungsempfehlung zur Einführung eines anonymen digitalen Bargeldes und die Empfehlung, einen ständigen Ausschuss zum Thema „Netzpolitik“ einzurichten.

Netzpolitik soll also auch in Zukunft ein ständiges Thema im Bundestag bleiben. Und inhaltlich hat padeluun es geschafft, dass der Begriff „geistiges Eigentum“ im Entschließungstext kritisch gesehen wird.

„Meine Daten sind keine Ware“ – Melderecht in die Schranken weisen.

In den Medien hieß es häufig nur noch das „57-Sekunden-Gesetz“, weil es in zweiter und dritter Lesung so schnell den Bundestag passierte. Dass die entscheidende Arbeitsgruppe davor noch einige Fallstricke eingebracht hat, fiel erst danach auf und umso größer war der Aufschrei. Digitalcourage, vzbv, DVD und campact haben als Bündnis „Meine Daten sind keine Ware“ im Juli eine Online-Petition auf die Beine gestellt, die in den ersten zwei Tagen über 100.000 Menschen unterzeichnet haben. Im September sind wir dann zuerst mit der kleinen, später mit der großen Datenkrake „Otto“ vor den Bundesrat gezogen, um dort zu protestieren und die Unterschriften zu übergeben. Mit Erfolg! Der Bundesrat hat es an den Vermittlungsausschuss verwiesen – dort hängt das Gesetz zur Zeit noch. Beim Meldegesetz ging es uns auch um einen Paradigmenwechsel: Wir wollen, dass die Einwilligungslösung bei Datenschutzfragen Standard wird, nicht der opt-out. Kurz gesagt: „Frag mich, wenn du meine Daten verarbeiten willst und zwing mich nicht dazu, dir erst zu widersprechen.“ Adresshändler und Werbebranche sehen das naturgemäß anders und das Meldegesetz ist besonders in dieser Frage zu einem Präzedenzfall geworden – mit noch nicht endgültigem Ausgang.

Datenschutz in Europa – Freedom not Fear in Brüssel

Datenschutz, data protection, protection des données oder adatvédelem. Egal in welcher Sprache, in Brüssel ging es vom 15.–18. September 2012 mit Aktivsten vielen Ländern um genau dieses Thema. Das Freedom not Fear-Wochenende 2012 (fnf12) stand ganz im Zeichen des europäischen Datenschutzes: Der europäische Datenschutzbeauftrage Peter Hustinx eröffnete das Wochenende mit einem Panel zur europäischen Datenschutzreform, zu der es auch einen Workshop mit Jan Philipp Albrecht gab. Im Vorfeld haben wir viele Aktivisten angesprochen und ihnen die Fahrt erst ermöglicht, indem wir ein Hotel organisiert haben und eine Kostenpauschale erstattet haben. Durch diesen Einsatz ist Freedom not Fear internationaler geworden. Aktivisten aus Spanien, Ungarn, der Tschechischen Republik und Polen sind zum ersten Mal dort gewesen. Nachdem das Wochenende als Bar-Camp organisiert war, stand am Montag der Parlamentsbesuch bei Jan Philipp Albrecht an, daran anschließend Lobby-Gespräche mit Kommissions- und Parlamentsvertretern. Mit Florent Frederix (Generdaldirektion Home) sprachen die rund 20 Aktivisten über RFID Regelungslücken und Gefahren der Privatsphäre, die von solchen Chips in Endprodukton ausgeht. Paul Nemitz Thomas Zerdick nahmen Stellung zur geplanten Datenschutzreform aus Kommissionssicht, die den Aktivisten häufig nicht weit genug ging. Und Christian d'Cunha verteidigte sehr zum Missfallen der Aktivisten die Vorratsdatenspeicherung.

Aktionstag 13. Oktober – Anhörung Vorratsdatenspeicherung

Bundesweit aktiv zu einem unserer Kernthemen, der Vorratsdatenspeicherung, waren über 30 Bündnisse und Gruppen Mitte Oktober. Die Anhörung zur Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung fand zwei Tage später statt und mit den Protesten sollte der Druck auf die Politik wieder in die Öffentlichkeit getragen werden. Wir beteiligten uns auf dem Bielefelder Jahnplatz mit der großen Datenkrake, einem Stand und jeder Menge Info-Material, das sehr gut ankam. Viele erkannten uns und unseren Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung wieder, ein Heimspiel kann man sagen. Die Medienaufmerksamkeit in Bielefeld war mit Radio-Interviews und Lokalzeit recht gut, bundesweit verpufften die Anstrengungen leider ein wenig. Um andere Gruppen und Initiativen zu unterstützen, hatten wir im Vorfeld ein sog. Mobilisierungs-Paket mit sieben verschiedenen Flyern mit Informationen und Argumenten gegen die Vorratsdatenspeicherung gepackt und bundesweit verschickt – mit großem Erfolg, die zum Teil sehr kreativen Initiativen haben das Angebot gerne und dankbar angenommen. Die Anhörung selbst, am 15. Oktober 2012 vor dem Petitionsausschuss des Bundestages war eine großartige Leistung von Kai-Uwe-Steffens, Mitglied im AK-Vorrat, in der alle Scheinargumente für die Vorratsdatenspeicherung widerlegt wurden.

Public Domain

Die Veranstaltungsreihe Public Domain fand 2012 einmal statt: Referent der 160. Public Domain war Albrecht Ude mit dem Thema „Recherche im Internet - sind Google, Wikipedia & Co. noch brauchbare Quellen?” Albrecht Ude, selbst Journalist und Recherchetrainer, also auf Quellen angewiesen, vermittelte die Praxis der Informationssuche und warnte vor vielerlei Manipulationen. Die Folien des Vortrags stehen online auf: www.foebud.org/pd/pd160.

29. Chaos Communication Congress (29C3)

Der größte Hackkongress in Europa ist umgezogen und wir sind gefolgt. Von Berlin nach Hamburg ins größere CCH. Vier Vorträge haben wir in vollbesetzten Sälen gehalten, zu unserem Kernthema RFID in Kleidung genauso wie zur aktuellen Meldegesetzkampagne, zur Mensakartenuntersuchung oder zur Netzphilosophie (Die Vorträge sind alle unter digitalcourage.video nachzusehen). Besonders die Veröffentlichungen im Rahmen des Mensakartenprojekts waren ungeduldig erwartet worden – und im Anschluss haben wir von vielen Seiten weitere Karten zur Untersuchung bekommen. Unser Shop-Stand war sehr gut besucht und unser Lichtbildausweis war dank des Skandals in den Niederlanden sehr gefragt. Brenno de Winter, der diesen Skandal angestoßen hatte, war mehrmals Gast am Stand und hat zusammen mit padeluun und Lars Freitag einen Lightning-Talk über seine Recherchen und unseren Ausweis gehalten.

Namensfindung

Als der Applaus auf der Mitgliederversammlung kam, stand die Erleichterung – gemischt mit viel Wehmut – allen ins Gesicht geschrieben: digitalcourage. So lautet seit dem 27. Oktober 2012 unser neuer Name. Damit ist das 25-jährige Kapitel, unter dem Namen „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD)“ abgeschlossen, ein neues aufgeschlagen. Wir erhoffen uns einen größeren Wiedererkennungswert bei unserem Einsatz für Bürgerrechte, Datenschutz und eine digitale lebenswerte Welt. Fast alle internen Veranstaltungen im letzten Jahr waren von der Namensfindung geprägt: Das Treffen Ende Februar im Welthaus, das Wochenende über Pfingsten in Verden – dort kam der Name digitalcourage zum ersten Mal auf – und das Kreativfrühstück Ende Juni, schließlich die Mitgliederversammlung im Oktober. Das Video zum neuen Namen, von Leena Simon zusammengeschnitten, hat uns über 200 Namensvorschläge eingebracht. Manche waren sehr lustig, andere ernst und seriös, viele gefielen uns ein bisschen, einige „hatten was“. Die Entscheidung haben wir wohl überdacht und mit dem gar nicht mehr so neuem Namen sind wir jedenfalls merklich besser wiederzuerkennen in den Medien – und Öffentlichkeit für digitalcourage und unsere Themen nützt uns schließlich allen.

Jubiläum (17. November 2012)

25 Jahre Einsatz für „eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter“. Das wollten wir feiern mit Freunden, Mitgliedern, Unterstützenden, Ehemaligen und Weggefährten. Die Ravensberger Hechelei, sonst Schauplatz der BigBrotherAwards-Verleihungen, hat diesmal ein anderes Bühnenprogramm als Datenschutz-Skandale gesehen: die Erfolgsgeschichte des FoeBuD, als der wir das Jubiläum noch gefeiert haben. Im Programm waren ein Rückblick, durch den Rena Tangens und padeluun geführt haben, Glückwunsch-Beiträge u.a. von Martin Haase, Rolf Gössner und Wiebke Herding, die sich unseren CfP (Call for Presents) angeschlossen hatten, und ein Überraschungs-Video vieler Mitarbeiter und Ehrenamtlicher für Rena Tangens und padeluun als Gründungsvorstände. Der Höhepunkt des Abends war die Verkündung des neuen Namens. Beginnend mit den 7 FoeBuD-Buchstaben wuchs eine Schilderreihe auf die Bühne, getragen von immer mehr fleißigen Händen (ganz wie in unserem Alltag der letzten Monate), bis schließlich 14 digitalcourage-Buchstaben dort standen. Der Beifall am Abend, die frohen Gesichter und die Reaktionen in den Tagen und Wochen danach haben uns bestätigt, dass die Entscheidung für digitalcourage eine sehr gute war.