Newsletter vom 06.04.2017

Digitalcourage-Newsletter März 2017

Newsletter, unter anderem zum Datenschutz-Ausverkauf des BMI, Kamerawildwuchs, Literatur gegen Überwachung

Liebe Leute,

ein ereignisreicher Monat liegt hinter uns: Wir haben zusammen mit dem FIfF in Berlin U-Bahnhaltestellen mit ehrlichen Hinweisschildern zur Videoüberwachung ausgestattet und haben vor dem Bundestag gegen den Datenschutz-Ausverkauf der Regierung protestiert. Die Vorratsdatenspeicherung wird uns leider noch länger beschäftigen, denn das Bundesverfassungsgericht will sich offenbar in diesem Jahr nicht mehr mit unserer Verfassungsbeschwerde befassen.

Mit besten Grüßen aus Bielefeld,

Rena Tangens, padeluun und das Team von Digitalcourage

1. Vorratsdatenspeicherung: Ab Juli wird gespeichert
2. Innenministerium will Datenschutz „anpassen“ – wir nennen es Ausverkauf
3. Videoüberwachung – neues Gesetz fördert Kamera-Wildwuchs im öffentlichen Raum
4. UN-Sonderberichterstatter: Massenüberwachung nicht effektiv
5. Veranstaltungstipp: Literatur lesen beim Hattinger Mediensommer
6. Erfahrungsberichte von Flughäfen – Artikel zu Nacktscannern
7. Termine

Vorratsdatenspeicherung: Ab Juli wird gespeichert

Im vergangenen Jahr haben wir in einem riesigen Kraftakt unsere Verfassungsbeschwerde gegen die erneut beschlossene Vorratsdatenspeicherung gestemmt. Über 33.000 Menschen stehen mit ihrer Unterschrift hinter uns. Doch anscheinend will sich das Bundesverfassungsgericht dieses Jahr keine Zeit mehr dafür nehmen. In der Jahresvorschau für 2017 sind die Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung jedenfalls nicht aufgeführt. Unverständlich, da auch in dem aktuellen Gesetz genug Punkte sind, die gegen EU-Recht und die Verfassung verstoßen.

In den nächsten Monaten werden wir noch einmal die besten und aktuellsten Tipps zur Digitalen Selbstverteidigung aufbereiten – damit wir als Bürgerinnen und Bürger nicht schutzlos dastehen, wenn Telekommunikationsanbieter ab Juli unsere Metadaten sammeln müssen.

Der Schriftsatz unserer Verfassungsbeschwerde:
https://digitalcourage.de/sites/default/files/users/161/digitalcourage-verfassungsbeschwerde-gegen-vds.pdf

Digitale Selbstverteidigung:
https://digitalcourage.de/digitale-selbstverteidigung

Eure Bekannten, Freunden und Kolleginnen wollen etwas über Digitale Selbstverteidigung lernen? Empfehlt unseren Newsletter.

Innenministerium will Datenschutz „anpassen“ – wir nennen es Ausverkauf

Mit dem Inkrafttreten der Europäischen Datenschutzgrundverordnung im Mai 2018 muss das deutsche Datenschutzgesetz bereinigt werden, weil viele Punkte des deutschen BDSG dann unmittelbar und gesamteuropäisch geregelt sind. Öffnungsklauseln in der europäischen Verordnung würden aber durchaus Raum für aktualisierten besseren Datenschutz in Deutschland bieten. Stattdessen will das Innenministerium die Gelegenheit der Gesetzesanpassung nutzen, um das deutsche Datenschutzniveau weiter abzusenken. Es knüpft damit nahtlos an die unrühmliche Rolle an, die es bei den Verhandlungen um die europäische Regelung gespielt hat.

Gegenüber dem Entwurf, den wir bereits im vergangenen Jahr kritisiert haben, hat sich wenig geändert: Nach wie vor kommen wichtige Prinzipien wie Datensparsamkeit und Zweckbindung zu kurz. Expert.innen bezweifeln, ob das geplante Gesetz mit Europarecht vereinbar ist. Denn einige Öffnungsklauseln der EU-Verordnung sind sehr eng ausgelegt. Die Regierung reizt sie hemmungslos aus, damit Ermittlungsbehörden und Wirtschaft das Öl des 21. Jahrhunderts anzapfen können: unsere Daten.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde nun am 9. März als ein kurzer Punkt einer Marathonsitzung im Bundestag diskutiert. Drinnen erklärten der Innenminister und ein CDU-Kollege den Datenschutz für voll 70er bzw. 80er Jahre und damit nicht mehr zeitgemäß. Draußen vor dem Bundestag haben wir gegen den Datenschutz-Ausverkauf demonstriert – mit Rabattaktion und Grundgesetzen im Bauchladen zum Verramschen. Einige Bundestagsabgeordnete kamen zu uns nach draußen, um mit uns zu sprechen: Gerold Reichenbach von der SPD und die Grünen Konstantin von Notz und Britta Haßelmann. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) hat Digitalcourage in ihrer Rede im Plenum zitiert.

Die Diskussion im Bundestag um das neue Datenschutzgesetz geht bald in die nächste Runde. Wir engagieren uns für die Rechte der Betroffenen, für innovative Datenschutz-Technik und für Beschäftigtendatenschutz. Wir werden dranbleiben und uns weiter einmischen.

Datenschutz-Ausverkauf: Fotos vom Protest vor dem Bundestag:
https://digitalcourage.de/blog/2017/gegen-den-datenschutz-ausverkauf-bilder-einer-protestaktion

Hintergründe:
https://digitalcourage.de/blog/2017/warum-wir-heute-protestiert-haben https://netzpolitik.org/2017/der-bundestag-beraet-datenschutzreform-datenschaetze-heben-analysieren-veredeln/

Petra Paus Rede zum Datenschutzanpassungsgesetz:
https://www.bundestag.de/mediathekoverlay?videoid=7082882&mod=mod442356

Das rhetorische Quartett – Innenminister und CDU-Kollegen ziehen Karte 8B
http://rhetorisches-quartett.de/
Das rhetorische Quartett im Shop
https://shop.digitalcourage.de/kartenspiel-das-rhetorische-quartett.html

Hier unterschreiben gegen den Datenschutz-Ausverkauf der Bundesregierung: https://aktion.digitalcourage.de/rettet-den-datenschutz

Videoüberwachung – neues Gesetz fördert Kamera-Wildwuchs im öffentlichen Raum

Es war Freitag vor einer Woche, kurz nach Mitternacht: Die Regierungskoalition mogelt zu nächtlicher Stunde das Gesetz mit dem Orwell'schen Namen „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ durch den Bundestag. Damit soll Videoüberwachung von öffentlichen Orten durch private Firmen erleichtert werden. Die kritische Arbeit der Datenschutzbeauftragten, die solche Anlagen auf Rechtmäßigkeit prüfen, wird so untergraben. Denn nun soll bei der Prüfung die vorgebliche Gefahrenabwehr Vorrang vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung bekommen. Betreiber von Gaststätten, Konzerthallen, Einkaufszentren und anderen öffentlich genutzten Orten sollen zu Erfüllungsgehilfen der Ermittlungsbehörden gemacht werden. Der Nutzen für unsere Sicherheit ist äußerst zweifelhaft – klar dagegen ist, dass so in Zukunft Bürgerinnen und Bürger massenhaft beobachtet werden, die keinen Anlass dafür gegeben haben. Kamera-Wildwuchs ist vorprogrammiert. Sogar der Deutsche Richterbund bezweifelt, dass das neue Gesetz verfassungsgemäß ist.

Einige Haltestellen der Berliner Verkehrsbetriebe haben neuerdings immerhin ehrliche Hinweisschilder zu Videoüberwachung: „Jedes Überwachungsvideo, das Gewalt zeigt, ist ein Beweis, dass Videoüberwachung Ihnen keine Sicherheit bringt.“ Und „Videoüberwachung wird von Gewalttätern ignoriert, von Kriminellen eingeplant und Terroristen erkennt man nicht vorher. Nur Sie spüren Überwachungsdruck.“ Den Text der Schilder von der Aktion von FIfF und Digitalcourage gibt es übrigens auch als Aufkleber im Shop.

Bilder der Aktion von Digitalcourage und FIfF e.V.:
https://digitalcourage.de/blog/2017/erste-u-bahnhaltestelle-mit-ehrlichen-hinweisen-zu-videoueberwachung

Die beiden Aufklebermotive im Shop:
https://shop.digitalcourage.de/videoueberwachung-bvg-gewalt.html
https://shop.digitalcourage.de/videoueberwachung-statt-sicherheit.html

Warum Videoüberwachung der Gesellschaft schadet:
https://digitalcourage.de/blog/2017/kamera-laeuft-bitte-laecheln

Pressemeldung des deutschen Richterbundes zur Gesetzesänderung:
http://www.drb.de/fileadmin/docs/Stellungnahmen/2016/DRB_161110_Stn_Nr_20_Video%C3%BCberwachungsverbesserungsgesetz.pdf

UN-Sonderberichterstatter: Massenüberwachung nicht effektiv

In einem Bericht vom 24. Februar kommt der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre, Joseph Cannataci zu dem Schluss: Die umfassenden Überwachungsmaßnahmen, die in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA eingeführt wurden, sind weder effektiv noch verhältnismäßig. Er warnt davor, große Datensammlungen anzulegen, die in den Händen einer schlechten Regierung zu einer Waffe gegen die eigene Bevölkerung werden können. Man dürfe in der Sicherheitspolitik jetzt „nicht die Angstkarte spielen“. Stattdessen plädiert er für wirksame Maßnahmen, die nicht unverhältnismäßig in die Privatsphäre aller Menschen eingreifen und erinnert daran: Das Recht auf Privatsphäre ist universell.

Der Bericht des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Privatsphäre: https://www.documentcloud.org/documents/3514983-UN-special-rapporteur-on-the-right-to-privacy.html

Datenschutz-News für alle! Digitalcourage-Newsletter weiterempfehlen: https://digitalcourage.de/newsletter

Veranstaltungstipp: Literatur lesen beim Hattinger Mediensommer

Inspirierende Texte gegen Überwachung – lesen, schreiben und diskutieren. Edward Snowden kaltgestellt, die NSA pfeift auf Gesetze, der BND rüstet auf, Google weiß fast alles, mein Smartphone spioniert mich aus? Verlieren wir die Kontrolle in unserer Demokratie? Was können wir tun? Wir holen uns Anregung bei politischen Dichtern und Denkerinnen, Philosophinnen und Science Fiction-Autoren. Gegen die gefühlte Ohnmacht werden wir eine Woche lesen, denken, diskutieren und schreiben – und wieder Lust zum Handeln bekommen.

Seminar mit Rena Tangens und padeluun 20.–25.8.2017 beim Mediensommer im DGB-Bildungszentrum in Hattingen. Informationen und Anmeldung:
https://www.forum-politische-bildung.de/forum/seminar/317313167

Erfahrungsberichte von Flughäfen – Artikel zu Nacktscannern

Als Nacktscanner zugelassen wurden, haben wir mit einem Blog-Artikel aufgeklärt: Niemand muss da durch. Doch ob das in der Praxis auch immer so läuft? Seit 2015 bekommen wir zahlreiche Zuschriften mit Erlebnissen, die unsere Leserinnen und Leser an verschiedenen Flughäfen gemacht haben und veröffentlichen sie, selbstverständlich anonymisiert, in unserem Blog. Wie ist es Euch bei der letzten Flugreise ergangen? Seid Ihr richtig aufgeklärt worden? Wollte man Euch überreden, doch den Nacktscanner zu benutzen? War das Personal freundlich?
Wir freuen uns auf weitere Erfahrungsberichte – an mail@digitalcourage.de.

Artikel und Erfahrungsberichte:
https://digitalcourage.de/blog/2015/sind-nacktscanner-in-der-praxis-freiwillig

Termine:

29.–31.03.: RightsCon, Brüssel https://www.rightscon.org/
5.05., 18 Uhr: Verleihung der BigBrotherAwards, Bielefeld, Hechelei https://bigbrotherawards.de/
8.–10.5.: re:publica in Berlin, https://re-publica.com/
17.05.: Bielefelder Stadtentwicklungstage, Vortrag und Podiumsdiskussion mit Rena Tangens, http://www.kooperative-stadtentwicklung.de/startseite.html 23.05.: Tag des Grundgesetzes – Lesen gegen Überwachung
26.05: Cryptoparty beim Deutschen Kirchentag in Magdeburg mit Jochim Selzer
9.&10.6. Jahreskonferenz Netzwerk Recherche, Hamburg, https://netzwerkrecherche.org/termine/konferenzen/jahreskonferenzen/nr-jahreskonferenz-2017/
17.06. Konferenz der Freien Ärzteschaft zu Datenschutz im Gesundheitswesen, Podiumsdiskussion mit padeluun, Berlin: http://freie-aerzteschaft.de/17-06-2017/ 19.&20.06., DuD-Konferenz, Berlin (Datenschutz und Datensicherheit), https://www.computas.de/konferenzen/dud_2017/DuD_2017.html