BahnCard nur noch per App?
BahnCard nur noch in der App: Ich habe ein Smartphone und finde es trotzdem falsch.
Diskussionen rund um die Ankündigung der Bahn verliefen nahezu allesamt entlang der binären Aufteilung: Smartphone haben oder nicht haben. Es wird als gegeben angesehen, dass alle Menschen mit Smartphone dann auch „die Bahn-App“ nutzen wollen, können und sollten. Dementsprechend müsse auch nur über jene Menschen diskutiert werden, die frei- oder unfreiwillig kein Smartphone nutzen und ja ohnehin mit ihrer Digitalisierungsverweigerung alles aufhielten.
Ich möchte die Perspektive weiter ausweiten – als jemand, der seit über 10 Jahren bereitwillig Smartphones nutzt, allerdings mit dem Nokia N900, dem Jolla Phone und diversen entgoogelten Android-Derivaten auf eher weniger übliche Art, und der auch sonst der Digitalisierung nicht abgeneigt ist.
Denn wenig überraschend verbreitet auch der DB-Konzern hier wieder die irrige Annahme, dass etwas nur digital(isiert) ist, wenn es dafür eine eigenständige App gibt und ausschließlich über diese nutzbar ist. Bereits die Diskussion um das explizit als digital angepriesene 49€-Ticket brachte solche Blüten hervor, in denen ein auf Papier ausgedruckter (oder in einem PDF-Reader angezeigter) Barcode nicht digital genug ist, derselbe Code in der App des Verkehrsunternehmens dann aber doch der Gipfel digitaler Innovation ist […]
Eine nachhaltige Digitalisierung darf aber nicht nur aus vielen kleinen App-förmigen Strohfeuern bestehen, die jeweils versuchen, möglichst viele Nutzungsbereiche an sich selbst zu binden. Sie ist vielmehr eine Frage von Datenformaten und Repräsentation, interoperablen offen spezifizierten Standards, Protokollen und Schnittstellen und dem Möglichkeitenraum, der erst dadurch erschaffen wird.
Anbei meine E-Mail an die Deutsche Bahn. Nachahmung gerne empfohlen.
Auszug der E-Mail von schmittlauch an die Deutsche Bahn
An: DB Presse presse@deutschebahn.com, Bahncard Service bahncard-service@bahn.de
Guten Tag,
laut übereinstimmenden Presseberichten hat die DB angekündigt, in Zukunft die Bahncards nur noch über die „DB Navigator“-Smartphone-Apps anzubieten. Ein genannter Grund ist der Umweltschutz durch das Einsparen von Plastik für die Karten. Sollten Sie dies tatsächlich umsetzen, werden Sie mich als Bahncardkunden verlieren – und das, obwohl ich ein Smartphone besitze und Digitalisierung alles andere als abgeneigt bin. Warum denn das? Ich gehe davon aus, dass Sie mittlerweile bereits zahlreiche Nachrichten von Kund*innen ohne Smartphone erhalten haben. Ich hingegen möchte das Rückmeldungsspektrum um Gründe erweitern, warum nicht nur ich die DB Navigator App auf meinem vorhandenen Smartphone weder nutzen kann noch möchte, sondern es auch zahlreiche Situationen und Gründe gibt, warum eine reine DB-App Bahncard keine gute Form der Digitalisierung und Nutzer*innenerfahrung ist.
Plastik einsparen: Barcode als Standardformat bereitstellen
Eine sehr einfache Möglichkeit, um noch größere Teile der Plastik-Bahncards einsparen zu können: Geben Sie doch die aktuell nur in der App angezeigten Aztec-Barcodes der digitalen Bahncard auch in Standardformaten wie PDF oder anderen Bildformaten heraus, so wie es aktuell bei Fahrkarten der Fall ist. Digitale Zugfahrkarten sind in Europa bereits in Form eines Aztec-Barcodes standardisiert. Alle EVUs können die Ticketdaten aus solchen Barcodes lesen, für ihre eigenen Tickets zum Verkauf erstellen und all diese Barcodes auch fälschungssicher vor Ort kontrollieren. Dabei ist es egal, in welcher Form dieser Code präsentiert wird, ob ausgedruckt oder als PDF auf einem Laptop, eBook-Reader oder Smartphone, oder eben in der DB-Navigator-App. Die darin kodierten Daten sind dabei immer digital. Nach allem, was ich weiß, ist auch der in der App präsentierte Code der Bahncard ein solcher Aztec Code, warum diesen also nicht ebenso in mehreren Formaten anbieten, wie es bei Tickets der Fall ist? Ich persönlich brauche dann auch keine Plastikkarte mehr.
Im Rahmen einer nachhaltigen und fortschrittlichen Digitalisierungsstrategie sind Bildformate nur der Anfang, wenn wir über Standardformate reden; dort würde ich es begrüßen, wenn sich die DB in einen offenen Spezifikationsprozess einbringt: Sowohl um zu definieren welche Daten ein Ticket ausmachen (Dateiformat), als auch wie es zur Kontrolle ausgespielt werden kann (Barcodes, NFC). So könnte – ähnlich wie bei Bildanzeigeprogrammen – alternative Software entstehen, mit der gekaufte Ticketdateien zur Kontrolle angezeigt werden können. […]
Situative Gründe: Defekte Geräte und Festivalbesuche
Auch Smartphone-Nutzer*innen kommen gar nicht mal so selten in Situationen, in denen eine Nutzung der einen DB-Navigator-App auf dem persönlichen Gerät nicht ohne weiteres möglich ist: Smartphones können auf Reisen kaputt gehen oder auch einfach ihre Akkukapazität aufbrauchen. Und wenn das Gerät gestohlen wird, ist damit auch das Ticket erst einmal weg. Noch immer ist es auf Musikfestivals mit Camping gängig, zum Vermeiden der genannten Gründe gar kein Smartphone mitzunehmen oder zumindest noch einen Plan B fürs Ticket zu haben. Ich selbst etwa hatte ein und dasselbe Ticket bereits sowohl als PDF auf meinem Smartphone, auf dem eBook-Reader sowie in ausgedruckter Form dabei, in dem guten Wissen, dass eine der drei Varianten mir bestimmt die Rückfahrt ermöglichen wird. Diversität der Darstellungsarten und einfache Kopierbarkeit sind dabei wichtig, denn mehrere Ersatzsmartphones haben die wenigsten auf Reisen dabei.
App-Store Verfügbarkeit, AGBs, Gatekeeper und Betriebssysteme
Kommen wir zu meinen persönlichen Geräten und warum ich auf diesen die DB-Navigator-App nicht nutzen kann: Die DB-Navigator-App ist aktuell für iOS- und Android-Geräte jeweils über den Apple App Store, Google Play Store oder Huawei Store erhältlich. Auf meinem aktuell genutzten Smartphone läuft weder iOS noch Android, somit kann ich die DB Navigator App dort nicht nutzen. Und obwohl auf meinem vorherigen Gerät sogar Android lief, war auch dort eine Nutzung nicht möglich: Das Gerät hatte keinen Zugang zum Google Play Store und war auch nie mit einem Google-Konto verknüpft, was aber eben die Voraussetzung für den Download des Navigators sind. An dieser Stelle wird es auch juristisch spannend: Beim Ticket- und Bahncardkauf schließen ich als Fahrgäst*in und die DB ein Vertragsverhältnis, auch muss ich den Beförderungsbedingungen zustimmen. Das ist im Rahmen der Vertragsfreiheit erwartbar und notwendig. Faktisch muss ich als Fahrgäst*in als Vor-Voraussetzung jetzt aber auch noch ein weiteres Vertragsverhältnis abschließen, um überhaupt die Möglichkeit zur App-Nutzung zu haben. Gemeint sind damit Google, Apple oder Huawei, die eigentlich keine direkt am Beförderungs- und Buchungsvorgang beteiligte Partei sind, deren AGBs ich aber dennoch zwingend akzeptieren muss […]
Auch an der DB-Navigator-App selbst gibt es immer wieder Kritik: Am Landgericht Frankfurt am Main ist aktuell eine Klage gegen die DB anhängig, die Kläger*in wirft der Deutschen Bahn einen Verstoß gegen die DSGVO vor. Nun werden Sie sicherlich sagen, dass diese Klage unbegründet sei. Sollten vorsichtige Kund*innen dennoch die gerichtliche Klärung abwarten wollen, könnten sie mangels Alternative in Zukunft so lange ihre Bahncard nicht nutzen. Beachten Sie bitte auch, dass es in sensiblen Wirtschaftsbereichen durchaus unternehmensintern noch striktere Datenschutz- und Sicherheitsregeln geben kann, die den Einsatz bestimmter Apps durch Angestellte bis zur Ausräumung eines begründeten Verdachts untersagt.
Auch die Barrierefreiheit der DB-Navigator-App schwankte in der Vergangenheit massiv. Und selbst bei großen Entwicklungsanstrengungen zur Barrierefreiheit gibt es mitunter widersprechende Anforderungen zur Bewältigung der Einschränkungen betroffener Menschen, die innerhalb einer einzelnen alternativlosen App kaum zu vereinbaren sind. Auch dort können offene Spezifikationen die Entwicklung von jeweils passgenaueren, auf die jeweilige Einschränkung optimierten Alternativlösungen ermöglichen.
Im Übrigen bin ich auch mit jenen solidarisch, die im Gegensatz zu mir die DB-App nicht nutzen können, weil sie kein Smartphone haben. Auch diese Menschen sollten regelmäßig und günstig auf der Schiene mobil sein können.
Ich hoffe, dass Sie Ihre Ankündigung nochmal überdenken, ich weiterhin die BahnCard nutzen kann und die DB ihre Digitalisierung hin zu einem wirklich fortschrittlichen, offenen und kooperativen Ansatz umstellt.
Bei Fragen kommen Sie gerne auf mich zurück.
Mit freundlichen Grüßen
Dies ist eine gekürzte und leicht redaktionell bearbeitete Version eines Blogartikels von schmittlauch.
Der Originalartikel ist hier erschienen und steht unter der Lizenz CC BY SA 4.0: https://www.schmittlau.ch/blog/bahncard-nur-in-der-app-ich-habe-ein-smartphone-und-finde-es-trotzdem-falsch.html
Vielen Dank an den Autor dafür, dass wir den Artikel übernehmen durften.
Der Autor
schmittlauch ist studierter Diplom Informatiker und bloggt u.a. zu aktueller Technik und ihrer gesellschaftlichen Einbettung, Privatsphäre, Freier Software und föderierten oder dezentralen Systemen.
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