GWB-Digitalisierungsgesetz – Macht der Digitalkonzerne beschränken #GWB10
P r e s s e m i t t e i l u n g
Berlin, Bielefeld, 21.1.2020
GWB-Digitalisierungsgesetz: Ungezähmte Internetgiganten
Die Initiative „Konzernmacht beschränken“ und UnternehmensGrün kritisieren, die Marktmacht der Internetgiganten wird nicht beschränkt
#GWB10
Die Veröffentlichung des Kabinettsentwurfs für die Novellierung des Wettbewerbsrechts verzögert sich seit Wochen, es liegt nur ein nicht-konsensfähiger Referentenentwurf vor. Die Initiative „Konzernmacht beschränken“ und der Verband UnternehmensGrün wollen, gemeinsam mit Oxfam, Digitalcourage und Digitale Gesellschaft, angesichts dieser Hängepartie zu Beginn des neuen Jahres der Diskussion neuen Schwung verleihen und legen ihre Forderungen vor.
Sie begrüßen das Bestreben, die missbräuchlichen Praktiken der Internetgiganten einzudämmen. Sie halten den Regierungsentwurf allerdings für nicht geeignet, um funktionierende digitale Märkte zu gewährleisten, Marktabschottung zu verhindern und die Marktmacht der Internetgiganten zu beschränken. Mit den neuen Regeln kann das Bundeskartellamt zwar - wenn es will, missbräuchliche Praktiken der Internetgiganten untersagen und bei hoher Gefährdungslage schneller einschreiten. Aber dieses punktuelle Eingreifen greift bei „Winner-takes-it-all“-Märkten und bei vorherrschenden digitalen Monopolen zu kurz. Die Bundesregierung hat es versäumt, eine rechtliche Grundlage für eine Entflechtung als „ultima ratio“ zu schaffen, „Killer-Akquisitionen“ zu kontrollieren und Organisationsstrukturen zu ermöglichen, die den Missbrauch der Marktmacht weitestgehend verhindern kann.
Im Anhang und online finden Sie die ausführliche Kommentierung des GWB-Digitalisierungsgesetzes:
https://digitalcourage.de/sites/default/files/2020-01/Kommentierung_Digitalisierungsgesetz.pdf
Rena Tangens, Vorstand von Digitalcourage und Mitglied bei der Initiative „Konzernmacht beschränken“, kritisiert die mangelnde Stärkung von Verbraucherrechten:
„Die Gesetzesnovelle ist leider nicht der große Wurf. Die Internetgiganten können sich auch in Zukunft ungestraft weigern, kleineren Anbietern interoperable Datenformate und eine Übertragung von Daten in Echtzeit bereitzustellen. So wird es Verbraucher*innen quasi unmöglich gemacht, ohne Nachteile alternative Messenger-Dienste oder andere soziale Netzwerke zu verwenden. Datenschutz- und Verbraucherschutzorganisationen sollten ein Antragsrecht auf die Einleitung eines Verfahrens des Bundeskartellamts erhalten. Auch sollte das Bundeskartellamt nicht nur befugt sein, verbraucherrechtsrelevante Missstände aufzudecken, sondern es sollte sie auch abstellen können."
Dr. Wolfgang Oels, COO von Ecosia und Mitglied bei UnternehmensGrün, merkt an:
„Unfaire und missbräuchliche Wettbewerbspraktiken müssen schon bevor sie entstehen gesetzlich klar unterbunden werden. Weil beispielsweise nicht einmal fünf Prozent aller Nutzer*innen jemals aktiv ihre Default-Einstellungen in Browsern oder Betriebssystemen ändern, haben Vorinstallationen und Standardeinstellungen unter dem Vorwand des Komforts extreme wettbewerbliche Auswirkungen. Dem kann die Politik nur mit konsequenten Entflechtungsmaßnahmen, Bündelungsverboten und neutralen Entscheidungsgrundlagen für den Endnutzer etwas entgegensetzen.“
Auch Dr. Nicolas Scharioth, Geschäftsführer von Pollion und Mitglied bei UnternehmensGrün, hält eine Novelle des Kartellrechts allein für nicht ausreichend:
„Bei App-Märkten, Online-Marktplätzen, Suchmaschinen und sozialen Medien handelt es sich um öffentliche Güter, die zur digitalen Grundversorgung im 21. Jahrhundert gehören. Die Bundesregierung sollte einen uneingeschränkten Zugang zu den Plattformmärkten sicherstellen, indem sie für den Aufbau eigener oder gemeinnütziger Angebote und Strukturen sorgt. Dazu gehören könnten beispielsweise ein verpflichtender europäischer Suchindex, Open Source-Social Media Alternativen, Datenstandards zur einfachen Migration von Social Media Konten, ein Open Source Smartphone-Betriebssystem und ein öffentlicher App-Markt, der auf allen Betriebssystemen zur Verfügung steht.“
Hintergrund:
- Gemäß Koalitionsvertrag soll das Ziel der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sein, das Wettbewerbsrecht in Bezug auf die Digitalisierung zu modernisieren und fit für den kartellrechtlichen Missbrauch der Internetgiganten zu machen. [1]
- Mit der 9. GWB-Novelle hat der Gesetzgeber bereits einige Anpassungen vorgenommen, die digitale Plattformen betreffen. Der Annahme eines Marktes steht nun nicht mehr entgegen, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird. Es ist somit anerkannt, dass Unternehmen auch bei der Erbringung unentgeltlicher Leistungen eine starke Marktstellung erlangen können. Bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens sind jetzt insbesondere bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken u.a. auch Netzwerkeffekte, Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten und der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten zu berücksichtigen.
- Die Monopolkommission empfiehlt ihrem Hauptgutachten 2018, den Verbraucherschutzverbänden ein Recht einzuräumen, die Durchführung kartellbehördlicher Sektoruntersuchungen initiieren zu können. Als besonders hoch wird das Risiko der Kollusion eingeschätzt. Dabei koordinieren Unternehmen Preise oder Mengen und erzielen dadurch höhere Gewinne als im Wettbewerb. Bei Preisalgorithmen ist es noch schwieriger als ohnehin, kollusives Verhalten festzustellen.
- In der vom BMWi in Auftrag gegebenen Studie zur Missbrauchsaufsicht bei marktmächtigen Unternehmen wird vorgeschlagen, das Kartellrecht um einen Passus zu ergänzen, der die Untersagung eines Zusammenschlusses auch dann ermöglicht, wenn ein Zusammenschluss Ausdruck einer Gesamtstrategie ist, im Rahmen derer ein marktbeherrschendes Unternehmen systematisch wachstumsstarke Unternehmen in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung aufkauft, und diese Strategie wirksamen Wettbewerb erheblich behindert (Killer-Akquisitionen).
- Der Vorschlag, ein Entflechtungsinstrument als letzten Mittel in einzuführen, ist nicht neu. Er geht bereits auf die 1960er Jahre zurück, als der damalige Präsident des Bundeskartellamts Günther solch ein Instrument forderte. Zuletzt hatte die FDP im Jahr 2010 einen entsprechenden Gesetzesentwurf in der Regierungszeit der schwarz-gelben Koalition vorgelegt. Auch Kartellamtspräsident Mundt und die Monopolkommission befürworteten damals die Einführung eines missbrauchsunabhängigen Entflechtungsinstruments im Kartellrecht, um auf „dauerhaft vermachteten Märkten Wettbewerb in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten“. Die Monopolkommission sah auch keine grundsätzlichen verfassungs- oder europarechtlichen Einwände, die dagegen sprechen würden. In den USA ist die Entflechtung seit mehr als 100 Jahren Teil der Rechtspraxis im Kartellrecht.
Diskussionspapier der Initiative „Konzernmacht beschränken“: #Konzernmacht in der digitalen Welt:
https://www.oxfam.de/system/files/konzernmacht_digitale_welt_final.pdf
[1]