EuGH-Urteil am 21.3.2024 zur Fingerabdruckpflicht für Personalausweise

Am Donnerstag entscheidet der EuGH: Kippt die Fingerabdruckpflicht?

P r e s s e m i t t e i l u n g 
Bielefeld, 19.03.2024

Am Donnerstag entscheidet EuGH: Kippt die Fingerabdruckpflicht?

Am kommenden Donnerstag, 21.3.2024 um 9:30 Uhr wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden, ob über 380 Millionen EU-Bürger.innen weiterhin ihre Fingerabdrücke speichern lassen müssen, wenn sie einen neuen Personalausweis beantragen. Digitalcourage hält die EU-Verordnung, die die Speicherung der Fingerabdrücke vorschreibt, für nicht vereinbar mit europäischem Recht und hatte deshalb im November 2021 eine Klage dagegen eingeleitet.

„Fingerabdrücke abgeben müssen – das fühlt sich für mich so an, als ob ich wie ein Tatverdächtiger für ein Verbrechen behandelt werde. Diese zwangsweise und anlasslose Abgabe von biometrischen Daten entspricht nicht den Werten von Rechtsstaaten und Demokratien.”,

sagt Detlev Sieber aus Wiesbaden, Kläger in diesem Fall, ehemaliger organisatorischer Geschäftsführer und weiterhin engagiertes Mitglied von Digitalcourage.

Digitalcourage: Speicherpflicht verstößt gegen EU-Grundrechte

Die Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen stellen einen Eingriff in die EU-Grundrechte auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GrCh) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GrCh) dar. Nach dem Dafürhalten von Digitalcourage erfüllt die Fingerabdruckpflicht ihren angegebenen Zweck nicht und ist auch nicht erforderlich, der Grundrechtseingriff ist deshalb unverhältnismäßig. (Mehr zur detaillierten juristische Begründung im verlinkten Infoblatt.)

Biometrische Daten auf Ausweisen sind ein Problem

„Wenn Daten erst einmal gespeichert sind, werden sie auch genutzt – auch zu Zwecken, die heute noch als undenkbar erscheinen. Persönliche Daten sind nur dann sicher, wenn sie gar nicht erst erhoben werden.”

sagt Rena Tangens, Gründerin und Vorstand von Digitalcourage.

Staatliche Stellen müssen die Sicherheit der biometrischen Daten – in diesem Fall der Fingerabdrücke – garantieren. Doch je häufiger biometrische Daten erhoben, weitergeleitet oder ausgelesen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwo ein Datenleck gibt. Technologie, die heute als sicher gilt, kann in einigen Jahren unsicher und leicht zu knacken sein. Ein Datenleck, bei dem unsere biometrischen Daten betroffen sind, ist besonders schwerwiegend, erklärt Julia Witte von Digitalcourage:

Ein Passwort, eine E-Mailadresse oder im schlimmsten Fall auch unsere Adresse, können wir wechseln, wenn wir uns vor Verfolgung oder Bedrohung schützen müssen. Aber unsere Fingerabdrücke können wir niemals ändern – sie machen uns ein Leben lang identifizierbar.

Bisherige Erfahrungen zeigen, dass gesetzliche Schutzregelungen häufig nachträglich aufgeweicht und Daten nicht ausreichend geschützt werden.

Fälschungssicherheit ist vorgeschobenes Argument

Die oft als Argument angeführte, vermeintliche Verbesserung der Fälschungssicherheit, hält Digitalcourage für ein vorgeschobenes Argument. Eine dauerhafte, vollständige Fälschungssicherheit kann es grundsätzlich nicht geben. Sicherheitsbehörden können mit der Fingerabdruckpflicht höchstens für begrenzte Zeit einen Vorsprung gegenüber Fälscher.innen gewinnen – wenn überhaupt. Um das Fälschen von Ausweisdokumenten zu erschweren, gibt es aber eine Reihe weniger grundrechts-invasiver Mittel, wie komplexe Druckverfahren, 3D-Hologramme auf dem Dokument etc. Biometrische Merkmale dürfen dagegen nicht als Sicherheitsmerkmal genutzt werden, fordert Julia Witte von Digitalcourage:

„Biometrische Daten sind hochsensible persönliche Informationen und dürfen nicht einfach als Wetteinsatz benutzt werden im Hase-und-Igel-Rennen zwischen Sicherheitsbehörden und professionellen Fälschungswerkstätten.”

Hintertüren in der EU-Verordnung erlauben eine Zweckentfremdung der Fingerabdrücke

Die angegriffene EU-Verordnung lässt zu, dass die Fingerabdrücke auch für andere Zwecke als die Ausweiserstellung genutzt werden können, wenn ein Gesetz der EU oder eines Mitgliedsstaates das vorsieht. Das ist eine weit offen stehende Hintertür zur Zweckentfremdung, kritisiert Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungs-, Urheber- und Medienrecht bei der Kanzlei Meisterernst Düsing Manstetten in Münster, der Digitalcourage in dieser Klage vertritt:

„Die EU formuliert mit dieser Verordnung eine gesetzliche Grundlage für die Beschaffung von Fingerabdrücken, die Mitgliedsstaaten dann für völlig andere Zwecke nutzen können. Das ist hochproblematisch und das haben bei der mündlichen Anhörung auch die Richterinnen und Richter am EuGH so gesehen.”

Viele Menschen wollen ihre Fingerabdrücke nicht speichern lassen

Digitalcourage fordert, EU-Bürger.innen nicht weiter wie Tatverdächtige in einem Verbrechen zu behandeln, sondern die Verordnung, die zur Abgabe von Fingerabdrücken für die Ausstellung eines Personalausweises verpflichtet, zu kippen. Digitalcourage-Gründerin Rena Tangens berichtet:

„Wir bekommen seit Jahren regelmäßig Mails und Anrufe von Menschen, die einen neuen Personalausweis benötigen, aber ihre Fingerabdrücke nicht abgeben möchten und die sich nach unserer Klage erkundigen. Allein an der Anzahl der Anfragen sehen wir, wie dringlich das Anliegen für viele Bürger.innen ist – und wie wichtig entsprechend dieses Urteil.”

Digitalcourage setzt sich schon lange gegen biometrische Überwachung ein

Digitalcourage setzt sich schon seit langem gegen die Fingerabdruckpflicht, und generell gegen die massenhafte Erhebung von biometrischen Daten ein. Im Oktober 2020 hat Friedemann Ebelt von Digitalcourage als Sachverständiger bei einer Anhörung im Innenausschuss das damals in Planung befindliche auf der jetzt angegeriffenen EU-Verordnung basierende deutsche Gesetz – als unverhältnismäßig kritisiert und auf langfristige Gefahren hingewiesen. Digitalcourage hat sich kritisch gegenüber Plänen der EU-Kommission ausgesprochen, Ausweisdaten künftig auf dem Smartphone zu speichern und kontaktlose Grenzkontrollen mit Biometrie einzuführen. Im Zuge der Verhandlungen rund um das jüngst verhandelte „KI“-Gesetz hat Digitalcourage sich immer wieder eingebracht, um einen europaweiten Schutz vor biometrischer Massenüberwachung zu fordern.

Digitalcourage

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