Überwachung war illegal – Massenklagen möglich

Geheimdienste lassen sich nicht gerne kontrollieren. Und wenn, dann nur im Geheimen. Von Geheimgerichten. Selten kommt in einer so undemokratischen Verfahrensweise etwas Gutes heraus. Im Vereinigten Königreich gab es jetzt zumindest einen Teilerfolg.

Die Bürger- und Menschenrechtsorganisationen Privacy International, Liberty, Amnesty International, die American Civil Liberties Union und die pakistanische Bytes for All hatten im Juli 2013 Klage vor dem sogenannten Investigatory Powers Tribunal eingerecht. Dieses Geheimgericht ist die einzige Möglichkeit in Großbritannien, um gegen Überwachungsmaßnahmen vorzugehen oder diese auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Mit dem Teilerfolg sind nun Massenverfahren möglich. Privacy International hat eine solche Kampagne am heutigen Montag gestartet. Auch Sie können sich den Massenklagen nun anschließen.

Die klagenden Organisationen brachten zwei Anklagepunkte vor: Zum einen sei nicht benannt, auf welche gesetzliche Grundlage sich der Austausch abgehörter Roh-Daten stütze, die die NSA im Rahmen des Prism- und des Upstream-Programms an den britischen Nachrichtendienst GCHQ weiterreicht. Zum anderen würde der GCHQ riesige Datenmengen durch das Tempora-Programm abhören und damit gegen die Grundrechte verstoßen – nicht nur gegen die Grundrechte der Briten, sondern gegen die aller Menschen, die abgehört werden, weshalb sich die pakistanische Organisation Bytes for All im Januar 2014 der Klage anschloss. Insbesondere stützten sich die klagenden Organisationen auf den Schutz der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit in der Europäischen Grundrechtecharta.

Der Prozess endete jetzt im Februar, brachte aber auch schon im Dezember ein erstes Urteil hervor. Darin wurde noch befunden, dass die Abhör- und Austauschpraxis des GCHQ nicht grundsätzlich gegen die Europäische Menschenrechtscharta verstößt, da die Geheimdienste unter Aufsicht stünden und es Regeln gebe, an die sie sich zu halten haben. Das IPT hatte in dem Urteil aber zwei Bedingungen für den GCHQ aufgestellt: Keine willkürliche Machtausübung, was durch Aufsichtsorgane sichergestellt werden müsste, und eine ungefähre Veröffentlichung der Regeln und Ermächtigungen, die für den GCHQ als Grundlage für das Abhören gelten.

Im Klartext: Man soll also grob vermuten können, was und wie alles überwacht wird, dann ist es rechtmäßig.

Ziemlich schwammig. Und doch noch nicht schwammig genug, wie sich zeigte. In der Entscheidung von letzter Woche stellte der IPT fest: Der GCHQ hatte bis zum Dezember 2014 gegen diese zweite Bedingung verstoßen. Die „ungefähren Regeln“ wurden nämlich erst im Laufe des Prozesses bekannt. Und auch dann nur für die Richter am Geheimgericht, die hinter verschlossenen Türen in geheimer Sitzung tagten, aber das reichte zumindest dem Gericht. Privacy International erhielt danach nur noch eine Zusammenfassung der Zusammenfassung.

Datenaustausch vor 2014 illegal!

Dennoch: Das heißt, dass jegliche Datensammlung und -austausch des GCHQ vor Dezember 2014 illegal waren. Das Urteil ist das erste seit Gründung des Gerichts vor 15 Jahren, das gegen Geheimdienste ausging, so Privacy International.

Das Urteil ist nur ein kleiner Teilerfolg: Denn seitdem das IPT als Aufsichtsbehörde nun die ungefähren Regeln für die Geheimdienste kennt, dürfen diese munter weitermachen. Privacy International strebt deshalb nun eine Klage vor dem Europäischem Menschenrechtsgerichtshof an:

We think that falls far short of what is called for by the “in accordance with law” requirement, and in the coming weeks will be appealing to the European Court of Human Rights to argue our case there, demanding an end to unlawful mass intelligence sharing, and ensuring privacy protections for all.
[Wir meinen, dass dies weit hinter der Anforderung „in Übereinstimmung mit dem Gesetz“ zurückbleibt. In den kommenden Wochen werden wir deshalb vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen und unsere Argumente dort vorbringen, um ein Ende der ungesetzlichen massenhaften Weitergabe von geheimdienstlichen Daten zu erreichen und den Schutz der Privatsphäre für alle zu sichern.]

Ein interessanter Nebenaspekt, den vielleicht auch mal unser Generalbundesanwalt beachten sollte: Mit dem Gerichtsverfahren vor dem IPT und dem Urteil sind das Prism-, das Upstream- und das Tempora-Programm zur wahllosen Massenüberwachung, zum Anzapfen von Glasfaserkabeln und zum Lesen so gut wie aller Mails weltweit nun lange offizielle Realität. Wenn das mal kein Anhaltspunkt ist, Herr Range.


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