Re:publica 2015: “The system is broken – and that’s the good news”

In seiner Opening Keynote auf der re:publica 2015 sah Ethan Zuckerman mehr Grenzen als Möglichkeiten zur Mitgestaltung von gesellschaftlichem Wandel. Wir sind da optimistischer und sagen: Werden Sie aktiv!

Ethan Zuckerman (Direktor des MIT Centers for Civic Media und Gründer von voicerepublic) sprach auf der re:publica 2015 über Möglichkeiten und Grenzen, wie Bürger.innen die Gesellschaft mitgestalten können. Er sieht, dass immer weniger Menschen wählen und demonstrieren, weil sie misstrauisch sind gegenüber den Systemen. Die Analyse ist richtig, aber sehr demotivierend, weil sie Argumente gegen politische Beteiligung verstärkt. Wir finden, dass Wählen, Protestieren und die Arbeit an Technik zusammengehören.

Der Vortrag von Ethan Zuckerman im Stream und im Wortlaut zum Nachlesen

Gestaltung von Politik

Ethan Zuckerman sagt, wenn Menschen unzufrieden mit den politischen Zuständen und Entwicklungen in ihrem Land sind, haben sie traditionellerweise zwei Strategien an der Hand, um Veränderung zu bewirken:

Der Gang zur Wahlurne
Wir können die Regierenden abwählen, die wir für die Missstände verantwortlich machen – zum Beispiel, indem wir eine andere Partei wählen. Zuckerman beschreibt in seinem Vortrag das weit um sich greifende Misstrauen von Bürger.innen: Können wir mit dem Gang zur Wahlurne wirklich Veränderung bewirken? Für Zuckerman ist es wenig überraschend, dass die Wahlbeteiligung sowohl in den USA als auch in den Ländern der EU stetig abnimmt.

Auf die Straße für Veränderungen
Zuckerman erläutert neben Wahlen einen zweiten, „herkömmlichen“ Weg der Gestaltung von Politik: Wir können auf die Straße gehen und für unsere Rechte und Überzeugungen demonstrieren. Zuckerman ist hier der Ansicht, dass dies jedoch nicht die gewollte systemisch-strukturelle Veränderung anstößt, da sich die beteiligten Menschen bezüglich der meisten Inhalte im Grunde genommen uneinig sind.

Misstrauen gegenüber den Systemen

Unterm Strich sieht Zuckerman bei Bürger.innen ein grundsätzliches Misstrauen, auf irgendeine Art und Weise noch Veränderung mitgestalten zu können. Dieses Misstrauen sei der Normalzustand und beziehe sich nicht nur auf politische Systeme, sondern auch auf Banken, Journalist.innen, und NGOs.

Neue Wege zu Veränderungen

Zuckerman argumentiert, dass Wege gefunden werden müssen, auf denen Misstrauen in eine Ressource umgewandelt wird. Diese neuen Wege der Beteiligung sollten nicht so starr sein wie repräsentative Demokratien und gleichzeitig nicht so flüchtig und fragil wie Bürger.innenbewegungen und Demonstrationen. Speziell nennt er zwei miteinander verbundene Aspekte, durch die Bürger.innen wieder an Veränderungsprozessen teilnehmen könnten.

Dezentrale Strukturen aufbauen

Zum einen, so Zuckerman, sei die Etablierung dezentraler Strukturen notwendig, innerhalb derer Veränderungen nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch Veränderung von Normen und „Code“ beeinflusst werden. Als Positivbeispiele für Letzteres nennt er Freifunknetze und die Community-basierte Entwicklung von Verschlüsselungs-Software. Zweitens ließen sich digitale Technologien dezentral dazu nutzen, die Aktivitäten von Volksvertreter.innen stärker zu überwachen und dadurch zu kontrollieren (als Beispiel nennt er das Tool „promise tracker“). Über die Errichtung dezentraler Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten könnten Leute langfristig wieder Vertrauen darin gewinnen, dass sie tatsächlich etwas bewirken können – auch unabhängig vom Gang zur Wahlurne und Demonstrationen auf der Straße.

Wir finden: Nix da – „bringt ja alles nichts“

Zuckerman schätzt die Lage richtig ein: Viele Menschen misstrauen der Politik und Organisationen und sind dadurch gelähmt. Aber diese Betrachtungsweise wirkt nur noch mehr lähmend. Gerade gemeinsames Demonstrieren, gemeinsame Aktionen und die Mitarbeit in Organisationen überwindet den Pessimismus. Wir finden: Das Protestieren und Demonstrieren in der Öffentlichkeit ist besonders wichtig, um miteinander in Kontakt zu treten, sich zu vernetzen und andere thematisch interessierte Bürger.innen kennen zu lernen. Und wir finden: Bürger.innen sollten auf Politiker.innen zugehen, nicht nur zu Wahlen, sondern ganz direkt bei Veranstaltungen und Sprechstunden. Wir sollten unsere Stimmen nicht abgeben, sondern ihnen Gehör verschaffen.

Gestalten Sie mit: Organisieren Sie Protest

Politische Beteiligung über Wahlen, Demonstrationen und der Aufbau von dezentralen Strukuren gehören zusammen. Jede Form der Beteiligung erreicht unterschiedliche Ziele und wirkt an unterschiedlichen Stellschrauben der Gesellschaft. Hinter jeder selbstorganisierten Form der politischen Beteiligung stecken dezentrale Strukturen, wie Bündnisse, Mailinglisten, Foren und Organisationen, die gemeinsam daran arbeiten, dass Themen an die Öffentlichkeit gelangen, wie bei der „Freiheit-statt-Angst“-Tour 2015. Bei der Tour können Sie auf jeder Ebene mitarbeiten! Damit zum Beispiel die Vernetzung von netzpolitischen Aktivist.innen weiter voran gebracht wird, ist die „Freiheit statt Angst“-Demo in diesem Jahr auf Tour durch ganz Deutschland unterwegs. Seien Sie mit dabei und treffen Sie auf bekannte und neue Gesichter.


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