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Digitales Bargeld

Wir brauchen endlich eine digitale Währung mit den Eigenschaften von Bargeld. Unsere Netzphilosophin Leena Simon schreibt darüber in ihrem Buch „Digitale Mündigkeit“.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Digitale Mündigkeit – Wie wir mit einer neuen Haltung die Welt retten können“ von Leena Simon.

Das Buch weist Wege in die digitale Mündigkeit und liefert das Rüstzeug zum kritischen Denken und Handeln. Die Autorin prägte den Begriff „Digitale Mündigkeit“, als ihr auffiel, dass wir uns durch bevormundende Technik den Sinn für Verantwortung abgewöhnen (lassen). Ihr Mantra: „Egal, wie gut du dich mit Computern auskennst: Mach dir zum Ziel, mündig damit umzugehen, stell dich der Verantwortung, und der Rest kommt dann (fast) von allein.“ Das Buch zeigt auf, wie man sich dieser Verantwortung stellt, und illustriert dies mit vielen bunten Beispielen.

Ab Mai im Handel.
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Cover des Buchs „Digitale Mündigkeit - Wie wir mit einer neuen Haltung die Welt retten können“ von Leena Simon. Eine gezeichnete Person läuft zuversichtlich über eine Reihe von Nullen und Einsen.Leena Simon, CC-BY-SA 4.0

Digitale Mündigkeit – Digitales Bargeld

Bargeld kann man in die Hand nehmen. Etwas Digitales eigentlich nicht. Klar, man kann einen digital verfassten Text ausdrucken. Das Ergebnis dieses Ausdrucks würde man dann aber kaum mit dem Adjektiv „digital“ versehen. Sie können dieses Buch als analoges (also gedrucktes) Buch lesen oder in einer digitalen Version, zum Beispiel als PDF oder E-Book. Die Formulierung „digitales Bargeld“ klingt daher zunächst wie ein Widerspruch. Denn „bar“ ist es genau deshalb, weil es als analoger Schein oder Münze in Ihrer Tasche steckt. Dennoch postuliere ich hier, dass wir digitales Bargeld brauchen. Der Widerspruch ist beabsichtigt und soll dem Anspruch Ausdruck verleihen, dass die gesuchte Währung zwar digital vorliegen, aber gleichzeitig alle Eigenschaften von analogem Geld haben soll. (Mal abgesehen von solchen Eigenschaften wie dem Geruch oder den Koksrückständen, die angeblich an vielen Scheinen gefunden werden.)

Es muss so beschaffen sein, dass eine Oma ihrem Enkelkind auch in digitaler Form fünf Euro zustecken kann, ohne dass die Eltern oder der Staat oder überwachungskapitalistische Firmen und Banken das mitbekommen.

Die Europäische Zentralbank prüft derzeit die Einführung eines digitalen Euro. Dieser soll „sicher und benutzerfreundlich wie Bargeld heute“ werden. Das ist auch dringend nötig, denn bisherige digitale Bezahlmethoden sind alles andere als anonym. Neben den klassischen nicht anonymen Bezahlmethoden durch Überweisung und Kreditkarte (die zunehmend nur noch über den Umweg großer Finanzdienstleister angeboten werden), gibt es privatwirtschaftliche Finanzdienstleister wie Paypal, Amazon Pay und Klarna, die jede Menge Daten sammeln und mit ihrer Marktmacht immer unausweichlicher werden. Darüber hinaus gibt es verschiedene Crypto-Währungen wie den Bitcoin, die aber auch nicht wirklich anonym sind. (Jede Transaktion wird in der Blockchain festgehalten. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, in dem Daten in eine immer länger werdende Kette gespeichert werden. Diese Datenkette wird durch Verfahren wie das Prinzip der Dezentralität und des Erzeugen von Hashes vor nachträglichen Änderungen geschützt, hat aber einen ganzen Lattenzaun an Nachteilen. Das Verfahren wird vielerorts geradezu euphorisch gehyped, obwohl es kaum sinnvolle Anwendungsfälle gibt. Wenn Sie bisher nicht wussten, was eine Blockchain ist: Machen Sie sich nichts draus. Es reicht zu wissen, dass man auf den Hype nicht reinfallen sollte. Wenn Sie sich tiefer einlesen wollen, empfehle ich wärmstens das Essay „Das Dritte Web“ von Jürgen Geuter aka tante.) und zunehmend horrende Strommengen verbrauchen. Digitale Bezahlmöglichkeiten, die an das Bezahlen mit Bargeld herankommen, gibt es zur Zeit nicht.

Digitales Bargeld sollte folgende Eigenschaften haben:

  • anonyme Zahlungen, die auch die Bank nicht nachvollziehen kann

  • einfaches Bezahlen, auch von Kleinstbeträgen

  • flexibler Einsatz per Smartphone-App oder Wallet auf dem PC

  • auf Basis von freier Software und offenen Schnittstellen/Standards

  • kein mögliches double spending: Jede Münze kann nur einmal ausgegeben werden. Bei analogem Geld eine Selbstverständlichkeit, doch besonders wenn Zahlungen anonym erfolgen, muss ja sichergestellt sein, dass niemand eine Münze ausgibt und sie trotzdem behält.

  • staatlich reguliert, an eine Währung gekoppelt, zu der es eins zu eins umtauschbar ist

  • optimalerweise mit Mechanismen, die Geldwäsche, Finanzspekulationen und Steuerbetrug hindern, sofern sich das mit der Anonymität vereinbaren lässt

Diesen Ansprüchen gerecht zu werden, ist gar nicht so einfach.

Denn analoges Geld verfügt über wichtige Eigenschaften, die digital nur schwer zu simulieren sind:

  • Ein Stück Papier kann man jemandem überreichen, ohne Spuren zu hinterlassen. Digitale Daten brauchen einen Träger, auf dem sie gespeichert sind und hinterlassen meist Spuren. Man muss aktiv verhindern, dass eine Transaktion später nachvollziehbar wird.

  • Über die Stückelung lässt sich verhindern, dass zu große Mengen Bargeld zum Beispiel über eine Grenze transportiert werden. Da es keine Geldscheine mit einem höheren Wert als 500 Euro gibt (und auch diese zunehmend verschwinden), kann man in einem Koffer nur eine maximale Menge an Bargeld unterbringen. Große digitale Geldmengen nehmen dagegen kaum mehr Speicherplatz ein als kleine Beträge. Das erleichtert kriminelle Handlungen enorm, insbesondere die geringen Transaktionskosten machen es ausnehmend attraktiv für Geldschiebereien.

  • Jeden Geldschein und jede Münze gibt es nur einmal auf der Welt. Was uns beim Bargeld völlig trivial vorkommt und daher nie als besondere Eigenschaft aufgefallen ist, wird im Digitalen zu einer großen Herausforderung. Denn digitale Daten sind kopierbar. Genau genommen ist jeder Datentransfer ein Kopieren von Daten (auch beim Verschieben, da es sich hierbei technisch ebenfalls um eine Kopie handelt). Wie stellt man sicher, dass eine Münze nicht zwei Mal ausgegeben wird? Wie kann man dies nachträglich prüfen, wenn die Transaktionen gleichzeitig anonym bleiben sollen?

  • Die Verlockung, die Anonymität aufzugeben, um Kriminalität zu bekämpfen, ist sehr groß.

Ach Talerchen!

Neben den Planungen zum digitalen Euro und dem Bitcoin gibt es noch andere Projekte. Das vielversprechendste unter ihnen ist GNU Taler. Er ist ein an bestehende Währungen geknüpftes digitales Bezahlsystem, das auf freier Software basiert, und verspricht sowohl anonym als auch besteuerbar zu sein. Dies wird erreicht, indem „alle Einkommen auf Verkäuferseite lückenlos nachzuvollziehen“ sind, während die Einkäuferseite auf Anonymität vertrauen darf. Das bedeutet: Geld ausgeben ist anonym, Geld einnehmen nicht. So soll Steuerbetrug vermieden werden. Ab welchem Betrag Daten über Zahlungen anfallen, ist bei Taler konfigurierbar. So obliegt es der gesellschaftlichen Aushandlung, ob das oben gezeichnete Enkelbeispiel als Kleinstbetrag unter dem Radar läuft oder voll erfasst wird.

Der Einsatz von Taler wird derzeit nur in Modellprojekten erprobt. Zum Beispiel konnte man auf der „Wintergalaktischen Club Mate Party 2022“, kurz WICMP22, die Getränke mit Taler bezahlen, und an der Berner Fachhochschule gibt es einen Snackautomaten, der Taler annimmt. Auch im Schweizer Bundesrat beschäftigt man sich mit dem Projekt. Verlockend an dem System ist, dass es viele der oben an digitales Bargeld gestellten Ansprüche erfüllt. Oder bestrebt ist, sie zu erfüllen. Taler bringt außerdem zwei attraktive Faktoren zusammen: Es ist an bestehende Währungen gekoppelt und ist zusammen mit der jeweiligen Währung reguliert. Gleichzeitig basiert das System aber auf Prinzipien wie Anonymität und freier Software, was es flexibel einsetzbar macht und vor staatlicher Unbill schützt. Dagegen müssen wir beim digitalen Euro beispielsweise darauf hoffen, dass die dazu nötigen Apps auch auf anderem Weg als über Google oder Apple bezogen werden können. Da GNU Taler auf freier Software aufbaut, können aus der Zivilgesellschaft heraus auch Programme entwickelt werden, die man unabhängig von den großen App-Stores beziehen kann.

Die Gründe, die für die Einführung von digitalem Bargeld sprechen, sind zahlreich:

  • Die Abrechnungsvorgänge, auch Billing genannt, müssen sinnvoll vereinheitlicht und in öffentliche Hand gegeben werden, damit sich Geschäftsmodelle und gesunde Konkurrenz entwickeln können.

  • Nur wenn digitale Bezahlvorgänge schnell und einfach sind, können sich Geschäftsmodelle entwickeln, die nicht auf dem Sammeln von Daten basieren. Die Tatsache, dass digitales Bezahlen schon immer nervig und kompliziert war (und noch immer ist), führt zu der weit verbreiteten Grundhaltung, dass digitale Angebote kostenlos sein müssen. Kostenlose und werbefinanzierte Angebote waren einfach von Anfang an viel attraktiver, weshalb sie sich breitflächig durchgesetzt haben. Dies leistet dem Überwachungskapitalismus enormen Vorschub.

  • Geld bestimmt einen entscheidenden Teil unseres Lebens. Daran, wofür wir unser Geld ausgeben, lässt sich sehr viel über uns erfahren. Freiheit und Mündigkeit sind jedoch nur dann möglich, wenn wir in diesen Fragen nicht überwachbar sind.

  • Ohne digitales Bargeld werden privatwirtschaftliche Finanzdienstleister wie Paypal und Co immer mehr Macht anhäufen. Irgendwann wird man an ihnen nicht mehr vorbeikommen. Dabei handelt es sich um ziemlich üble Firmen. Paypal wurde von Peter Thiel gegründet, ein Tech-Milliardär, der Rechtsextreme finanziert und mit Aussagen wie „Wettbewerb ist was für Verlierer“ auf sich aufmerksam macht. Und auch Amazon und Klarna haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Beide Unternehmen wurden bereits mit dem Datenschutz-Negativpreis „BigBrotherAward“ ausgezeichnet.

  • Analoges Bargeld kommt aus der Mode. In Schweden sind Barzahlungen beinahe schon eine Kuriosität. Auch in Deutschland gibt es immer mehr Geschäfte oder Bars, in denen nur noch bargeldlos bezahlt werden kann. So lange es keine Möglichkeit für anonyme digitale Zahlungen gibt, ist das eine gefährliche Entwicklung.

  • Online-Artikel müssen ohne großen Aufwand zugänglich sein. Medienhäuser brauchen andere Bezahlweisen als teure Abos und Werbung mit Überwachung.

Das nächste Kapitel …

… des Buchs heißt übrigens „Der manipulierte Souverän" und startet mit einem Zitat von Marc-Uwe Kling. Wer weiterlesen möchte, kann es in unserem Shop bestellen.

Update (06.06.23)

Es wurden zwei Fehler korrigiert. Es handelte sich nicht um die UNI Bern, sondern um die Berner Fachhochschule. Außerdem erfüllt Taler die Anforderungen den Oma-Enkel-Beispiels viel besser, als zunächst angenommen. Danke an das Team von Taler für die freundliche Bitte um Korrektur.