Citizen Science in Braunschweig
Am 23. und 24. Juni 2023 lud unsere Ortsgruppe zum Public Data Sprint in die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig ein. Die Veranstaltung wurde von der Ortsgruppe initiiert und zusammen mit den beteiligten Wissenschaftler.innen sowie der Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen geplant. Das Ziel des Data Sprints war es, in einem kurzweiligen Format jedem und jeder die Möglichkeit zu geben, zu lernen, wie man wissenschaftliche Daten über die politische Kommunikation in sozialen Medien erhebt, interpretiert und kommuniziert. Das bedeutet einen etwas reflektierteren Ansatz als das bloße Sammeln von Daten durch Bürger.innen, welches normalerweise im Zentrum von Citizen Science steht. Geleitet wurde der Data Sprint von einem Team, bestehend aus dem GINGER-Projekt der Universität Bremen und dem EPINetz-Projekt der Universitäten Hildesheim und Heidelberg.
EPINetz ist ein Forschungsprojekt mit einem umfassenden Datensatz an Tweets deutscher Politiker.innen, welches den Teilnehmenden über ein intuitives Onlineportal für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt wurde. Ein interdisziplinäres Team aus Forscher.innen der Universitäten Heidelberg und Hildesheim pflegt den Twitter-Datensatz und entwickelt das Onlineportal. Das Projekt richtet sich übrigens auch an Lehrer.innen, die die Plattform in ihrem Unterricht verwenden möchten.
Bei GINGER handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Citizen-Science-Projekt der Universität Bremen. Bürger.innen bearbeiten zusammen mit Wissenschaftler.innen Fragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt mit Hilfe digitaler Werkzeuge. Ziel ist es, jeden und jede zu befähigen, selbst Daten zu erheben, zu interpretieren, auszuwerten und zu kommunizieren.
Der Sprint startet
Los ging es am Freitagnachmittag mit einer Vorstellungsrunde und einer Einführung in das Themenfeld Citizen-Science. Citizen-Science, auch Bürger.innenwissenschaft genannt, beschreibt Forschungsprojekte, die entweder komplett durch Laien oder mit deren Mithilfe durchgeführt werden. Anschließend ging es darum, sich mit der Benutzer.innenoberfläche des EPINetzes vertraut zu machen und alleine oder in kleinen Gruppen ein Thema zu definieren, welches man näher untersuchen möchte.
Der nächste Tag startet mit einem gemeinsamen Frühstück. Ab 10 Uhr ging es weiter mit der Festlegung auf das Thema und die anschließende Arbeit mit dem Datensatz. Gewählt wurden die Hashtags "#Asyl", "#IchBinArmutsbetroffen", "#Chatkontrolle" und "#KI". Mehrere Gruppen bearbeiteten dann diese Themen und bereiteten ihre Ergebnisse grafisch auf. Die Teams von GINGER und EPINetz halfen bei technischen Problemen mit der Plattform und der richtigen Strukturierung des Arbeitsprozesses.
Zum Abschluss stellte jede Arbeitsgruppe ihre Erkenntnisse den anderen vor und alle diskutierten die Beobachtungen. Warum hatte sich Partei X beim Thema Y so zurückgehalten? Warum gab es beim Thema Z so wenig Resonanz und welche Politiker.innen dominierten in den Tweets eine Diskussion?
Die Arbeit war damit allerdings noch nicht abgeschlossen. Durch die grafische Aufbereitung der Ergebnisse sollen sie auch anderen Citizen Scientists zugänglich gemacht werden.
Das Ergebnis: Ein reflektierterer Umgang mit sozialen Medien
Zusammengefasst können wir feststellen, dass wir nicht nur interessante Details über die Argumentationsstrategien politischer Parteien erfahren haben. Wir haben auch unser Verständnis von sozialen Medien vertieft. Das wird uns in Zukunft helfen, kritischer und reflektierter mit Inhalten umzugehen. Und auch wenn wir hier ausschließlich Erwachsene waren, so können wir uns gut vorstellen, dass ein Werkzeug wie EPINetz auch und gerade in der schulischen Bildung enorme Vorteile hätte.
Kollateralschaden für die Medienbildung
Hätte? Konjunktiv? Ja, denn leider erfuhren wir, dass Twitter während unseres Sprints in Braunschweig, den vormals kostenlosen Forschungszugang mit immensen Kosten belegt hat. Um im gleichen Umfang wie bislang Daten zu beziehen, wären Gebühren fällig, die die sonstigen Gesamtkosten des Projekts, inklusive Personal- und Sachkosten, noch überträfen.
Digitalcourage hat den Hang öffentlicher Stellen und Politiker.innen zur Nutzung proprietärer Plattformen für die politische Kommunikation stets kritisch gesehen. Und wir waren damit nicht allein. Insbesondere seit der „Machtübernahme“ bei Twitter durch Elon Musk haben wir mit großer Sorge den Verfall grundrechtlicher und ziviler Standards auf der Plattform verfolgt. Digitalcourage nutzt schon lange das Fediverse zur öffentlichen Kommunikation – und hat den Schritt weg von Twitter nicht bereut.
So kritisch wir Twitter gegenüber stehen, so unterstützen wir das Projekt EPINetz dennoch, weil es gerade auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen hilft, den kritischen Umgang mit Sozialen Medien und politischer Kommunikation im Internet zu lernen. Dieses Projekt ist durch Elon Musks Geschäftspolitik nun bedroht.
Auf der Kippe steht nicht nur die mehrjährige Arbeit der beteiligten Wissenschaftler.innen. Auch die Möglichkeiten für einen kritischen und spannenden Social-Media-Unterricht werden in Frage gestellt. Aus Sicht von Elon Musk ist das womöglich nur ein unerheblicher Kollateralschaden.
Ausblick: Mehr offene Plattformen wagen
Die Ortsgruppe Braunschweig schaut dennoch zuversichtlich auf das Projekt. Sie wünscht sich mehr Politiker.innen, die auf offenen und demokratischen Plattformen wie dem Fediverse kommunizieren. Die frischgebackenen Citizen Scientists sind überzeugt, dass EPINetz dann helfen kann, die Analyse politischen Austauschs in Sozialen Medien wieder spannend, reflexiv, kritisch aber auch unterhaltsam für alle zu machen. Ein Gewinn nicht zuletzt auch für die Demokratie.
Weiterführende Links
Auf der Website buergerschaffenwissen.de sind alle Citizen-Science-Projekte im deutschsprachigen Raum gelistet. Außerdem findet man dort Hilfe, falls man selbst ein Projekt anbieten möchte.