Kommunikationskunstwerk

„Wiwiwi – Nang Nang Nang” im Museum MARTa

„Die Wiwiwis sind einfach genug, um durchschaut werden zu können. Und selbst dann werden sie noch geliebt.”
Bild
Wiwiwi Nang Nang Nangs (Kunstwerke) auf einer Balustrade im MARTa Herford.

wiwiwi nang nang nang – Kommunikationskunstwerk von Rena Tangens und padeluun

Freundschaft lebt durch Austausch und Erkenntnis – und Kommunikation beginnt damit, die andere Person als Mensch zu erkennen und zu antworten. 1985 stellten wir in unserer Galerie "Art d'Ameublement" den Chaos Computer Club als Kunstwerk aus. Wenig später kauften wir unser erstes Modem, experimentierten mit elektronischer Kommunikation und bauten ab 1989 MailBox-Netze wie Z-Netz, CL und Zamir mit auf und gestalteten die Zerberus-MailBox-Software mit. Alles wohl durchdacht im Sinne von Erik Saties "Musique d'Ameublement" und ihrem Kunstkonzept vom "Rahmenbau".

1993 erreichte uns beide eine Anfrage vom Künstlerhaus Graz, die uns baten, unsere Arbeit in Kunst und Netzen doch zur Abwechslung mal in ein sichtbares Werk zu gießen, das "ausstellbar" ist. Und so bauten wir – mit Hilfe vieler freundlicher Genies (FUSSNOTE: "Club der freundlichen Genies" war damals die von Jens Ohlig erdachte Erklärung für den FoeBuD e.V., wie Digitalcourage früher hieß) – die "wiwiwis": eine Raum/Klang-Installation mit einer Satelliten-Graugans-Peer-Group zur Illustration menschlicher und netztechnischer Kommunikationsstrukturen, die unabhängig von der Landessprache funktioniert.

Jedes wiwiwi hat einen Korpus mit Schwanenhals und eigens entwickelter Elektronik, Flügel mit Solarzellen (unabhängige Stromversorgung für jedes wiwiwi), Watschelfüße und integrierte Lautsprecher. Die wiwiwis stehen in einer lockeren Gruppe beisammen. Nach Zufallsprinzip sagt eines von ihnen "wiwiwi", worauf alle anderen Elemente mit "nangnangnang" antworten.

Wiwiwi-nangnangnang ist kein Smalltalk – es ist die Basis von Austausch und Verständigung. Ein Gespräch kann auch eine Möglichkeit sein, sich der eigenen Existenz und der anteilnehmenden Anwesenheit der anderen zu vergewissern: "Hier bin ich." "Ich sehe dich." "Ich höre dir zu." "Ich reagiere." Das Gesprächsthema ist dabei keineswegs gleichgültig, aber es ist nicht die entscheidende Ebene der Kommunikation.

Konrad Lorenz' Beobachtungen zur Prägung von Graugänsen (wunderschön geschildert in "Das Gänsekind Martina") und Friedemann Schulz von Thuns vier Kommunikationsebenen (Sachinformation, Beziehung, Appell und Selbstoffenbarung) inspirierten Rena Tangens und padeluun, ihre Erfahrungen mit Kommunikation in den Netzen als Installation umzusetzen. Hier vereinten sich soziale und technische Gesichtspunkte in einem Skulpturenensemble.

Die wiwiwis begeisterten nicht nur das Kunstpublikum, Kritiker und Presse, sondern auch das Personal von zwei Fluglinien so, dass sie uns zwei mit 8 (acht!) Teilen "Handgepäck" (darunter 6 schweren großen grauen Boxen voll mit Elektronik) ohne Aufpreis nach Graz reisen ließen. Neben dem Künstlerhaus in Graz hatten die wiwiwis weitere Auftritte beim European Media Art Festival in Osnabrück, bei der Kunstausstellung "Earth Wire" im Norden Englands, beim Chaos Communication Congress und auf der Computermesse CeBIT. Wo immer die wiwiwis ausgestellt waren, bezauberten sie die Menschen – und Kinder lieben sie.

Tatsächlich interessierte sich ein großer neu ausgegründeter IT-Konzern dafür, das Ensemble zu kaufen und in seiner Eingangshalle aufzustellen. Jedoch fusionierte der Konzern sehr schnell mit einem anderen, so dass der Ankauf dann nicht mehr zustanden kam. Vielleicht findet sich ein anderes, etwas beständigeres Unternehmen der Kommunikationsbranche, das sich diese "Graugans-Kommunikations-Satelliten" als "Kunst am Bau" sichern möchte.

"Publikum – noch stundenlang – wiwiwi und nangnangnang." (frei nach Joachim Ringelnatz)

Das Kommunikationskunstwerk Wiwiwi Nang Nang Nang ist im Foyer der Ausstellung "SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft" im MARTa in Herford zu sehen.

Die Ausstellung läuft noch bis 15.10.2023

https://marta-herford.de/ausstellungen/wiwiwi-nang-nang-nang/

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Weitere Veranstaltungen mit Digitalcourage im MARTa:

Digitale Selbstverteidigung – Crypto-Cafe mit Digitalcourage im MARTa

Mi, 30.08.2023 und Sa, 14.10.2023

Crypto-Café am 30.August
Crypto-Café am 14.Oktober


Warum Smart Cities eine dumme Idee sind
Vortrag Rena Tangens im MARTa am Sa 23.9.2023
https://marta-herford.de/kalender/warum-die-smart-city-eine-dumme-idee-ist-vortrag-von-rena-tangens/


Digitalcourage im MARTa-Blog
https://marta-blog.de/digitalcourage-bielefeld/

Die Technik der wiwiwis

"Wie funktioniert das?" Freunde aus Hamburg, Klaas Henschel und Thomas Völker, entwickelten und bauten die Elektronik. Auf der eigens entwickelten Platine wurde auch noch Erik Satie, der Schöpfer der "Musique d'Ameublement" verewigt. Wichtige Elemente waren die Sprachausgabechips. Hier waren sowohl das "wiwiwi" als auch das "nang nang nang" gespeichert. Das "wiwiwi" wurde durch Zufall gesteuert. Sobald eines der Geräte "wiwiwi" sagte, sendete es gleichzeitig ein Funksignal. Das veranlasste die weiteren Teile der Herde mit "nang nang nang" zu antworten – und seinerseits den Zufallsgenerator neu zu starten.

Mit den heutigen Möglichkeiten der Technik wäre es auch mittels Sprachanalyse möglich, dass die Objekte auch antworten, wenn ein Mensch "wiwiwi" sagt. Überhaupt, gehören die "Robotergraugänse" nach draußen an den Betonteich vor dem innerstädtischen Konzerngebäude, wo sie Passanten und vor allem Kinder erfreuen können, oder in die hell erleuchtete Eingangshalle. Den Korpus ("Vorgabe: Sie müssen für den Transport in Euroboxen passen.") konzipierte Innenarchitekt Thomas Rohrer, Tischlermeister Augustin baute sie, Der Designer Stiletto stellte die Schwanenhälse als Designelement zur Verfügung. Die Sprachchips wurden vom "FoeBuD-Chor" besprochen, die richtig guten Solarzellen besorgte ein Freund, der bei einer großen Firma Solarforschung betrieb. Er zeigte uns auch, wie man diese richtig zusammenlötet und (allzuviel) Bruch vermeidet. Rasant: Die ersten Gedanken dazu sammelten wir auf unserer Austellungsfläche bei der CeBIT – exakt einen Monat später war Ausstellungseröffnung in Graz. wiwiwi!

Ist das Künstliche Intelligenz (KI)?

Rena Tangens und padeluun: "Unsere Wiwiwis sind kleine Maschinchen. Jedes davon kann "wiwiwi" sagen und damit die Kommunikation initiieren, worauf alle anderen mit "nang nang nang" antworten. Im Grunde ein kleiner Taschenspielertrick – ein Zufallsgenerator: Sobald der Trigger bei einem der Teile auslöst, sendet es einen Funkimpuls, den die anderen auffangen und dann den zweiten Sprachchip aktivieren, der das "nang nang nang" zurück gibt.

Hier findet sich in der Einfachheit auch der Diskurs (man kann auch Streit sagen) wieder, der zeitlebens zwischen KI-Forscher Marvin Minski und Joseph Weizenbaum stattfand: Weizenbaum kritisierte die KI-Forschung Minskis zum Teil mit einfachsten Mitteln – am bekanntesten ist das Programm "Eliza", das eine psychologische Erstbefragung simulierte. Eliza könnte als früher Versuch für einen Turing-Test (also die Frage, handelt es sich um einen Menschen oder um eine Maschine) angesehen werden, doch Weizenbaum hatte es eher als Parodie gedacht.

Wir haben Anfang der 1990er-Jahre diesen Programmcode erweitert um eine Datenbank mit netzszenetypischen Triggerworten und zugehörigen Antworten. Ursprünglich als "automatischer Chat" in unserer MailBox //BIONIC eingebaut, haben wir das in veränderter Form als Beschwerde-Annahme-Chat für das Kunst-Restaurant "Essen:Dialog" auf der Ars Electronica in Linz installiert.

Das Wesen von KI ist, dass wir es immer mit komplexer Statistik – aber nicht mit Bewusstsein zu tun haben. Wir Menschen neigen jedoch dazu, in Maschinen bewusstes Verhalten wahrzunehmen: "Mein Auto will das nicht" etc. Auch unsere Wiwiwis zeigen ein Verhaltensmuster, das auf einfachster Kommunikationsebene in der Interaktion mit Menschen "intelligent" erscheint.

"Die Wiwiwis sind einfach genug, um durchschaut werden zu können. Und selbst dann werden sie noch geliebt."