Bundestag auf TikTok – echt jetzt?
Können Drogen die Politik für junge Menschen attraktiver machen? Der Bundestag möchte Jugendliche besser ansprechen und dazu würden sich doch Drogen ganz hervorragend eignen. Weder Kosten noch Mühen werden gescheut: Wer Neugier an der Arbeit des Bundestages zeigt, kann diese auch direkt beim Bundestag stillen und wird fürs Kommen wahlweise mit Heroin, Koks oder Amphetaminen belohnt. Na, wenn das nicht unsere Demokratie aus der Krise führt!
Hoffentlich ist Ihnen beim Lesen des ersten Absatzes aufgefallen, dass da was nicht stimmen kann. Und tatsächlich haben wir gerade etwas geflunkert. Allerdings weniger, als man hoffen würde. Denn statt Drogen soll es ein TikTok-Kanal sein. Die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die das durchsetzen will, weiß offenbar selbst, dass dieser Schritt äußerst problematisch ist und erwidert auf irritierte Nachfrage: „Aber es ist nicht verboten.“ (Süddeutsche)
Das ist Haschisch ja auch nicht mehr. Folgerichtig sollte der Bundestag fortan Haschisch anbauen und es an Jugendliche geben, „die sich nirgendwo anders informieren“ (Münchner Merkur) als an Orten, wo Joints rumgehen.
Nein? Warum denn nicht? Jetzt zieren Sie sich doch mal nicht so! Es ist doch für die gute Sache!
Leider ist es gar nicht zum Scherzen. Denn mit einem TikTok-Account widerspricht der Bundestag genau den Werten, die er eigentlich hoch halten sollte.
1. Abhängigkeit von einer ausländischen Plattform
Der Bundestag, das Herzstück der Demokratie, macht sich von einem privaten, autoritären und giergetriebenen Konzern (ByteDance, China) abhängig. Mit der Folge, dass zentrale Institutionen unserer Demokratie von den Regeln und Launen einer Firma abhängen.
2. Sicherheitsrisiken
TikTok steht im Verdacht, Daten in großem Umfang zu sammeln und an staatliche Stellen in China weiterzugeben. Wenn Abgeordnete oder Verwaltung dort Inhalte posten, können Metadaten über Aufenthaltsorte, Kommunikationsmuster usw. in falsche Hände geraten. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber fand die treffenden Worte im Fediverse: „Seltsam: Gegen den einen mutmaßlichen China-Spion (Mitarbeiter des rechtsextremen [Maximilian] Krahe [sic] geht der Generalstaatsanwalt vor, den anderen mutmaßlichen Spion (TikTok) holt sich der Bundestag freiwillig ins Haus und promotet ihn auf den Geräten der Bürger:innen.“
3. Demokratische Institutionen auf Überwachungsplattform
Der Bundestag soll Vertrauen, Transparenz und demokratische Selbstbestimmung vermitteln. TikTok hingegen basiert auf algorithmischer Manipulation, Ausnutzung von Suchtmechanismen und umfassender Datensammelei. Das passt so gut zusammen, wie Nestlé und Nachhaltigkeit / Zuckersteuer / wie ein Weinköniginnenkrönchen und Korruptionsbekämpfung.
4. Signalwirkung
TikTok wird durch den Bundestag legitimiert. Wenn sogar der Bundestag TikTok nutzt, kann es ja nicht so schlimm sein. Damit wird implizit vermittelt: „Diese App ist unbedenklich.“ Was sie nicht ist. Jugendliche und Erwachsene nehmen dies als stillschweigende Empfehlung.
5. Zensurgefahr
Inhalte auf TikTok können von der Plattform willkürlich verstärkt, unterdrückt oder gelöscht werden. Damit gibt der Bundestag die Kontrolle über seine öffentliche Kommunikation aus der Hand.
6. Demokratiepädagogik versus Klicklogik
Politik lebt von Tiefe, Debatte und Differenzierung. TikTok lebt ausschließlich von Kürze, Aufmerksamkeitsheischerei und Unterhaltung. Der Bundestag müsste sich den Spielregeln einer Plattform unterwerfen, die nicht auf Aufklärung, sondern auf maximale Verweildauer optimiert ist.
7. Budget für Müll-Inhalte
Um auf TikTok Aufmerksamkeit zu erhalten, müssen ständig polarisierende, flache Kurzvideos produziert werden. Ob diese einen Mehrwert enthalten, ist für das Social-Media-Team des Bundestages dabei nachrangig. Denn gehaltvolle Videos werden seltener angezeigt und „laufen“ nicht gut. Entsprechend wird man schnell davon abkommen und sich der Logik des Konzerns unterwerfen. Wir bezahlen dann für ein Team, das sich dauerhaft darum kümmert, substanzlose Inhalte zu produzieren. Das ist teuer, schädlich und nutzlos.
8. Alternativen verkümmern
Es gibt öffentlich-rechtliche, unabhängige Kanäle und sogar föderierte Plattformen wie das Fediverse, wo der Bundestag Inhalte ohne Konzernabhängigkeit bereits bereitstellt. Anstatt die Präsenz für viel weniger Geld dort auszubauen, verfällt man lieber einer irrigen Reichweitenlogik. Der letzte Post des Bundestages im Fediverse ist nun schon über einen Monat alt(!).
Screenshot: Mastodon von Ulrich Kelber
Während andere Länder den Gebrauch von Social Media bei Jugendlichen sogar verbieten, kommuniziert der Deutsche Bundestag das Gegenteil: Wenn ihr TikTok toll findet, sollt ihr es auch haben. Bedenken second.
Wir lehnen das ab. Denn erstens ist es aus diversen Punkten problematisch, eine derart manipulative Plattform zum offiziellen Kommunikationskanal zu machen, und zweitens fehlt auf der anderen Seite das Engagement, um freie Plattformen mit derselben Energie zu versorgen. Ein doppelt fatales Signal.