Beschwerde-Welle gegen „verhaltensorientierte“ Google-Anzeigen
P r e s s e m i t t e i l u n g
Berlin/Bielefeld, 4. Juni 2019
Am Dienstag, 4. Juni werden zwölf Menschenrechts- und Digitalrechtsorganisationen in neun EU-Ländern gleichzeitig bei Datenschutzbehörden Beschwerden gegen rechtswidrige Techniken der verhaltensorientierten Online-Werbung einreichen. Koordiniert wird die Beschwerdewelle von Civil Liberties Union for Europe (Liberties).
Text der Beschwerde online:
https://digitalcourage.de/blog/2019/beschwerde-real-time-bidding
Text der Beschwerde als PDF:
https://digitalcourage.de/sites/default/files/2019-06/Beschwerde_verhaltensbasierte_Werbung_04062019.pdf
In Deutschland reichen die Organisationen Digitale Gesellschaft e. V., Netzwerk Datenschutzexpertise, Digitalcourage e. V. und der Datenschutzverband Deutschland e. V. Beschwerden bei den 16 Landesdatenschutzbehörden ein.
Übertragung von Massendaten bei „Real Time Bidding“
Die Beschwerden richten sich gegen zwei Hauptsysteme, die der verhaltensbasierten Onlinewerbung zugrunde liegen. Beide arbeiten nach der Spezifikation „Real Time Bidding“ (RTB) und dienen dazu, personalisierte Werbung auf Websites bereitzustellen:
• OpenRTB wird von praktisch jedem bedeutenden Unternehmen in der Online-Medien- und Werbebranche verwendet.
• Authorized Buyers ist Googles proprietäres RTB-System, das vor Kurzem von „DoubleClick Ad Exchange“ (kurz „AdX“) in „Authorized Buyers“ umbenannt wurde.
Massive Datenschutzverletzung
Die Beschwerden markieren den Beginn der Kampagne #StopSpyingOnUs von Liberties und ihren Partnern. Ziel der Kampagne ist es, die europäischen Datenschutzbehörden über eine anhaltende, massive Datenschutzverletzung zu informieren, die alle Nutzerinnen und Nutzer des Internets betrifft.
Elisabeth Niekrenz, Juristin und politische Referentin der Digitalen Gesellschaft, erklärt: „Das Ausmaß an intimsten Informationen, die beim Surfen entstehen und über deren weitere Verwendung Internetnutzerinnen und -nutzer jede Kontrolle verlieren, ist immens.“
Liberties Rechtsexpertin, Eva Simon, erklärt: „Jedes Mal, wenn eine Person eine Website besucht und ihr eine ‚verhaltensorientierte’ Anzeige angezeigt wird, werden ihre persönlichen Daten, wie z.B. Browserverlauf oder Standort, aber auch sexuelle Orientierung oder sogar eindeutige ID-Codes, in Echtzeit an Tausende von Unternehmen weitergereicht. Digitale Werbeunternehmen können diese Daten durch eine ‚Gebotsanfrage’ (bid request) übertragen, um den Werbeplatz auf der von Ihnen besuchten Website zu verkaufen. Diese Werbemethode verstößt eindeutig gegen die EU-Datenschutzverordnung (GDPR).“
„Das Internet ist nicht dafür da, um Menschen auf Schritt und Klick zu überwachen“, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Google- und Co. nutzen ihre Macht aus, um unter dem Deckmantel der Werbung Menschen heimlich zu durchleuchten. Mit unserer Beschwerde wollen wir das stoppen.“
Erhebliche Datenschutzbedenken
Es gibt drei zentrale Gründe für erhebliche Datenschutzbedenken beim Einsatz von verhaltensbasierter Internetwerbung:
(1) Eine massenhafte Übertragung von Informationen über Einzelpersonen.
(2) Der praktizierte Mechanismus der Branche ermöglicht es nicht, die Kontrolle über die Verbreitung personenbezogener Daten nach deren Übertragung (bzw. überhaupt) zu behalten.
(3) Die Verarbeitung betrifft sehr oft besondere Kategorien personenbezogener Daten (Art. 9 Abs. 1 DS-GVO). Die besuchten Webseiten können Indikatoren enthalten, die über Sexualität, Ethnizität, politische Meinungen etc. Auskunft geben.
Es gibt keine rechtliche Grundlage für eine solche allgegenwärtige und invasive Profilerstellung und Verarbeitung personenbezogener Daten aus Profitgründen (Art. 22 Datenschutz-Grundverordnung – DS-GVO).
Alle Europäerinnen und Europäer können mitmachen
Zusätzlich zu den koordinierten Beschwerden wird #StopSpyingOnUs alle Europäerinnen und Europäer ermutigen, sich der Kampagne anzuschließen, indem sie selbst über eine von Liberties eingerichtete Kampagnen-Website individuelle Beschwerden einreichen. Mittels vorbereiteter Einreichungen können sich dort alle Interessierten an ihre nationalen Datenschutzbehörden richten und sich so am Kampf zum Schutz ihrer Online-Daten beteiligen.
„Wir möchten die Menschen befähigen, die Verletzung ihrer Rechte im ‚Ökosystem' der Online-Werbung zu stoppen, denn dieses bietet kaum Instrumente, um uns selbst zu schützen“, sagt Orsolya Reich, Advocacy Officer bei Liberties.
Die bevorstehende Beschwerdewelle wird bereits die dritte seit September sein. Die ersten Klagen wurden von Dr. Johnny Ryan von Brave, dem privaten Webbrowser, Jim Killock, Geschäftsführer der Open Rights Group, und Michael Veale vom University College London eingereicht. In Irland hat die zuständige Datenschutzbehörde bereits eine Untersuchung eingeleitet.
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