KI-Gesetz: Ampel bricht Koalitionsvertrag

Wir veröffentlichen die Position der deutschen Bundesregierung im Rat der EU. Dort setzt sich die Ampel für Ausnahmen beim Verbot biometrischer Massenüberwachung ein. Ein klarer Bruch des Koalitionsvertrags.

P r e s s e m i t t e i l u n g
Bielefeld, 09.01.2023

KI-Gesetz: Ampel bricht Koalitionsvertrag

Auf europäischer Ebene wird gerade das KI-Gesetz verhandelt. Darin soll ein Verbot von biometrischer Massenüberwachung, wie z.B. automatisierte Gesichtserkennung, geregelt werden. Der gemeinnützige Verein Digitalcourage veröffentlicht eine Stellungnahme der deutschen Bundesregierung an den Rat der Europäischen Union aus der hervorgeht: die Ampel bricht in der EU den Koalitionsvertrag und setzt sich dort für Ausnahmen beim geplanten Verbot für biometrische Massenüberwachung ein.

Die Ampelkoalition macht im Rat der EU hinter verschlossenen Türen das Gegenteil von dem, was sie öffentlich versprochen hat.“ – Konstantin Macher, Digitalcourage e. V.

Die Bundesregierung fordert, das Verbot biometrischer Massenüberwachung nur auf Echtzeitsysteme anzuwenden. Sie besteht darauf, dass biometrische Überwachungssysteme erlaubt bleiben, die erst mit zeitlicher Verzögerung angewendet werden:

„Die biometrische Fernidentifizierung in Echtzeit im öffentlichen Raum muss nach europäischem Recht ausgeschlossen werden. Eine retrograde biometrische Identifizierung, z. B. bei der Auswertung von Beweismitteln, darf jedoch europarechtlich nicht ausgeschlossen werden. Die Diskussion über das Verbot biometrischer Identifizierungssysteme in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d ist jedoch noch im Gange. Wir behalten uns vor, weitere Stellungnahmen abzugeben.“ (Bundesregierung, Übersetzung ins Deutsche durch Digitalcourage).

Englischer Originaltext:

„Remote biometric identification in real time in public spaces must be excluded under European Law. However, retrograde biometric identification, e.g. during the evaluation of evidence, must not be excluded under European Law. However, discussions are still under way in regard to the prohibition in Article 5(1) letter (d) of biometric identification systems. We reserve the right to submit further comments.“ (Bundesregierung)

Das ist ein klarer Bruch mit dem Koalitionsvertrag, der ausnahmslos ein Verbot biometrischer Massenüberwachung vorsieht.

„Das Verbot nur auf Echtzeitüberwachung zu begrenzen lässt sehenden Auges ein Schlupfloch für den Missbrauch biometrischer Daten zur zeitlich nachgelagerten Massenüberwachung. Das muss der Bundesregierung bewusst gewesen sein.“ – Konstantin Macher, Digitalcourage e. V.

Digitalcourage fordert, dass die Ampelkoalition jetzt umlenkt und den Koalitionsvertrag einhält. Dafür muss die Bundesregierung jetzt Schadensbegrenzung betreiben und bei den kommenden Trilogverhandlungen die eigene Position im Rat der EU korrigieren und sich konsequent für ein Verbot biometrischer Massenüberwachung einsetzen.

Hintergrund

Das Verbot biometrischer Massenüberwachung in der EU soll durch eine Verordnung geregelt werden: das KI-Gesetz. Der Vorschlag der europäischen Kommission vom April 2021 sieht zwar ein Verbot vor, schränkt es durch zahlreiche Ausnahmen aber viel zu stark ein, so dass damit de facto biometrische Massenüberwachung legalisiert würde. Der Vorschlag der EU-Kommission muss zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union verhandelt werden. Im EU-Parlament zeichnet sich eine Mehrheit für ein Verbot ohne Ausnahmen ab. Der Rat der EU hat dagegen am 6. Dezember 2022 unter deutscher Beteiligung für die Verhandlungen einen Vorschlag beschlossen, der Ausnahmen zulässt. Eine ausführliche Erklärung findet sich im Blog von Digitalcourage: https://digitalcourage.de/blog/2023/biometrie-ampel-bricht-koalitionsvertrag

Das Dokument, das Digitalcourage heute veröffentlicht, ist eine Erklärung der Bundesregierung zum Vorschlag im Rat der EU. Deutschland hatte den Beschluss im Rat unterstützt und gleichzeitig in einem Begleitdokument auf weitere Details verwiesen, siehe Dokument mit dem Titel „Allgemeine Ausrichtung – Erklärung Deutschlands“.
Die „schriftliche Stellungnahme vom 8. November“, auf die die deutsche Regierung dort verweist, war bislang nicht öffentlich und ist jetzt auf der Seite von Digitalcourage verfügbar: https://digitalcourage.de/sites/default/files/2023-01/Ratsposition_Ampel_KI_Gesetz.pdf

Die Position der deutschen Bundesregierung zum KI-Gesetz im Rat der EU widerspricht eindeutig dem Koalitionsvertrag. Darin heißt es:

„Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“

Und:

„Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen.“

Konstantin Macher, von Digitalcourage e.V., erklärt dazu:

Die Ampel verstößt mit ihrer Unterstützung für nachgelagerte biometrische Massenüberwachung gegen den Koalitionsvertrag.

Digitalcourage
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