Lichtbildausweis von Digitalcourage in den Niederlanden akzeptiert

Ausweis-Skandal in den Niederlanden: Ein Journalist testete den von Digitalcourage ausgegebenen nicht-amtlichen Lichtbildausweis - und kam fast überall hinein.

Die niederländischen Medien berichten seit gestern über den Fall des Journalisten Brenno de Winter, der mit einem Digitalcourage-Lichtbildausweis Zutritt zu zahlreichen Ministerien, zum nationalen Cyber-Abwehr-Zentrum bekam und mit Phantasie-Identität sogar an der Parlamentswahl teilnehmen konnte. Der selbstgemachte Ausweis wurde problemlos überall akzeptiert, obwohl im Hintergrund das Brandenburger Tor in Berlin zu sehen ist – nicht gerade ein Hoheitssymbol der Niederlande.

Bei dem Lichtbildausweis des niederländischen Journalisten handelt es sich um eine Ausweiskarte von Digitalcourage, den man sich mit realen oder erfundenen Daten bedrucken lassen kann – ein nichtamtliches Ausweisdokument. "Weil man heutzutage so gut wie überall nach einem Ausweis gefragt wird, und das oft ohne wirkliche Berechtigung, wollten wir den Menschen eine Möglichkeit geben, ein Stück weit anonym zu bleiben – und sich etwa mit dem Twitter-Namen auszuweisen," so padeluun von Digitalcourage. "Dass unser Lichtbild-Ausweis aber so gut ankommt wie in den Niederlanden, hätten wir nicht gedacht."

Den "nichtamtlichen Lichtbildausweis", so der offizielle Name, vertreibt Digitalcourage schon seit Ende 2011, der Skandal in den Niederlanden ist der erste öffentlich gemachte Beweis für die "Funktionalität". Politiker in den Niederlanden reagierten entsprechend geschockt. Dabei sind der Vertrieb und das Nutzen eines nicht-amtlichen Lichtbildausweises in Deutschland ganz legal, lediglich an einigen bestimmten Stellen (z.B. berechtigten Behörden) muss man sich mit einem amtlichen Lichtbildausweis ausweisen.

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Hier eine deutsche Übersetzung der Geschichte von nu.nl:

Den Haag -- Ausweisdokumente werden nicht oder kaum richtig kontrolliert. Das scheint das Ergebnis einer Untersuchung von NU.nl zu sein, fast nirgendwo wurde mit einem mit nicht existierendem Ausweis der Zutritt verweigert.

Seit Januar nutzt ein NU.nl Reporter einen scheinbar deutschen Ausweis für alle Gelegenheiten, bei denen man sich ausweisen muss. Der "Lichtbildausweis" enthielt sowohl korrekte Daten als auch verschiedene Andeutungen die darauf hinweisen, dass es sich nicht um einen legitimen Ausweis handelt. So stand als Pseudonym 'Bigwobber' auf dem Ausweis. Zu keinem Zeitpunkt wurde dieser als Legitimation nicht akzeptiert.

Überall Zugang

Der Lichtbildausweis wurde an vielen Orten als Identifikationsmittel gebraucht. Diverse Ministerien akzeptierten ihn als hinreichende Legimitation. Auch von OPTA (das niederländische Äquivalent zur Bundesnetzagentur [d. Übers.]), vom Untersuchungsrat für Sicherheit, vom niederländische Parlament, vom nationale Cyber Security Centrum (ein Teilbereich der Terrorismusbekämpfung und Sicherheit [d. Übers.]) und in einem Wahllokal für die Parlamentswahlen wurde er akzeptiert.

Minister soll im Parlament befragt werden

Für die ChristenUnie ist das Versagen der Bewachung an so vielen Orten unakzeptabel. Die Partei will den Minister für Sicherheit und Justiz Ivo Opstelten vorladen. Auch muss eine Parlamentsvorlage mit einem Plan zur Lösung der Problematik kommen, die dann von der Partei ausführlicher im Parlament besprochen wird. "Ich bin vor Verblüffung vom Stuhl gefallen", sagt ChristenUnie-Abgeordneter Gert-Jan Segers. "Dass man neun Monate einfach überall, von Ministerien bis Wahllokal, von der Polizei bis zum königlichen Palast einfach mit einem gefälschten Ausweis hereinkommt, ist einfach schockierend." Bemerkenswert war weiterhin, dass der Ausweis bei Besuchen des KLPD (=BKA), der Polizei Haaglanden und Südostbrabant akzeptiert wurde. Ebenso wurde der nichtexistierende Ausweis von der Militärpolizei beim Besuch des königlichen Palastes akzeptiert. Der AIVD (der niederländische Inlandsgeheimdienst) führte bei einem Besuch zwar ein strenges Screening durch, stolperte aber nicht über das Ausweisdokument. Aus Gründen der Staatssicherheit wurde der Geheimdienst direkt von NU.nl informiert, dort wurden Prozesse angepasst.

Wahlen

Bei den Parlamentswahlen schien der nachgemachte Ausweis ausreichend, um in die Wahlkabine zu kommen. Nach der Stimmabgabe wurde der Wahllokalvorsitzende mit der mangelhaften Kontrolle konfrontiert. Um den Abstimmungsprozess nicht zu beeinflussen wurde nachträglich ein echter Ausweis gezeigt. Auch im Europaparlament, wo mehr Erfahrungen mit internationalen Ausweispapieren besteht, wurde der Lichtbildausweis als korrekt akzeptiert. Zwecks Überprüfung hat es auch eine andere Person, die sich selbst einen Lichtbildausweis besorgt hatte, getestet. Die Karte eines Hackers, der unter dem Pseudonym BugBlue arbeitet wurde in Regierungsgebäuden und Hotels akzeptiert.

Privatwirtschaft

Auch in verschiedenen Unternehmen wird nicht gut die Korrektheit des Ausweises überprüft. So akzeptierten Mitarbeiter von Albert Heijn (Supermarktkette, teilw. mit Postagentur) ihn als Berechtigung zur Abholung eines Einschreibens und eines Pakets. Diverse Hotels, darunter Ibis und das Kurhaushotel akzeptierten die Karte. Im Zug wurde er vom Schaffner als Identifikation für ein Onlineticket akzeptiert. Auch schien es möglich mehrmals von Vodafone und T-Mobile eine neue Simkarte zu bekommen. Von T-Mobile wurde beim dritten Besuch im selben Geschäft nach Zweifeln der Ausweis nicht mehr akzeptiert. "Dies ist kein einmaliger Zufallstreffer eines Journalisten auf der Suche nach einer Schlagzeilte", stellt ChristenUnie-Abgeordneter Segers fest. "Wenn dies tatsächlich so abgelaufen ist, weist es ein auf ein ernstes, strukturelles Sicherheitsproblem hin. Die Kontrolle von Ausweispapieren taugt einfach nicht." "Sogar die Erwähnung des Pseudonyms 'Bigwobber' (Hintergründe siehe http://www.bigwobber.nl/) auf der Karte hat nirgends die Alarmglocken schellen lassen. Da es sich um ein akutes Problem handelt, will ich am Dienstag Minister Opstelten vor das Parlament zitieren", so der Politiker weiter. "Bürger und Amtsträger haben ein Recht auf sicheren Schutz und De Winter hat auf ernste Schwachstellen hingewiesen."

Offensichtliche Fälschung

"Dies ist ziemlich besorgniserregend wenn es um Identifikation und Sicherheit geht, aber passt zu meinen Erfahrungen, dass eine genaue Identitätsfeststellung, ob es sich dabei um ungültige Ausweispapiere oder um Doppelgänger handelt, noch immer unzureichende Aufmerksamkeit erhält", stellt Piet Roelofsen, Leiter von PG Support, Kursanbieter auf dem Gebiet von Ausweisdokumenten und Herausgeber eines Nachschlagewerkes auf diesem Gebiet --widboek.nl- fest.

Er betonte die Existenz von Übersichten mit Mustern von Ausweispapieren. "Was dort nicht drin steht ist auch nicht rechtsgültig. Ein 'Lichtbildausweis' ist dort sicher nicht zu finden, da es sich nicht um einen gültigen Reisepass oder Personalausweis eines Landes innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums handelt!"

Mängel

Um festzustellen, daß der Lichtbildausweis nicht gültig ist, braucht man ihn nicht in der Hand haben. Abseits des Wissens, daß dieses Papier nicht durch Deutschland als gültiges Dokument herausgegeben wurde, zeigt die Fotokopie ihm zufolge verschiedene Mängel. Der Lichtbildausweis hat 36 computerlesbare Positionen während ein echter Ausweis standardmäßig 30 hat. Auch sind Bezeichnungen in der Aufzählung der Positionen unrichtig. Wer zweifelt, kann die computerlesbaren Bereiche auch im Internet nicht offiziell bestimmen. Weiter sieht Roelofsen dass sich die Farbe Schwarz in der Helligkeit und Dicke ändert. "Alles Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist," meint er dann auch. "Ein echtes Ausweispapier hat Echtheitsmerkmale, welche mit Hilfsmitteln wie ultraviolettes Licht Effekte zeigen. Ein Test mit solchen Mitteln hätte die Fälschung des Dokuments angedeutet. Wenn man dann zusätzlich noch von Mustern Gebrauch macht kann man prüfen ob Linien im Untergrund oder der Schutzschicht stecken. Abweichungen können auf einen Austausch des Bildes deiten."

Computer

Im Vergleich mit der Verpflichtung zur Zusammenarbeit, welche von Unternehmen bei Ausweisbetrug oder Falschgeld erwartet wird, ist es für Roelofsen nicht zu rechtfertigen, dass Menschen auf verantwortlichen Posten bei der Regierung darauf nicht eingerichtet sind.

Dank an @dl1eam für die deutsche Übersetzung des niederlänischen Originalartikels