Diskussion zum „Recht auf Vergessen“ im Landtag Bayern
Am Mittwoch, den 28. Januar 2015 fand auf Einladung der Fraktion von Bündnis '90/Die Grünen im Bayrischen Landtag eine Veranstaltung zum Thema „Recht auf Vergessen“ statt. Verena Osgyan – stellvertretende Fraktionschefin und Sprecherin für Netzpolitik der Grünen Landtagsfraktion – diskutierte mit Thomas Kranig, Präsident des Landesamts für Datenschutz in Bayern, Birgit Kimmel, Pädagogische Leitung der EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz und Jan Schallaböck, Partner bei der Anwaltskanzlei iRights.Law und ehemaliger Mitarbeiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein.
Recht auf Vergessenwerden
Alle Beteiligten stellten übereinstimmend klar, dass der Titel unpräzise und unglücklich gewählt sei, da es eher um ein „Recht auf Vergessenwerden“ gehe und außerdem ein ungewollter Zusammenhang zum Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz (am Tag zuvor) entstehe, an dem regelmäßig ein Zeichen gegen das Vergessen gesetzt werden soll.
Kranig: Europäische Datenschutzgrundverordnung statt Advisory Boards
Thomas Kranig analysierte zunächst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mai 2014 und stellte besonders heraus, dass damit Informationssammlern und Suchmaschinenbetreibern eine Verantwortung zuteil wird. Außerdem wird in dem Urteil das Marktortprinzip gestärkt. Die Abwägung zwischen dem Recht auf Informationsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht werde allerdings privaten Suchmaschinenbetreibern überlassen, erklärte Kranig. Die Kriterien der Abwägung seien allerdings nicht transparent. Googles Advisory Board, dem unter anderem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger angehört, sei zwar ein Versuch dieser Verantwortung Rechnung zu tragen und länderspezifische Sensibilitäten zu berücksichtigen, aber eine endgültige Lösung stelle dieser Versuch nicht dar.
Als Präsident des Landesamtes für Datenschutz in Bayern ist Kranig hauptsächlich für Streitigkeiten um Löschanträge bei Yahoo! und bing verantwortlich – von denen es nur eine kleine Zahl gab -, denn Googles deutsche Niederlassung sitzt iin Hamburg. Eine europaweite oder gar weltweite Regelung sei wünschenswert, aber aufgrund verschiedener Wertvorstellungen und Gesetzeslagen äußerst schwer durchzusetzen. Kranig sieht die einzige momentane Möglichkeit in der neuen Europäischen Datenschutzgrundverordnung, die auf dem Weg sei, aber sicher noch mindestens drei Jahre bis zur Umsetzung benötige. Dort solle der »Privacy by Design« Gedanke verankert und geregelt werden. Das heißt, dass nur eine minimal nötige Menge an Daten von Internetnutzern abgefragt werden dürfe. Bis dahin, liege die Verantwortung wohl noch ausschließlich beim User selbst, sagte Kranig.
Schallaböck: Verantwortlichkeit der Presse übertragen statt Suchmaschinenbetreibern
Jan Schallaböck machte einen kurzen Ausflug durch das Datenschutzrecht und betonte vor allem, dass die Erforderlichkeit von Datensammlungen gegeben sein müsse. Seiner Meinung nach bewege sich Google hier auf dünnem Eis. Er unterstrich auch den grundsätzlichen Unterschied zwischen Presseunternehmen und Suchmaschinenbetreibern, der darin bestehe, dass es im Presserecht eine feine Unterscheidung zwischen Veröffentlichungs- und dem allgemeinen Interesse und Persönlichkeitsrechten gebe. Suchmaschinenbetreiber verfügen über diese Unterscheidung nicht, sondern sammeln und beschaffen primär Informationen. Das seien aber Aufgaben, die ursprünglich von Geheimdiensten wahrgenommen wurden, sagte Schallaböck.
Weiterhin wies Jan Schallaböck darauf hin, dass Manipulationen von Suchergebnissen im Bereich des Urheberrechts bereits seit Jahren Praxis sind und stellte drei grundlegende Probleme des EuGH-Urteils für die Löschpraxis heraus: Erstens seien Ergebnisse von außerhalb der EU (bzw. durch Einsatz von nicht-EU IP-Adressen) weiterhin abrufbar. Zweitens werde die Entscheidung den Suchmaschinenbetreibern überlassen. Dies stelle insbesondere für kleine Betreiber eine Hürde für den Markteintritt dar, die sich eine eigene Löschabteilung leisten müssen. Das festige die Monopolstellung der großen Anbieter. Und drittens, als größtes Problem, erhalten Google, bing, Yahoo! & Co. mit den Löschanträgen das exklusive Wissen darüber, wer was aus welchen Gründen gelöscht haben möchte.
Insbesondere zur Lösung des letzten Problems schlug Schallaböck vor, die Entscheidung, welche Inhalte in den Index eingehen, den Verlegern und der Presse zu überlassen. Durch das Verwenden einer robots.txt, die Webcrawlern Informationen darüber bietet, welche Inhalte einer Webseite indiziert werden sollen, könnten Journalistinnen und Blogger die Verantwortung für die Auffindbarkeit in Suchmaschinen übernehmen. Dazu will Schallaböck sie gesetzlich verpflichten und damit die Verantwortung für das Verbergen von sensiblen Personendaten den Suchmaschinen entziehen. Des Weiteren schlug Schallaböck vor, durch Zufallsparameter eine Art »digitales Rosten« zu ermöglichen, der wahllos Informationen verschwinden lässt.
Kimmel: Privacy by Design und digitale Selbstverteidigung stärken
Birgit Kimmel nahm eine medienethische und pädagogische Perspektive auf das Thema ein und erläuterte, das viele Menschen dem Privacy-Paradoxon unterworfen seinen. Datenschutz und Privatsphäre würden als wichtig angesehen, das Handeln aber nicht daran ausgerichtet. Dazu verwies Kimmel auf eine, in Kürze erscheinende Studie, die von KlickSafe durchgeführt wurde. Ursachen für den unvorsichtigen Umgang mit persönlichen Daten seien demnach unter anderen: Unwissen, Bequemlichkeit und mangelndes Bewusstsein über die Folgen.
Privatsphäre habe einen besonderen Wert, da sie als geschützter Raum persönliche Autonomie, emotionalen Ausgleich, Selbstreflexion und -evaluation und geschützte Kommunikation ermögliche. Wenn Menschen auf ein digitales Double reduziert werde, dass aus Datenspuren erstellt wird, dann gerate die Privatsphäre in Gefahr. Als Gegenmaßnahmen nannte Birgit Kimmel: digitale Selbstverteidigung, politisches Engagement und die Einführung eines Big-Data-Kodex sowie das Konzept „Privacy by Design“.
Digitale Selbstverteidigung setzt sich aus ethischer, struktureller, Risiko- und technisch-rechtlicher Kompetenz zusammen. Unter politischem Engagement fasste sie Engagement und Partizipation zusammen und befürwortete die Europäische Datenschutzgrundverordnung. Ein Big-Data-Kodex müsse die Verhältnismäßigkeit bei der Sammlung von Daten einfordern und durch „Privay by Design“ implementiert werden. Dazu gehöre Datensparsamkeit, Transparenz, Privacy by Default und die Sensibilisierung für das Thema, sagte Birgit Kimmel.
Diskussion
in der anschließenden Diskussionsrunde wurde vor allem Jan Schallaböcks Vorschlag kontrovers diskutiert: Schallaböcks schlug vor, die Verantwortung für Indizierungen auf Journalistinnen und Blogger abzuwälzen. Gegenargumente und Probleme, die angeführt wurden, waren unter anderem unzumutbarer zusätzlicher Arbeitsaufwand für Pressemitarbeiter und Blogger und eine mögliche Änderung des öffentlichen Interesses an einer Person. Die Veranstaltungsgäste sahen das als große Herausforderung oder sogar Unmöglichkeit. Beim Schreiben eines Artikels sei es unmöglich, die spätere Entwicklung und Reichweite abzuschätzen und personenbezogene Informationen zu schützen. Außerdem würden Journalisten und Bloggerinnen nicht auf die Auffindbarkeit ihrer Artikel durch Suchmaschinen verzichten wollen. Als Beispiel dazu wurde der Fall von Bettina Wulff genannt. Journalisten hatten nach dem Skandal erst recht ihren Namen gezielt gewählt und mit pornographischen Begriffen verknüpft um besondere Aufmerksamkeit im Netz zu bekommen.
Weiterhin wurde das Bedenken geäußert, dass Kinder und Jugend »alleine gelassen« und nicht ausreichend über die kritischen Folgen von ungeschütztem Internetkonsum aufgeklärt würden. Es sei sich die Frage zu stellen, warum 1983 Menschenmassen gegen die staatliche Datenerfassung auf die Straße gegangen seien, der heutigen Datensammlung allerdings hilflos gegenüber gestanden werde. Resignation drückte sich unter anderem aus in dem Vergleich von Infektionskrankheiten, gegen die man ankämpft, und schweren Krankheiten, die man versucht zu ignorieren, um noch etwas vom Leben zu haben.
In eine ähnliche Richtung ging die Forderung nach stärkerem gesetzlichen Eingreifen, um Datenschutz zu mehr als einem Lippenbekenntnis von Konzernen werden zu lassen. Auch im Auditorium wurde allgemein die Europäische Datenschutzgrundverordnung herbei gewünscht.
Weitere Links und bisherige Beiträge zum Thema:
Digitalcourage: Googles vermeintliche Vergesslichkeit
Digitalcourage: Die neue Vergesslichkeit im Netz
Digitalcourage: EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessenwerden
Bild im Text: #Gruen_Vernetzt_Bayern
Wir setzen uns für Ihre Privatsphäre und Grundrechte ein. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende oder gleich mit einer Fördermitgliedschaft.