Scoring diskutiert: Sinnvolle Prognosen oder Kaffeesatzleserei?

Das Justiz- und das Innenministerium haben mit Expertinnen und Experten auf einem Symposium über Scoring diskutiert. Die Veranstaltung und die im letzten Jahr veröffentlichte Studie zur Evaluierung des Scoring zeigen: Es bleibt viel zu tun.

Das Symposium stand unter der Leitfrage, wie die Praxis der Auskunfteien und das deutsche Datenschutzrecht wirklich mit dem Scoring umgehen. Anlass war die Anfang des Jahres veröffentlichte Studie vom Unabhängigen Landesdatenschutzzentrum Schleswig-Holstein und der GP Forschungsgruppe, über die auch wir schon berichteten.

Dr. Korczak von der GP-Forschungsgruppe, die an der Erstellung der Studie beteiligt war, stellte die Methodik noch einmal vor. Demnach ist die Schufa die mit Abstand bekannteste aller Auskunfteien. Mit Blick auf die Eigenauskünfte, die 2009 neu geregelt wurden, fasste er die Ergebnisse der Studie zusammen: 25 % der Eigenauskünfte sind falsch oder unvollständig. Aber immerhin wissen die meisten Menschen, dass sie solche Eigenauskünfte kostenlos erfragen können – nur seien diese, so Korzcak, häufig unverständlich.

Ausreichend Informationen?

Die Frage danach, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher ausreichend informiert werden, zog sich durch die gesamte Veranstaltung. Die Kredit- und Auskunfteiwirtschaft bejahte das naturgemäß, während Korczak von wissenschaftlicher Seite attestierte, dass das Zustandekommen der Scorewerte für Verbraucherinnen und Verbraucher oft unverständlich sei und scheinbar kausale Zusammenhänge den Scoringwert verfälschen können. Außerdem wünschten sich 84 % eine aktive Information seitens der Auskunfteien, anstatt diese selbst anfordern zu müssen.

Zweifelhafte Methoden: Geo-Scoring

Für rechtlich zweifelhaft und an der Grenze zur Diskriminierung eingeordnet wurde von fast allen Vortragenden das sogenannte Geo-Scoring. Laut Dr. Thilo Weichert vom ULD, kommt es häufiger als gedacht zum Einsatz, doch sei auch hier die Aussagekraft höchst fraglich. Beim Geo-Scoring wird die statistische Kreditwürdigkeit anhand der Adresse und des dortigen Wohnumfeldes berechnet. Wenn Ihre Nachbarn also häufiger Zahlungsprobleme haben, hat das auch Auswirkungen für Sie. Und Problembezirke werden dann zur selbsterfüllenden Prophezeiung, in die niemand mehr ziehen möchte.

Transparenz bei Ergebnissen

Problematisch für Weichert ist auch, dass Händler.innen, die auf Scoring angewiesen seien, oft gar nicht wüssten, dass die Vorhersagen auf Geo-Scoring oder ähnlich schlechter Datenbasis beruhen. Hier forderte er für alle Beteiligten, Händler.innen wie Verbraucherinnen und Verbraucher, mehr Transparenz und generelle Überprüfbarkeit der Scoring-Ergebnisse. Doch leider, so das BGH in einer Entscheidung von 2014, ist die Gewichtung der Scoring-Daten ein Betriebsgeheimnis, gegen das allerdings gerade beim Bundesverfassungsgericht geklagt wird. Hoffnung setzte Weichert in die gerade auf den Weg gebrachte Verbandsklagebefugnis für Datenschutzverstöße, die auch vom vzbv gefordert wird.

Anlass für grundsätzliche Zweifel am Nutzen von Scoring gab es in der anschließenden Fragerunde. Laut Dr. Korczak sind die größten drei Risiken für Kredit- oder Zahlungsausfälle „Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung“ – alle drei allerdings unvorhersagbar.

Dr. Riemann vom Dachverband der Auskunfteien hielt dagegen. Sein Verband habe in einer in Auftrag gegebenen Studie sehr positive Effekte des Scorings für die Wirtschaft und Verbraucher.innen herausgefunden, Scoring habe für ihn eine „Ermöglichungsfunktion“ und 850.000 Eigenauskünfte zeigten ebenfalls, dass die Rechte der Verbraucher.innen ausreichten.

Geschäftsgeheimnisse als Problem

Raoul Tiaden vom Landesdatenschutzbeauftragten NRW kritisierte das Geo-Scoring ebenfalls scharf. Manche Methoden könnten als „statistische Sippenhaft“ empfunden werden und werden dementsprechend von Verbraucher.innen abgelehnt. Auch sei die Prognosegenauigkeit viel zu gering. Vielleicht sei ja auch das ein Grund, warum die Algorithmen und die Bewertung der Scoring-Daten zu Geschäftsgeheimnissen deklariert würden. Eine Berechnung auf die zweite Nachkommastelle sei Kaffeesatzleserei aber keine Mathematik. Allenfalls in Zehnerschritten könne man seriös eine Ausfallwahrscheinlichkeit angeben, die dann aber auch nur auf die Vergleichsgruppe bezogen werden könne und nie auf den Einzelfall.

Tiaden forderte deshalb, Geschäftspartner.innen müssen erfahren, wie treffsicher der Score wirklich ist. Nur so würde Wettbewerb durch Markttransparenz entstehen können. Auch eine Zertifizierung des Scoring-Verfahrens brachte er ins Spiel.

Methoden fraglich

Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sah im Geschäftsgeheimnis der Score-Werte ebenfalls das große Problem. Besonders für ungerechte Einzelfälle müsse es nachträgliche Überprüfbarkeit geben. Sonst werde Scoring für die Verbraucher.innen zum Problem, wenn Fehlinterpretationen nicht korrigierbar seien. Auch der vzbv fordert Transparenz und unabhängige wissenschaftliche Methodenuntersuchung, eine relevante Datenbasis und eine konsequente Löschung von nicht mehr benötigten Daten.

Datenschutzreform als Lösung?

Mit Blick auf die europäische Datenschutzverordnung forderte Sie eine strikte Zweckbindung der gesammelten Daten und appellierte an die gastgebenden Ministerien, ihren Einfluss geltend zu machen. Immerhin fand eine Umfrage des vzbv vor einem Monat heraus, dass 89 % aller Menschen in Deutschland gegen Profilbildung ohne Einwilligung sind.

Ulrich Weinbrenner aus dem Bundesinnenministerium nahm diesen Ball auf und gab einen Überblick über den aktuellen Stand der Datenschutzverordnung, die laut ihm in einem Parforceritt am 15. und 16. Juni im Rat ausverhandelt werden soll. Allerdings ist das Scoring in der Verordnung nicht direkt geregelt, lediglich die Profilbildung. Und hier unterscheiden sich die Meinungen des Rats und des Europaparlaments noch, wobei letzteres weiter geht und ein Diskriminierungsverbot sowie ein „grundsätzliches Verbot von Maßnahmen, die erhebliche Auswirkungen haben und auf Profiling beruhen“ vorschlägt.

Fazit

Auch wenn die Wirtschaftsauskunfteien das Scoring natürlich als unverzichtbar betrachten, bleiben erhebliche methodische und datenschutzrechtliche Zweifel bei vielen Beteiligten. Es braucht unbedingt mehr Transparenz in Bezug auf die gespeicherten Daten, die verwendeten Methoden und die Vergleichsgruppen. Dabei könnte es helfen, die Prognosegenauigkeit zu veröffentlichen. Insbesondere mit Blick auf die Datenschutzreform der EU ist es unbedingt nötig, die Profilbildung rechtlich auf wenige, relevante Daten zu beschränken und Geo-Scoring und andere Formen von Diskriminierung zu verbieten.


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