SPD-Mitglied schreibt an ihre Partei: „Anti-Terror-Paket“ stoppen!

Digitalcourage-Mitglied Erika Witt hat die Nase voll. Sie schreibt an ihre Genoss.innen bei der SPD einen Brief gegen das „Anti-Terror-Paket“.

Die Bundesregierung peitscht mit dem „Anti-Terror-Paket“ die nächste Überwachungsmaßnahme in Windeseile durch und verliert mehr und mehr den Blick dafür, dass unsere Grundrechte der beste Garant für Sicherheit sind, den wir haben. Diese immer weiter einzuschränken, bringt kurzfristig keine Hilfe und birgt langfristig noch viel größere Gefahren. Das haben übrigens auch viele in der SPD verstanden. Digitalcourage-Mitglied Erika Witt hat einen Brief an ihre Genossinnen und Genossen im Innenausschuss geschrieben, den wir mit ihrer Erlaubnis veröffentlichen.

Erika Witt

Liebe Genossin, lieber Genosse,

mein Name ist Erika Witt, ich bin 29 Jahre alt und Basismitglied im Unterbezirk Braunschweig. Ich beschäftige mich viel mit Netz- und Innenpolitik und wende mich heute an dich in deiner Funktion als Mitglied des Innenausschusses.

Ich habe von der Situation im Innenausschuss am vergangenen Montag gelesen. Auf der offiziellen Seite des Bundestages steht, dass die drei Präsidenten des BfV, des BKA und der Bundespolizei, Hans-Georg Maaßen, Holger Münch und Dieter Romann, als unabhängige Sachverständige geladen waren. Das hat mich ein wenig erstaunt, denn so weit ich weiß, sind die drei dem MI unterstellt und würden von diesem Gesetz profitieren – wie unabhängig können sie also sein?
Und auch die große Eile bei diesem „Anti-Terror-Paket“ ließ mich ein wenig erstaunt zurück. Die erste Lesung fand am 09.06. diesen Jahres statt, und am Donnerstag, gerade einmal zwei Wochen später, soll das Gesetz bereits verabschiedet werden? Wozu die große Eile, erst recht wenn es um ein Gesetz geht, das nicht unerheblich in Grundrechte eingreift?

Ich muss sagen, dass dieses Vorgehen insgesamt – das schnelle „Durchpeitschen“ des Gesetzes und noch obendrauf der offensichtliche Überhang nicht neutraler Sachverständiger im Ausschuss für mich einen sehr faden Beigeschmack hat. Wenn uns an der Basis solche Nachrichten aus Berlin ereilen, bekommen wir den Eindruck, dass da heimlich, still und leise ein Gesetz an der Aufmerksamkeit der Menschen vorbei verabschiedet werden soll, die gerade fleißig Fußball schauen und sich mit nichts anderem auseinander setzen.

Und ich weiß genau, dass ich Geschichten wie diese am Infostand vorgeworfen bekomme, und dass Menschen damit ihre Politikverdrossenheit rechtfertigen. Das Schlimmste für mich daran ist, dass ich nichts darauf antworten kann, da die Kritiker damit schlicht recht haben. Wenn es sich dabei wenigstens um ein Gesetz handeln würde, das unseren sozialdemokratischen Grundwerten entspricht und sie hoch hält, würde ich nichts sagen. Doch bei diesem Gesetz geht es nicht um den kleinen Mann oder die kleine Frau und um soziale Gerechtigkeit – es geht auch nicht um Solidarität oder Freiheit, sondern um die Einschränkung der Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger. Und es ist Augenwischerei, ein Placebo, dass den Menschen vorgaukeln soll, dass sie in Zukunft besser vor terroristischen Angriffen geschützt sind, während man eigentlich genau das Gegenteil tut: Man sammelt immer mehr Daten und macht den Heuhaufen immer größer und es damit auch immer schwerer, die Nadel darin zu finden.

Die Attentäter von Charlie Hebdo waren polizeibekannt und standen auf No-Fly-Listen der USA. Auch die Attentäter in Brüssel, die am 22. März 2016 Angst und Schrecken verbreiteten, waren den Behörden nicht unbekannt und teilweise sogar rechtskräftig verurteilt. Anstatt den Behörden und Geheimdiensten immer mehr Daten zur Verfügung zu stellen, sollte man das Augenmerk darauf legen, sie so auszustatten, dass die vorhandenen Daten ausgewertet und genutzt werden können. Nicht die fehlenden Informationen sind das Problem, sondern die Tatsache, dass oft genug mit dem Wissen nichts angefangen wird.
Dieses Gesetz kann in meinen Augen nur dazu dienen, dass sich der Innenminister Thomas de Maizière profilieren kann, dass er nach außen hin eine gute Figur macht und als „Kümmerer“ auftritt, der die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst nimmt und für Sicherheit sorgt. Und wir machen ihm den Steigbügelhalter.

Genau solche Vorgehensweisen bringen uns, vor allem bei jungen und netzpolitisch interessierten Menschen, nichts als Häme und Spott ein. Seitdem mein Lebensgefährte im Institut, an dem er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist, verlauten ließ, dass er Sozialdemokrat ist, wird er hämisch auf Themen wie Vorratsdatenspeicherung und jetzt auch das „Anti-Terror-Paket“ angesprochen, und es gibt wenig, was er darauf antworten kann, genau wie ich am Infostand.
Wir müssen die jungen Menschen ansprechen, wir müssen Antworten auf die Fragen der zunehmenden Digitalisierung und Globalisierung geben, aber wir tun mit unserer derzeitigen Politik mehr dafür, genau diese Zielgruppe immer weiter zu frustrieren und zu desillusionieren. Wenn wir wieder einen Aufschwung erleben wollen; weg von den 20 Prozent, wieder zurück zur Volkspartei, dann ist es unabdingbar, dass wir auf Fragen wie diese andere Antworten geben. Mehr Transparenz, mehr Beteiligung statt abgekarteter Spiele hinter verschlossenen Türen.

Denn spätestens nach der EM, wenn man sich wieder dem Alltag zuwendet, werden viele Stimmen die Geschichte der Sozialdemokraten erzählen, die sich von der Union vorführen lassen, die den schwarzen Peter einstecken, während der Bundesinnenminister die Lorbeeren einheimst. Das ist für mich nur schwer zu ertragen, weil ich weiß, dass wir es besser können.

Deswegen bitte ich dich, noch einmal in dich zu gehen und über diese ganze Geschichte und das Gesetzesvorhaben nachzudenken. Der bessere Weg wäre: Neue, wirklich unabhängige Sachverständige zur nächsten Ausschusssitzung einzuladen und in Ruhe alles abzuwägen, statt es wieder mal übers Knie zu brechen wie erst letztes Jahr im Sommer mit der erneuten Wiedereinführung der VDS. Oder auch schon 2006, ebenfalls als große Koalition, mit der Antiterrordatei, die nicht gänzlich ausgereift innerhalb weniger Monate verabschiedet wurde und anschließend vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde. Mit dieser hastigen und übereilten Politik tun wir uns selbst keinen Gefallen, und ihr der Basis auch nicht.

Ich würde mich sehr über eine Antwort von dir freuen.

Liebe Grüße,
Erika

Dem fügen wir nichts hinzu. Wir hoffen, dass dieser Druck von innen hoffentlich bald an der Spitze ankommt und träumen weiter von einer SPD, die das Soziale und das Demokratische in ihrem Namen wiederentdeckt.
Vielleicht gibt es ja noch ein paar SPD-Mitglieder, die diesem Vorbild von Erika folgen möchten?

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