e-Privacy: Unsere Stellungnahme gegen die Mythen der Industrie
An das Wirtschaftsministerium: Argumente zum Entwurf einer ePrivacy-Verordnung von Digitalcourage (PDF)
Das Grundrecht auf Privatsphäre von 511 Millionen EU-Bürger.innen steht politisch
über den Interessen der Werbe- und Datenindustrie. (Stellungnahme lesen (PDF))
Die alte ePrivacy-Richtlinie von 2002 wird endlich überarbeitet und dem Stand der Technik angepasst. Das begrüßen alle, außer die Datenindustrie, denn die will möglichst alle Menschen online und offline in Echtzeit vermessen, verfolgen, bewerten und sortieren. Dafür müssen ständig und überall Daten erhoben werden. Nach Entwürfen der EU-Kommission und des EU-Parlaments ist das in großem Ausmaß auch mit der neuen ePrivacy-Verordnung möglich, aber die Betroffenen müssen zustimmen. Genau damit hat die Annoying-Industrie große Probleme.
Bei ePrivacy kollidieren Geschäftsinteressen mit dem Grundrecht auf Privatsphäre. Kommission und EU-Parlament haben bereits Kompromisse gefunden und Entwürfe vorgelegt. Allerdings sieht sich die Datenindustrie im Nachteil, trotz massiver Lobbyarbeit. Offen ist nach wie vor die Position des EU-Rats. Also versucht die Datenindustrie die Wirtschafts-, Justiz-, und Innenministerien der EU-Mitgliedsländer davon zu überzeugen, dass Werbung, Apps und E-Commerce über Grundrecht stehen. Dazu nutzen die Lobbyist.innen windige Argumente, steile Thesen und kühne Verdrehungen. Wir haben unsere Position an das deutsche Wirtschaftsministerium (PDF) geschickt und argumentieren gegen die Verdrehungen der kommerziellen Überwacher. Vier Beispiele:
1. Mythos: Werbung rettet den Journalismus
Ohne Werbung gibt es im Internet keine frei zugänglichen Inhalte. Tracking und Werbung sichern die Finanzierung des Journalismus.
Dieses Verdreh-Argument ist seit längerem ein beliebter rhetorischer Kniff der Tracking-Industrie. Richtig ist allerdings, dass Werbebudgets in jedem Fall dorthin fließen, wo es die meisten Klicks, Likes und Follower gibt – das trifft eher auf Kätzchenvideos und nackte Haut zu als auf fundierte Recherchen. Von dieser Marktlogik profitieren Youtube, Facebook, Google, Influencer und Clickbaiting-Anbieter – egal, ob das Recht auf Privatsphäre gut oder schlecht geschützt ist. Keine Redaktion in Deutschland kann ihre journalistische Arbeit über Tracking-Werbung finanzieren. Darum sind die wertvollsten Inhalte auch dort zu finden, wo es die wenigste Werbung gibt. Die Werbefinanzierung von Inhalten ist ein überholtes Modell. Im Internet gibt es, besonders für Journalismus, nur „lousy pennies“. Darum sind andere Modelle notwendig, neue Online- und Offline-Formate, Abos, Genossenschaften oder ähnliches. Über diese Frage hat aber kein Datenschutzrecht zu entscheiden. Wenn die Werbeindustrie darüber sprechen möchte, dass der Journalismus in Gefahr ist, dann hat das nichts mit Datenschutz zu tun, sondern zum Beispiel mit Content Marketing – einer Werbestrategie, die die redaktionelle Unabhängigkeit gefährdet.
2. Mythos: Metadaten sind harmlos
Werbetracking ist keine Überwachung, es geht nur um Metadaten…
„Was ist schon dabei, die Geodaten von Millionen von Nutzer.innen in Echtzeit zu erheben und zu verarbeiten? Es geht doch nur darum, den Menschen einen Service zu bieten und dafür muss eben erfasst werden, wer sich wann und wo aufhält.“ So oder so ähnlich klingt es, wenn die Datenindustrie über Metadaten spricht. Im Fokus steht ihr Interesse an Daten, Kundschaft und an Diensten, die möglichst viele Menschen nutzen. Völlig aus dem Blick geraten die Folgen für die Betroffenen. Geschaut wird auf die Vorteile für die Überwacher und nicht auf die Nachteile für die Überwachten. Wenn Daten dazu genutzt werden, um Menschen zu verfolgen, zu bewerten und zu sortieren, dann um „gute“ Kundinnen von „schlechten“ Kunden zu trennen und den ökonomisch wertvollen Menschen bessere Angebote, Services, Bedingungen und Informationen zukommen zu lassen. Wir sagen: Die einzige Möglichkeit, digitale Wirtschaft nachhaltig, das heißt, in Einklang mit dem Grundrecht auf Privatsphäre zu gestalten, liegt in datenschutzfreundlichen Geschäftsmodellen.
Wer über die Wichtigkeit oder Unwichtigkeit von Metadaten spricht, sollte sich kritisch informieren:
- Wer sehen will, wie eine Metadatenspur aussieht, kann sich die Selbsttests von Malte Spitz oder Ton Siedsma ansehen.
- Alexandra Hiller (netzpolitik.org):
„Hakuna Metadata – Warum Metadaten und Browserverläufe mehr über uns verraten als oft vermutet“ - Wolfie Christl: „How Companies Use Personal Data Against People“ und „Corporate Surveillance in Everyday Life”
3. Mythos: Werbetracking schadet nicht der Privatsphäre
Einwilligungen sind in der Praxis nicht einzuholen. Darum sollte Tracking ohne Einwilligungen funktionieren.
Der Kern des Rechts auf Privatsphäre lautet: Wer was liest, wer sich mit wem trifft und wer wo schläft, geht Dritte nichts an. Zu dieser Grundregel gibt es Ausnahmen. Dazu gehören sachlich notwendige Datenverarbeitungen (wer eine Rechnung stellt, muss die Adresse der Kundin verarbeiten dürfen) oder zum Beispiel die Einwilligung. Wer von einer Person etwas wissen möchte, muss danach fragen. Wenn keine Einwilligung erteilt wird, dann wollen die Menschen nicht beobachtet werden. Werben ist innerhalb dieses Rahmens möglich. Der Daten- und Geldhunger der Werbeindustrie treibt sie allerdings zu invasiven Strategien der Datenerhebung an. Gewünscht sind Werbedisplays an Bushaltestellen, die die Kleidung, Gesichter und Smartphones der Passanten auslesen. Der Traum besteht in einem uneingeschränkten Datenhandel von Kundenprofilen, die auch Aufschluss darüber geben, wieviel Geld eine Person bereit ist für Unterwäsche auszugeben. Ideal für den Datenrausch wären auch Smartphones, mit denen im Supermarkt personalisierte Preise generiert werden können, ganz nach dem Motto: „Wer jeden Freitag um 17:00 Uhr einkauft, hat sonst keine Zeit und darf sich darum über etwas höhere Preise freuen.“ Dafür werden wir unser Recht auf Privatsphäre nicht aufgeben! Mehr Argumente lieferte padeluun in seiner Laudatio bei den BigBrotherAwards 2017.
4. Mythos: ePrivacy schadet EU-Unternehmen
Die ePrivacy-Verordnung nützt nur den großen US-Konzernen, europäische Mitbewerber haben das Nachsehen.
Google, Facebook und Co. profitieren von einem starken Lock-in-Effekt. Wer einmal die AGB unterzeichnet, kann dann fast beliebig auf Klick und Wisch durchleuchtet werden. Mitbewerber haben den Nachteil, dass sie erst um Einwilligung bitten müssen. Allerdings können Grundrechte nicht aufgegeben werden, weil die Marktmacht großer Konzerne ein riesiges Problem ist! Google, Facebook und Co. sind mächtig, weil es die europäische Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht geschafft haben, bessere Plattformen aufzubauen. Warum existiert noch immer kein offener europäischer Suchindex? Warum wurden europäische Ansprüche an den Umgang mit Daten gegenüber Facebook nicht konsequent durchgesetzt? Die Antwort auf beide Fragen lautet: Weil die Werbe- und Tracking-Industrie in Google, Facebook und Co. keine Rivalen sieht, sondern Vorbilder und Geschäftspartner. Grundsätzlich wird die ePrivacy-Verordnung in gleichem Maße für alle gelten, die in der EU tätig sind.
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