Das Recht auf Privatsphäre ist nicht banal

Kerstins Gastkommentar im Weser-Kurier vom 10. September 2019.
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Grafik in grün-bläulichen Farben: Eine Silhouette eines Figürchens, das durch eine große Lupe schaut.

Dieser Artikel erschien ursprünglich als Gastkommentar im Weser-Kurier am 10. September 2019.

Aus Sicherheitsgründen werden wir an jedem Bahnhof videoüberwacht, aus Sicherheitsgründen sollen Telekommunikationsunternehmen unsere Verkehrsdaten speichern, aus Sicherheitsgründen soll die Polizei heimlich unsere Messenger auslesen.
„Aus Sicherheitsgründen“ ist eine Floskel, die nicht hält, was sie verspricht. Im Gegenteil: Bei Bürgerrechtlern klingeln die Alarmglocken, sobald ein Innenpolitiker „Sicherheit“ sagt. Gemeint ist immer ein Abbau von Grundrechten, Privatsphäre, Freiheit und ein Ausbau der Überwachungs- und Repressionsbefugnisse des Staats und seiner Exekutive. Wenn Aktivisten die Grundrechte verteidigen wollen, wird mit einem Totschlagargument gekontert: „Na, ein bisschen Freiheit werden Sie doch gegen mehr Sicherheit tauschen können, oder?“ Aber Freiheit und Sicherheit lassen sich nicht gegeneinander eintauschen. Es gilt weiterhin: Wer seine Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgibt, verliert am Ende beides.

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Die Grundrechte, die gerade abgebaut werden, sind zu unserem Schutz da. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten gelernt, welche Gefahr ein riesiges Machtgefälle darstellt, wenn Überwachung und Repression in die falschen Hände geraten. Sie haben aus gutem Grund unsere Menschenwürde, das Recht auf Asyl, die Unverletzlichkeit der Wohnung und andere zentrale Menschenrechte in den ersten Artikeln des Grundgesetzes festgehalten: Weil eine Demokratie ohne sie nicht existieren kann.

Das Recht auf Privatsphäre mag banal erscheinen neben offensichtlicheren Notwendigkeiten wie Trinkwasser, einem bewohnbaren Planeten, Frieden. „Datenschutz“ klingt dröge. Aber Datenschutz ist Menschenschutz. Wer Wissen über uns hat, hat Macht über uns. Eine gesunde Gesellschaft braucht Geheimnisse. Und wir brauchen deshalb das Recht, selbst zu entscheiden, wem wir sie anvertrauen. Argwohn ist angebracht, wenn jemand behauptet: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Die Geschichte hat das bereits widerlegt.

Überwachungsgesetze, die wir jetzt schaffen, gelten auch dann noch, wenn autoritäre, demokratiefeindliche Parteien Teil der Regierung sind. Die Daten, die heute gespeichert werden, sind auch morgen noch da. Mit Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojanern, Präventivhaft und und und ist die Waage längst gekippt. Jedes weitere Gesetz, das „aus Sicherheitsgründen“ unsere Privatsphäre und andere Abwehrrechte gegen den Staat beschneidet, bringt uns in Wirklichkeit in Gefahr: Die Gefahr, dass unsere Demokratie sich Schritt für Schritt zu einem autoritären Überwachungsstaat entwickelt.

Kerstin Demuth

Foto: Kerstin Demuth, Digitalcourage-CampaignerinDigitalcourage

Kerstin war Campaignerin und Redakteurin bei Digitalcourage.