Newsletter vom 22.10.2020

BigBrotherAwards, Digitalcourage im Bundestag, willkommen im Fediverse

Vergabe der BigBrotherAwards 2020, Digitalcourage im Bundestag und zum Fediverse

Liebe Unterstützende,

erinnert ihr euch noch daran, was ihr euch zu eurem 14. Geburtstag gewünscht habt? Ein Skateboard? Neue Klamotten? Oder das neueste Buch von eurer Lieblingsautorin? Vielleicht wisst ihr es auch einfach nicht mehr. An den Geburtstagswunsch eines Jugendlichen, der am 18. September 14 Jahre alt geworden ist, werden wir uns noch lange erinnern: Er hatte sich gewünscht, an seinem Geburtstag bei der Verleihung der BigBrotherAwards dabei sein zu dürfen. Zum Glück haben er und sein Vater noch zwei letzte Karten erwischt und waren unter unseren wenigen Vor-Ort-Gästen. Uns macht das unheimlich glücklich, weil es bedeutet: Auch in der Zukunft wird es weiter Menschen geben, die nicht immer „OK“ und „Alles akzeptieren“ klicken, ohne weiter nachzufragen. Weil wir unsere Corona-Anwesenheitsliste nicht zweckentfremden – da müssen wir mit uns genau so streng sein, wie mit anderen – versuchen wir es über einen öffentlichen Aufruf: Lieber Geburtstags-Gast, wenn du das hier liest, dann melde dich bitte bei uns! Wir möchten dir gerne nachträglich ein Geburtstagsgeschenk schicken.

Auch in anderer Hinsicht waren unsere BigBrotherAwards 2020 ein großer Erfolg: Wir haben sehr viele Reaktionen zu unseren diesjährigen Preisträgern bekommen. Im Fall H&M ist das sprichwörtliche Pulverfass kurz nach der Verleihung hochgegangen, und zwar in Form eines satten Bußgeldes von 35 Millionen Euro. Im Fall BrainCo und WissenschaftsCampus Tübingen gab es eine umfangreiche kritische Berichterstattung. Und in Baden-Württemberg wurden Teile unserer Laudatio im Bildungsausschuss des Ministeriums verlesen. Wir bleiben weiter dran!

Es grüßen Rena Tangens, padeluun
und das gesamte Team von ▶Digitalcourage

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Inhalt

  1. Reaktionen auf den BigBrotherAward im Bildungsausschuss Baden- Württemberg
  2. Presse: BigBrotherAward Preisträger in der „Zeit“
  3. Personalausweis ohne Fingerabdrücke
  4. Datenverarbeitung an Schulen: Nutzen Sie Ihr Auskunftsrecht!
  5. Freedom not Fear 2020 – Online: 7. November 2020
  6. Technik-Tipp: Treffen wir uns im Fediverse?

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1. Reaktionen auf den BigBrotherAward im Bildungsausschuss Baden-Württemberg


Eine digitale Bildungsplattform für Schulen zum Teil von Microsoft betreiben lassen? Dieser Plan aus dem Kultusministerium Baden- Württemberg ließ nicht nur unsere Alarmglocken leuten, sondern auch die vieler Eltern, Lehrkräfte und Politiker.innen. Deshalb haben wir der baden-württembergischen Kultusministerin Susanne Eisenmann in diesem Jahr einen BigBrotherAward verliehen. Bedenklich war nicht nur die Tatsache, dass Datenschutzprobleme kleingeredet wurden, sondern auch der Umgang des Ministerium mit dem Thema: Statt Transparenz gab es falsche Fährten und Strohmann-Argumente. Unsere Laudatio wurde im Nachgang sogar auszugsweise im Bildungsausschuss des Ministeriums vorgetragen und diskutiert. Einsicht der Ministerin? Fehlanzeige.

Die vollständige Laudatio, wie es nach der Preisverleihung weiterging, und gute Gründe, warum Microsoft 365 nicht für Schulen geeignet ist, gibt es zum Nachlesen auf unserem Blog: https://digitalcourage.de/blog/2020/BigBrotherAward-Eisenmann-ignoriert-Kritik


2. Presse: BigBrotherAward Preisträger in der „Zeit“


Eine komplette Seite im Wissenschaftsteil der „Zeit“ (Nr. 40/2020) beschäftigt sich mit zwei unserer BigBrotherAwards-Preisträger. Die Firma BrainCo und der Leibniz-Wissenschaftscampus der Uni Tübingen hatten den Preis bekommen für ihre Versuche, mittels Gehirnstrommessung in Echtzeit die Konzentration von Schülerinnen und Schülern zu messen. Wir finden, das ist Dressur statt Lernen. Autorin des Zeit-Artikels ist Eva Wolfangel. Eine rennomierte Wissenschaftsjournalistin, die schon viel über Gehirnforschung geschrieben hat und gerade den Holtzbrinck- Preis für Wissenschafts­journalismus bekommen hat. Ihr Eindruck: Auch wenn unsere Kritik erst einmal mit Empörung und Ausflüchten kommentiert wurde – durch den BigBrotherAward sind die Forscher.innen vom Tübinger WissenschaftsCampus doch ins Grübeln gekommen. Das wäre für uns ein voller Erfolg, denn wir finden es extrem wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer auch über die gesellschaftlichen Folgen ihrer Forschung nachdenken.

Der Zeitartikel von Eva Wolfangel (kostenpflichtig): https://www.zeit.de/2020/40/erforschung-gehirn-gedanken-lesen-fortschritt-naivitaet


3. Personalausweis ohne Fingerabdrücke


Fingerabdrücke im Personalausweis – jetzt zwangsweise? Finden wir überhaupt nicht okay! Im Sommer haben wir eine Petition gegen ein Gesetz gestartet, das alle Bürger.innen verpflichtet, künftig ihre Fingerabdrücke im Personalausweis abspeichern zu lassen. Innerhalb weniger Wochen haben schon über 9500 Menschen unterzeichnet! Danach wurden zwei kleine Anfragen – von der Linken und der Grünen Fraktion – an die Bundesregierung gestellt. Es gab eine kontroverse Debatte im Bundestag, bei der Digitalcourage zitiert wurde. Und wir stehen nicht alleine da mit unserer Kritik: Auch Dr. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise bezweifelt in einem Gutachten die Verhältnismäßigkeit und die Vereinbarkeit mit der EU-Grundrechte-Charta. Und wie geht es weiter? Nächste Woche Montag (26.10.20) wird es eine öffentliche Anhörung im Innenausschuss des Bundestags geben – als Sachverständiger wird Friedemann Ebelt von Digitalcourage mit dabei sein! Die zweite und dritte Lesung des Gesetzes im Bundestag steht noch aus. Sollte das Gesetz dennoch beschlossen werden, werden wir juristischen Möglichkeiten prüfen, um gegen den Zwang zu Fingerabdrücken im Perso vorzugehen.

———————————————————————————————————— Unterzeichnet unsere Petition und helft uns, 10.000 Unterschriften gegen Fingerabdrücke in Personalausweisen zu sammeln:
https://aktion.digitalcourage.de/perso-ohne-finger ————————————————————————————————————


4. Datenverarbeitung an Schulen: Nutzen Sie Ihr Auskunftsrecht!


Viele Eltern und Lehrkräfte wehren sich derzeit gegen den Einsatz von Microsoft 365 oder Microsoft Teams an Schulen – zu Recht. Wenn datensammelnde Software an der Schule eurer Kinder bereits im Einsatz ist, gibt es dennoch Möglichkeiten, dagegen vorzugehen: Die Schule ist für die Datenverarbeitung verantwortlich und muss detailliert Auskunft über gespeicherte Daten erteilen können. Kann sie dies nicht, können an dieser Stelle Behörden eingereifen. Wir geben Eltern ein Musterschreiben an die Hand, mit dem sie ihr Auskunftsrecht nutzen und die gespeicherten Daten ihrer Kinder erfragen können.

Das Musterschreiben zum Kopieren, Ausfüllen und Ausdrucken: https://digitalcourage.de/blog/2020/datenverarbeitung-an-schulen-nutzen-sie-ihre-rechte#MusterbriefAuskunftsrecht

Dieses Schreiben könnt ihr – mit etwas Anpassung – selbstverständlich auch an euren Arbeitgeber und andere Behörden/Unternehmen schicken, die Daten von euch verarbeiten.

Weitere Tipps für mehr Datenschutz an Schulen auf unserer Website: https://digitalcourage.de/kinder-und-jugendliche/schulen

Und in unserer neuen Broschüre „Datenschutzrechte durchsetzen: Tipps für Lehrkräfte und Eltern“: https://shop.digitalcourage.de/kurz-und-muendig-datenschutz-in-der-schule-setzen-sie-sich-durch.html


5. Freedom not Fear 2020 – Online: 7. November 2020


Bei dem Barcamp „Freedom not Fear“ kommen jedes Jahr in Brüssel Datenschutz- und Grundrechts-Aktivist.innen aus ganz Europa zusammen, um sich zu vernetzen, zusammenarbeiten und mit EU-Abgeordneten zu sprechen. Wegen Corona müssen wir in diesem Jahr auf das persönliche Wiedersehen verzichten und treffen uns stattdessen online:

Samstag, 7. November 2020 17 – 20 Uhr Thema: „Biometric Mass Surveillance“ („Biometrische Massenüberwachung“)

Finger- und Handflächenabdrücke, Gesichtserkennung, die DNA, aber auch Gang, die Stimme oder der eigene Tipprythmus auf elektronischen Geräten: Das alles sind biometrische Daten. Massenüberwachung ist jede Überwachung, Verfolgung und sonstige Verarbeitung personenbezogener Daten, die nicht gezielt gegen eine Einzelperson, sondern pauschal durchgeführt wird: Beispielsweise im öffentlichen Raum oder in Ausweisdokumenten.

Zahlreiche EU-Staaten führen überstürzt teure Massenüberwachungstechnologien ein und nehmen keine Rücksicht darauf, welchen Schaden sie damit in der Gesellschaft anrichten können. Gleichzeitig plant die EU-Kommission die Veröffentlichung einer Strategie zu Künstlicher Intelligenz Anfang 2021. – Wir nehmen das Thema am 7. November in den Blick.

Anmelden und mitmachen: https://freedomnotfear.org

Hinweis: Freedom not Fear ist eine internationale Veranstaltung und findet ausschließlich auf Englisch statt.

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https://digitalcourage.de/spenden ————————————————————————————————————


6. Technik-Tipp: Treffen wir uns im Fediverse?


Heute schon getrötet? Soziale Netzwerke gibt es auch dezentral, ohne hungrige Datenkraken im Hintergrund. Mastodon ist zum Beispiel eine an Twitter angelehnte Software, die den Zugang zum dezentralen Netzwerk „Fediverse“ ermöglicht. Dezentral heißt: Um dabei zu sein, kann man sich eine Instanz aussuchen, bei der man sich anmeldet. Wer sich angemeldet hat, kann dann mit allen anderen Fediverse-Vernetzten kommunizieren. Wir von Digitalcourage betreiben jetzt eine eigene Mastodon-Instanz und bieten Zugänge an für 1€/Monat. So sorgen wir dafür, dass unser Mastodon-Server langfristig erhalten bleibt und bei Bedarf mitwachsen kann. Und weil das Mastodon ein Rüsseltier (ähnlich dem Mammut) war, heißt das Veröffentlichen von Kurznachrichten auf Mastodon nicht „posten“ oder „twittern“ sondern – logisch – „tröten“.

Zugänge für Mastodon gibt es hier: https://digitalcourage.social

Eine Erklärung, wie Mastodon funktioniert, gibt es hier: https://joinmastodon.org/

Mehr zum Thema: https://digitalcourage.de/blog/2018/kommt-mit-uns-ins-fediverse

Im Fediverse gibt es übrigens noch viel mehr zu entdecken: Z.B. Alternativen zu Facebook (Friendica, Hubzilla, Zap oder Mobilizon), Instagram (Pixelfed), Soundcloud (Funkwhale) oder YouTube (PeerTube).