Reaktion auf BigBrotherAward: Frau Eisenmann ignoriert die Kritik

Unser BigBrotherAward 2020 ging an die baden-württembergische Kultusministerin Frau Eisenmann: Einsicht? Fehlanzeige. So ging es weiter...

In diesem Jahr haben wir einen BigBrotherAward an die baden-württembergische Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann verliehen. Wer diesen unliebsamen Negativpreis für Datensünden zu bekommt, hat in puncto Datenschutz so richtig daneben gegriffen oder ist kurz davor, dies zu tun. So auch Kultusministerin Eisenmann, die im nächsten Jahr als CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl antreten will. Ihr Ziel: Teile der Digitalen Bildungsplattform wie E-Mail-Adressen oder Dateiablagen sollen von Microsoft bereit gestellt werden. Den Schutz der Daten von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern nimmt sie dabei nicht ausreichend ernst.

Was nach unserer Preisverleihung geschah:

Schwache Kritik der Ministerin...

Das Kultusministerium reagierte auf den BigBrotherAward (BBA) mit der Haltung, die wir Frau Eisenmann bereits in unserer Laudatio vorwerfen: Sie macht das Anliegen lächerlich, indem Sie sich „amüsiert“ zeigt. Danach entkräftet sie ein Argument, das wir nie gemacht hatten (Strohmann-Argument). Auf unsere vielen mit Quellen belegten Kritikpunkte geht sie dagegen nicht ein und begründet immer wieder: Das Ministerium habe sich doch noch gar nicht auf Microsoft 365 festgelegt und Digitalcourage hätte halt schlecht recherchiert.

Absichten wurden entlarvt...

Eisenmann wurde daraufhin auch im Bildungsauschuss des Landtags am 24.09.2020 mit unserer BBA-Laudatio konfrontiert. Bis zum Schluss hielt das Kultusministerium daran fest, sich nicht auf die Nutzung von Microsoft versteift zu haben, aber gezielte Fragen der anwesenden Politiker.innen nach Alternativen zu Microsoft (und einem „Plan B“) führten am Ende der Sitzung zu diffusen und verschachtelten Antworten, dennoch mit einem klaren Ergebnis:

  • Das Kultusministerium hat sich auf Microsoft festgelegt, da das Unternehmen z.B. günstige Angebote macht und eine Komplettlösung liefert.
  • Schulen sollen sich nun auf Microsoft vorbereiten und organisatorische Voraussetzungen für die Installation schaffen.

Ralf Armbruster, Leiter der Stabstelle Digitale Bildungsplattformen, dazu:

„Es ist in der Tat schwierig, eine Alternative zu haben [...]. Die Benefits, diese Education-Vorteile von Microsoft [...], andere haben  diese nicht zu bieten. [...] Bei den uns bekannten Angeboten/Anbietern kämen wir annähernd auf das Vierfache, was wir hier haben [Anm. Red.: auf die Höhe der Kosten bezogen]. [...] Es gibt die technischen Möglichkeiten – klar, aber mit deutlich höheren Ausgaben und natürlich auch anderen Einschränkungen, die jetzt eben nicht aus einer Hand, im Sinne von gut funktionierenden Teilkomponenten, die als Ganzes funktionieren und so weiter. [...] [Anm. Red.: Später in der Diskussion:] Wir hatten natürlich auch die alternativen Angebote überprüft, aber jetzt unter der Prüfung dieser verschiedenen Faktoren  sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir an der Stelle [Anm. Red.: bei Microsoft 365] vertieft vorgehen wollen, weil wir dort den größten Vorteil für Schülerinnen und Schüler sehen und vor allem auch viele Schulen ansprechen und anschreiben, sie mögen doch bitte unterstützen, sodass man dieses auch einsetzen kann.“

Die ständigen Ausflüchte, das Ministerium habe sich noch nicht auf Microsoft festgelgt, erinnern an die historische Aussage, es gäbe keine Absicht, eine Mauer zu errichten (Walter Ulbricht, zwei Monate vor Beginn des Mauerbaus in Berlin 1961). Eltern, Lehrkräfte und Datenschutzexpert.innen haben das falsche Spiel längst durchblickt und machen ihren Unmut schon seit einigen Wochen verstärkt Luft.

Falsche Fährten zur Besänftigung von Schulen...

Sowohl Eisenmann als auch Armbruster sprachen zudem davon, dass die Software-Vorgabe des Ministeriums nur als Vorschlag zu werten sei und die Umsetzung freiwillig erfolge (Bildungsausschuss am 24.09.2020).

Sie verkündeten:

  • Alle Vorgaben seien rechtskonform und sollten Orientierung schaffen, damit sich die Schulleitungen nicht mehr mit datenschutzrechtlichen Belangen befassen,
  • und nur noch eine Softwarelösung nach Belieben auswählen sowie organisatorisch umsetzen müssen.

Und ließen die Software-Angebote des Ministeriums als Super-Service aussehen.

Wenige Tage später erklärt Eisenmann, dass Schulen weiterhin selbst über datenschutzrechtliche Aspekte nachdenken müssen:

In Abstimmung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit [sic] vertritt das Kultusministerium die Rechtsauffassung, dass auch im Rahmen einer möglichen Bereitstellung von Microsoft Office 365 durch das Kultusministerium die jeweilige Schule datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle.

(Brief der Ministerin an den Abgeordneten Alexander Salomon, Fraktion Grüne)

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Dazu haben wir Fragen:

  1. Stichwort „Entlastung“: Welchen Wert hat das angeblich rechtskonforme Angebot und die Entlastung für Schulleitungen, wenn am Ende die Schule haftet? Dass die Schule für die Datenverarbeitung haftet, war Ihnen, Frau Ministerin, sicher vorher bewusst, denn das regelt das Schulgesetz. Diese wichtige Information haben Sie in der Lobeshymne auf Ihren „Service“ geschickt weggelassen.

  2. Stichwort „Freiwilligkeit“: Ist es nicht widersprüchlich, von einer freiwilligen Lösung zu sprechen, wenn Schulen auf die Infrastruktur angewiesen sind, die das Ministerium zur Verfügung stellt? Welche Schule könnte es sich leisten, eine eigene lokale Lösung zu entwickeln, wenn Lehrkräfte und Eltern mit Microsoft als zentralem Anbieter des Ministeriums nicht einverstanden sind? Richtig: Die Wenigsten, sonst hätten die Schulen solche Lösungen für ihren digitalen Unterricht längst und würden nicht auf Angebote des Ministeriums warten.

  3. Stichwort „Orientierung“: Und ist es nicht eine konkrete Handlungsanweisung, Schulen um Hilfe zu bitten, Vorkehrungen für die Einführung von Microsoft 365 zu treffen und somit ein gezielter Aufruf, die Microsoft-Lösung zu nutzen? Wie kann das Minsiterium da weiterhin behaupten, die Entscheidung für Microsoft 365 sei noch nicht gefallen?

  4. Stichwort „Rechtskonformität“: Ist dem Ministerium der Unterschied zwischen DSGVO-Konformität und Datensparsamkeit bekannt? Nur weil ein Dienst rechtlich durchgewunken werden kann, ist das noch lange kein Grund, ein Unternehmen für gut zu befinden und ihm eine Fülle von sensiblen Daten in den Rachen zu werfen. Außerdem war die Prüfung des Landesdatenschutzbeauftragten zu dem Zeitpunkt (24.09.2020) noch nicht abgeschlossen – Wieso sprechen Sie da überhaupt schon von einer rechtskonformen Nutzung? Bislang hat das Ministerium auch noch nicht begründet, warum die Datenschutzfolgenabschätzung für Microsoft von der Firma PricewaterhouseCooper (PwC) durchgeführt wurde, die auf ihrer Website öffentlich mit der Kooperation mit Microsoft wirbt.

Frau Eisenmann, Sie bieten Schulen keinen guten Service. Sie bringen Schulen in die Bredouille! Das Kultusministerium sollte eine Vorbildfunktion für Schulämter und Schulen haben, statt Mehraufwand und Chaos zu schaffen.

Wir wünschen uns ebenfalls Entlastung für Schulen und die Möglichkeit, aus einem Potpourri vieler toller Softwarelösungen wählen zu können, aber Microsoft gehört nicht dazu. Wir begrüßen es, wenn Lehrkräfte und Schulleiter.innen ihren Verstand einschalten, und nicht blind auf die schlechte Empfehlung des Ministeriums vertrauen!

Hier noch einmal die wichtigsten Punkte auf einen Blick:

  • In Baden-Württemberg gibt es bereits eine gute Infrastruktur an freier Software. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurden BigBlueButton (Videkonferenz) und Moodle (Lernmanagementsoftware) für tausende Schulen im Land zur Verfügung gestellt. Die Zugänge zu der Software können mit entsprechender Förderung leicht hochskalliert werden. Die 24 Millionen Euro, die für die Digitale Bildungsplattform geplant sind, fließen somit an die falsche Stelle.

  • Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat eine Datenschutzfolgenabschätzung für die Nutzung von Microsoft 365 bei der Firma PwC in Auftrag gegeben. In diesem Gutachten, das verpflichtend ist, wenn mit außereuropäischen Anbietern gearbeitet wird, die sensible personenbezogene Daten verarbeiten, werden mögliche Datenschutzrisiken erörtert. PwC gab grünes Licht für die Nutzung von Microsoft. Doch sowohl dieses Gutachten als auch die Kritik des Landesdatenschutzbeauftragten daran, wurden nicht veröffentlicht und sind auch durch Inanspruchnahme des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG-Anfrage) nicht zu bekommen. Hier fehlt Transparenz für Eltern, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler.

  • Die geplante A3-Version von Microsoft 365 wird als datenschutzsichere Lösung verkauft. Das ist sie nicht. Sie lässt mehr Einstellungsmöglichkeiten zur Unterbindung von Datenflüssen zu als die „niedrigere“ A1-Version, doch die „wesentlichen Dienste“, wie Microsoft sie nennt (und das sind ziemlich viele) können nicht abgestellt werden. Dies zu ändern ist nicht im Interesse des Geschäftsmodells von Microsoft, denn unsere Daten sind eine große Einnahmequelle für das Unternehmen.

  • Auch die Speicherung der Daten auf deutschen Servern, also im Geltungsbereich der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), verhindert nicht, dass gespeicherte Daten in die USA abfließen. Die Gesetze Cloud-Act und FISA ermöglichen den US-Geheimdiensten, auf Server von US-amerikanischen Firmen zuzugreifen, egal wo diese stehen.

  • Der Einsatz von Microsoft an Schulen in einem Bundesland ist ein Dammbruch. Die Ministerin sollte mit gutem Beispiel voran gehen. Ihre Hartnäckigkeit geht auf Kosten der Informationellen Selbstbestimmung von Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern.

  • Auch im eigenen Bundesland ist die testweise Einführung von Microsoft ein Dammbuch. Zunächst sind, laut Angaben des Ministeriums, „nur“ E-Mailadressen für Lehrkräfte und die Einrichtung eines Dienstarbeitsplatzes mit Microsoft-Lösungen geplant, doch Planungsdokumente des Ministeriums beweisen, dass längst der nächste Schritt geplant wird, in dem auch Schülerinnen und Schüler mit Microsoft 365 arbeiten sollen.

  • Das Werbeverbot an Schulen wird mit der Nutzung von Microsoft übrigens auch umgangen. Schülerinnen und Schüler werden von Beginn an das Produkt gewöhnt. Gefangen in einem Marketing-Käfig.

Unter Digitaler Souveränität verstehen wir etwas anderes. Sich in die Abhängigkeit von Großkonzernen zu begeben, ist auf vielen Ebenen falsch. Wir möchten uns nicht ausmalen, was passiert, wenn beispielsweise US-Präsident Trump auf Grund von Konflikten oder einer Laune heraus, plötzlich die Nutzung von Microsoft in der EU verbietet oder einschränkt.

Und auch die zentrale Speicherung der Daten ist ein Problem, wie die Meldung von ntv Ende September schön beispielhaft zeigte:

Bei Microsofts 365-Diensten gibt es eine weltweite Störung. Laut Konzern sind etwa die Dienste Outlook und Teams beeinträchtigt.“

Na, das kann ja heiter werden, wenn Lehrkräfte in Baden-Württemberg statt „Hitzefrei“ bald auch „Frei wegen Serverstörung, auf die wir keinen Einfluss haben“ in ihre Klassenbücher eintragen können. Hoffentlich sind diese dann analog, oder zumindest nicht im Microsoft-Dschungel hinterlegt...

Jessica Wawrzyniak

Fabian Kurz, CC-BY 4.0

Jessica Wawrzyniak ist unsere Medienpädagogin im Team. Sie bringt immer gute Laune und motivierende Worte mit und ist mit ihrer Kommunikationsstärke unser roter Faden im Büro. Die Autorin des Buchs „#Kids #digital #genial“ leitet unsere AG Pädagogik und setzt sich dafür ein, Kindern und Jugendlichen einen mündigen Umgang mit Technik und Medien zu ermöglichen. Auch als Fachreferentin in Einrichtungen aller Art ist sie gefragt.

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