Newsletter vom 20.08.2025

Entscheidungen zu Staatstrojanern & Polizeigesetz NRW, digitale Souveränität & Passwörter zum Anfassen

Wir haben beides erlebt: Freude über den Erfolg beim Staatstrojaner – und Ernüchterung über das Urteil zum Polizeigesetz NRW. Warum wir uns über das eine freuen und das andere kritisch sehen, erklären wir in diesem Newsletter.

Liebe Leserinnen und Leser,

es war eine ganz normale Woche – das ganze Team steckte mitten in einem zweitägigen Schreibseminar – als plötzlich eine Mail der ARD-Rechtsredaktion hereinflatterte: „Gehört ihr zu diesem Aktenzeichen, über das das Bundesverfassungsgericht in zwei Tagen entscheidet?“ Ja, das taten wir. Und nicht nur das: Es waren gleich zwei Entscheidungen zu zwei unserer Verfassungsbeschwerden – am selben Tag.

Von da an war nichts mehr normal an der Woche: Presseinfos vorbereiten, nach acht Jahren in die Details der Verfahren eintauchen, Interviews organisieren, Termine koordinieren – und dabei im Blick behalten, was diese Urteile für unsere digitale Freiheit bedeuten. Am Ende war die Anspannung wie weggeblasen, denn wir konnten einen wichtigen Erfolg feiern: Unsere Verfassungsbeschwerde gegen den Staatstrojaner war erfolgreich – das Bundesverfassungsgericht hat klare Grenzen gezogen und digitale Grundrechte gestärkt.

55.228.950 Atemzüge – so viele haben wir seit dem Einreichen dieser Beschwerde im August 2018 durchschnittlich gemacht. Politische Arbeit braucht oft einen sehr langen Atem, und gerade juristische Auseinandersetzungen ziehen sich manchmal über Jahre. Aber das Durchhalten lohnt sich. Denn in den Begründungen des Gerichts steckt viel Zunder – und einiges, was in Zukunft Überwachungsfantasien Grenzen setzen wird.

Wir haben beides erlebt: Freude über den Erfolg beim Staatstrojaner – und Ernüchterung über das Urteil zum Polizeigesetz NRW. Warum wir uns über das eine freuen und das andere kritisch sehen, erklären wir in diesem Newsletter.

Mit besten Grüßen aus Bielefeld

Max Hampel
und das ganze Team von Digitalcourage

 


Inhalt

 
1  Verfassungsbeschwerde Staatstrojaner
2  Verfassungsbeschwerde Polizeigesetz NRW
3  Souverän statt abhängig
4  Tiktok im Bundestag
5  Tech-Tipp: Passwort zum Anfassen
6  Post an Digitalcourage
7  Shop: Ein neues „kurz&mündig“-Büchlein ist erschienen
8  Digitalcourage in den Medien
9  Termine

1  Verfassungsbeschwerde Staatstrojaner

Unsere Verfassungsbeschwerde gegen den Staatstrojaner war erfolgreich – und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat es in sich. Karlsruhe hat den Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) auf besonders schwere Straftaten begrenzt. Für Delikte mit einer Höchststrafe von bis zu drei Jahren ist der Einsatz verfassungswidrig – auch rückwirkend. Damit zieht das Gericht eine klare Grenze gegen den Trend, immer weitreichendere Überwachungsmaßnahmen auch auf Bagatelldelikte auszudehnen.

Auch die Ermächtigung zur Online-Durchsuchung von Computern und Smartphones erklärte das Gericht in Teilen für verfassungswidrig – und das aus einem formalen, aber gewichtigen Grund: Das Gesetz hat das sogenannte Zitiergebot verletzt. Dieses schreibt vor, dass ein Gesetz ausdrücklich die Grundrechte benennen muss, in die es eingreift. Diese „Warn- und Besinnungsfunktion“ zwingt den Gesetzgeber, sich der Schwere eines Grundrechtseingriffs bewusst zu werden und darüber öffentlich zu debattieren. Das Gericht stellte fest: Wer das unterlässt, entzieht sich dieser Verantwortung. Eine deutliche Klatsche für den Gesetzgeber.

In der Begründung steckt auch eine erfreuliche Aufwertung des Schutzes von Smartphones, die weit über den Einsatz von Staatstrojanern hinausgeht. Karlsruhe hat klargestellt, dass beim Zugriff auf Computer und insbesondere Smartphones künftig immer sowohl das IT-System-Grundrecht als auch das Fernmeldegeheimnis zu prüfen sind. Unser Prozessbevollmächtigter Prof. Dr. Frank Braun erklärte im Tagesspiegel Background: “Die Grundrechtskonkurrenzen sind geklärt, wir haben künftig ein Nebeneinander von IT-System-Grundrecht und Fernmeldegeheimnis.” Damit ist der Schutz von Smartphones – die heute tiefer in unsere Privatsphäre blicken lassen als jede andere Technik – deutlich gestärkt worden. Diese Klarstellung könnte auch strengere Vorgaben für andere digitale Zugriffe der Polizei nach sich ziehen, etwa bei der täglichen massenhaften Beschlagnahmung und Auswertung von Smartphones – selbst wenn der Zugriff offen und nicht heimlich per Staatstrojaner erfolgt.

Darüber hinaus wird die Entscheidung unmittelbare Auswirkungen auf laufende Gesetzgebungsverfahren haben. Der aktuelle Entwurf für ein neues Bundespolizeigesetz sieht etwa vor, dass Personen präventiv mit Staatstrojanern überwacht werden dürfen, um Gefahren abzuwehren – auch wenn „noch kein Tatverdacht begründet ist“. Die Vorgaben des Gerichts stehen dem klar entgegen.

Für uns ist klar: Dieses Urteil stärkt digitale Grundrechte und setzt Grenzen für staatliche Überwachung. Doch ein zentrales Problem bleibt: Staatstrojaner erfordern, dass der Staat Sicherheitslücken offen hält, statt sie zu schließen. Damit gefährdet er die IT-Sicherheit aller. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass diese gefährliche Praxis beendet wird – und wenn nötig erneut vor Gericht ziehen.

Mehr dazu:

2  Verfassungsbeschwerde Polizeigesetz NRW

Wir hatten angekündigt, dass das Bundesverfassungsgericht über zwei unserer Verfassungsbeschwerden entscheidet. Neben unserem Erfolg beim Staatstrojaner fiel das Urteil zum Polizeigesetz NRW ernüchternder aus.

2018 haben CDU, FDP und SPD in NRW ein neues autoritäres Polizeigesetz beschlossen, das weitreichende Befugnisse erlaubt: Staatstrojaner, Kontrollen an „Gefahrenorten“, Kontaktverbote, Aufenthaltsvorgaben, elektronische Fußfesseln, Taser und längeren Gewahrsam ohne Tatvorwurf.

Als Teil des Bündnisses „Polizeigesetz NRW stoppen!“ haben wir mit zehntausenden Menschen protestiert. Nach der Verabschiedung des Gesetz wurden unsere Befürchtungen dann schnell Realität: Die neuen Befugnisse wurden nicht gegen Terrorverdächtige, sondern vor allem gegen Klimaaktivist.innen eingesetzt: Bis 2022 gab es 74 neue längerfristige Gewahrsamnahmen ohne Urteil im Zusammenhang mit Klimaprotesten – aber keine einzige gegen rechte Gefährder.

Unsere Verfassungsbeschwerde gegen das Polizeigesetz richtete sich ausschließlich gegen zwei Punkte der Verschärfung: die erweiterte Telekommunikationsüberwachung mittels Staatstrojaner (Quellen-TKÜ) und die neue Definition „terroristischer Straftaten“. Wir halten beide Regelungen für problematisch, weil sie tief in Grundrechte eingreifen und neue Überwachungsmöglichkeiten schaffen.

Das Gericht erklärte diese Vorschriften jedoch für mit dem Grundgesetz vereinbar. Es betonte dabei, dass das Polizeigesetz den Einsatz von Staatstrojanern nur bei besonders schweren Straftaten zulässt. Für uns bleibt wie bei unserer anderen Verfassungsbeschwerde gegen den Bundesweiten Einsatz des Staatstrojaners klar: Die bloße Existenz des Staatstrojaner bleibt hochproblematisch – wir sehen weiter dringenden Reformbedarf.

3  Souverän statt abhängig

Deutschland redet zunehmend von „digitaler Souveränität“, setzt in der Praxis aber weiter auf US-Konzerne – und macht sich damit politisch erpressbar und wirtschaftlich abhängig. Trotz funktionierender europäischer Alternativen fließen Milliarden in proprietäre Lösungen aus Übersee. Warum dieser Kurs riskant ist und wie ein echter Weg in die digitale Unabhängigkeit aussehen könnte, haben wir im Digitalcourage-Blog aufgeschrieben.

https://digitalcourage.de/blog/2025/digitale-souveranitaet-bsi

4  Tiktok im Bundestag

Während der Fediverse-Account des Bundestages so vernachlässigt ist, dass er langsam Moos ansetzt, hat sich Julia Klöckner überlegt, dass der Bundestag jetzt auch TikTok-Videos produzieren möchte. Weil irgendwie muss man die jungen Leute ja für Politik begeistern. Wir fänden es ja weitaus weniger schädlich, den Jugendlichen stattdessen lieber einen Joint in die Hand zu drücken. Die selbe Begründungslogik würde hier auch funktionieren. Denn mit einem Tiktok-Account widerspricht der Bundestag genau den Werten, die er eigentlich hoch halten sollte.

https://digitalcourage.de/blog/2025/bundestag-auf-tiktok

5  Tech-Tipp: Passwort zum Anfassen

Passwörter kann man erraten, Passwort-Vergessen-Mails kann man abfangen – aber einen physischen Schlüssel kann man Ihnen nicht so leicht abluchsen. So etwas gibt es auch für digitale “Schlösser” und diese sogenannten “Hardware-Token” werden zunehmend einfach in der Bedienung. Sie sehen aus wie ein USB-Stick und sichern Ihren Login mit einem echten „Schlüssel zum Anfassen“ ab. Einfach einstecken, antippen – fertig.

Unser ehrenamtliches Team der AG Digitale Selbstverteidigung hat unseren Artikel zur Zwei-Faktor-Authentifizierung überarbeitet und erklärt, wie Hardware-Token funktionieren.

https://digitalcourage.de/digitale-selbstverteidigung/2fa

6  Post an Digitalcourage

An dieser Stelle lassen wir Menschen zu Wort kommen, die uns geschrieben haben.

„Herzlichen Glückwunsch zum Erfolg bei der Verfassungsbeschwerde gegen den Staatstrojaner. Ich bewundere euch für eure Arbeit, die oft so einen langen Atem braucht! Gut, dass es euch gibt!“

Solche Nachrichten motivieren uns, weiter jeden Tag unser Bestes zu geben. Herzlichen Dank!

Wenn Sie uns nachhaltig unterstützen wollen, werden Sie Digitalcourage-Fördermitglied: https://digitalcourage.de/mitglied

7  Shop: Ein neues „kurz&mündig“-Büchlein ist erschienen

Soziale Netzwerke können sich verändern – und manchmal ist es an der Zeit, in das nächste weiterzuziehen. Unser kurz&mündig-Minibüchlein Schönes neues Netzwerk von Matthias Eberl zeigt, wie der Umzug in ein neues Netzwerk entspannt und gut organisiert gelingt. Mit Tipps, wie man Freund.innen mitnimmt, Lock-In-Fallen umgeht und den Wechsel als Chance nutzt. Für alle, die ihre Online-Zeit selbstbestimmt gestalten wollen.

https://shop.digitalcourage.de/kategorie/schoenes-neues-netzwerk-gebunden.html

8  Digitalcourage in den Medien

07.08.2025 – Der Deutschlandfunk hat uns zu den konkreten Restriktionen interviewt, denen Staatstrojanern nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht unterliegen:
„Karlsruhe: Einsatz von ‚Staatstrojaner‘ nur bei schweren Straftaten“

07.08.2025 – Beitrag mit Digitalcourage in der Tagesschau um 20 Uhr anlässlich der Staatstrojaner-Entscheidung:
https://digitalcourage.video/w/od1PW3ECeBHqFEepCRWnH2

08.08.2025 – Digitalcourage im WDR 5 Morgenecho zur Staatstrojaner-Entscheidung:
„Einsatz von ‚Staatstrojanern‘ – grundsätzlich erlaubt“  Das komplette Presseecho zur Staatstrojaner-Entscheidung:
https://digitalcourage.de/blog/2025/medienberichte-entscheidung-staatstrojaner
02.08.2025 – Digitalcourage im „Breitband“-Podcast vom Deutschlandfunk zum Thema Datenschutz und Überwachung:
„Zwischen Überwachungsstaat und digitaler Selbstbestimmung“

02.08.2025 – Digitalcourage wurde vom WDR 5 Morgenecho zur neuen KI-Verordnung befragt:
„Schützt uns die KI-Verordnung wirklich?“

9  Termine

  • Dienstag, 9. September 2025, 19 Uhr:
    Veranstaltung der Digitalcourage-Ortsgruppe Köln
    Elektronische Patientenakte (ePA) – Digitalisierung in der Medizin Vortrag von Dr. Stefan Streit
    Alte Feuerwache Köln, Melchiorstraße 3, 50670 Köln
  • Freitag bis Sonntag, 19.–21. September 2025:
    Datenspuren mit einem Vortrag (inkl. Diskussionsrunde) von Leena Simon (am 19. September 2025, 19:00–21:00 Uhr)
    Zentralwerk, Risaer Straße 32, 01127 Dresden
  • Samstag, 30. August bis Sonntag, 9. November 2025:
    Hedda Roman: Test Time 
    Ausstellung des Künstlerduos Hedda Schattanik und Roman Szczesny zeigt u.a. den Einsatz von KI-Technologien als kollaborativen-künstlerischen Prozess. Bielefelder Kunstverein.
    https://www.kunstverein-bielefeld.de/de/exhibitions/hedda-roman
  • Freitag, 10. Oktober 2025:
    Verleihung der BigBrotherAwards 
    Hechelei, Bielefeld
    https://bigbrotherawards.de/
  • Mittwoch bis Sonntag, 15.–19.10.2025:
    Digitalcourage auf der Frankfurter Buchmesse 
    Dort stellen wir unsere Publikationen vor, u.a. die kurz&mündig-Reihe. Wir freuen uns über Besuch: Stand 3.1.K66 
    https://www.buchmesse.de/
  • Freitag bis Sonntag, 21.–23. November 2025:
    Durchblick im Datendschungel: Workshop zur digitalen Selbstverteidigung 
    Wochenendseminar u. a. mit Christine Wittig von der Digitalcourage-Ortsgruppe München.
    Georg-von-Vollmar Akademie, 82431 Kochel am See.
     
    Anmeldung:
    https://www.vollmar-akademie.de/programm/kw/bereich/kursdetails/kurs/25244708/kursname/Durchblick%20im%20Datendschungel%20Workshop%20zur%20digitalen%20Selbstverteidigung/#inhalt
  • Samstag bis Dienstag, 27.–30. Dezember 2025:
    Chaos Communication Congress 
    CCH, Hamburg

 

Digitalcourage e.V.

Marktstraße 18 
33602 Bielefeld 
Deutschland

Tel: +49 521 1639 1639 
Fax: +49 521 61172 
mail@digitalcourage.de

Für Bürgerrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter