PM Digitalcourage: Stadt Ludwigsburg hält weiter an Kinder-Tracking fest – Autoindustrie auf Überwachungskurs
P r e s s e m i t t e i l u n g
Bielefeld 16.3.2018
Die Stadt Ludwigsburg will trotz Kritik vernetztes Fahren mit Tracking von Grundschulkindern realisieren – Ehemaliger Autolobbyist und jetziger Referent für Stadtentwicklung stellt sich taub für Kritik.
Digitalcourage kritisiert, dass die Stadt Ludwigsburg trotz Kritik von Datenschutzbeauftagten, Pädagogik- und Kinderhilfe-Verbänden sowie von der Kultusministerin Baden-Württembergs Dr. Susanne Eisenmann weiter am Kinder-Tracking-Projekt „Schutzranzen“ festhält. Aktuell untersucht die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen Barbara Thiel das Projekt im Hinblick auf Datensicherheit und Datenschutz. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Mit einem Offenen Brief hat Digitalcourage an die Stadt Ludwigsburg appelliert, das Tracking von Grundschulkindern abzubrechen. Ludwigsburg und die Coodriver GmbH wollen die Ergebnisse des Kinder-Tracking-Versuchs für die Weiterentwicklung von autonom fahrender Autos nutzen. Digitalcourage hält das für eine offensichtliche Sackgasse der Technikentwicklung. Kinder sind bei diesem Projekt Versuchsobjekte.
„Autonomes Fahren muss funktionieren, ohne dass Menschen dafür getrackt werden, sonst ist es kein autonomes, sondern überwachendes Fahren“, kritisiert Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Ludwigsburg setzt mit dem „Schutzranzen“-Konzept darauf, zukünftig alle Personen im vernetzten Verkehr mit GPS-Sensorik zentral überwachen zu lassen. Das ist weder notwendig noch zielführend und darum fordern wir den Abbruch des Projekts.“
Nach Ansicht von Digitalcourage verteidigt Heinz Handtrack vom Referat nachhaltige Stadtentwicklung Ludwigsburg aktuell in der Ludwigsburger Kreiszeitung [1] das Projekt als ehemaliger Autolobbyist gegen jede Kritik. Sein beruflicher Schwerpunkte war vor seiner Tätigkeit bei der Stadt Ludwigsburg die „Interessenvertretung der europäischen Automobilindustrie gegenüber der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament sowie weltweit gegenüber nationalen Regierungen“. (siehe: http://proconman.de/pro.html)
Nach Einschätzung von Digitalcourage ist das Projekt „Schutzranzen“ auf die Bedürfnisse der Autozulieferer-Industrie zugeschnitten, die Überwachungssensorik an Verkehrsteilnehmer.innen verkaufen will. Einige Autohersteller setzten hingegen mit neuen Fahrzeugmodellen auf sensorische Erkennung von Personen und angepasste Fahrweise und machen damit Kinder- und Personen-Tracking mit GPS überflüssig.
[1] https://www.lkz.de/lokales/stadt-kreis-ludwigsburg_artikel,-Ludwigsburg-haelt-an-App-Test-fest-_arid,469642.html
Technisch ist das Modell von „Schutzranzen“ rückschrittlich
Das technische Konzept von Schutzranzen verlangt, dass Kinder als Verkehrsteilnehmer.innen mit GPS-Trackern oder Apps auf Smartphones ausgestattet werden. Nur Kinder, die Trackingsensorik bei sich tragen, werden von Fahrzeugen „gesehen“. Überwachung ist bei „Schutzranzen“ die Voraussetzung für Sicherheit. Das ist der falsche Weg. In der Konsequenz müssten Millionen Verkehrsteilnehmer.innen mit Trackingsensorik als Objekte im Internet der Dinge vernetzt werden. Die technische Entwicklung wird aber in eine grundlegend andere Richtung gehen. Technisch solides autonomes Fahren wird auf die Sensorik in den Fahrzeugen gestützt sein, damit auch Verkehrsteilnehmer.innen geschützt sind, die keine Trackingsensorik bei sich tragen. Autonome Fahrzeuge werden nicht nur Personen erkennen können müssen, sondern beispielsweise auch Steine auf der Fahrbahn, uneinsehbare Ecken, Wildschweine oder umgestürzte Bäume. Der Versuch, all diese Objekte und Situationen mit Trackingsensorik auszustatten, ist untauglich. Das Modell „Schutzranzen“ wird mittelfristig von Fahrzeugsensorik überholt werden. Investitionen in das Modell sind Aufwände in einen obsoleten Ast der Technikentwicklung.
Mögliche Gefahren für Kinder werden ignoriert
Bei „Schutzranzen“ steht nicht die Sicherheit von Kindern an erster Stelle. Denn die Projektverantwortlichen haben vorab keine unabhängige Studien zum möglichen Nutzen und zu möglichen Gefahren des Kinder-Trackings eingeholt. Es ist unverantwortlich, das Projekt „Schutzranzen“ im realen Straßenverkehr zu testen. Die Coodriver GmbH geht einseitig von positiven Effekten von „Schutzranzen“ für die Sicherheit von Kindern aus. Aber auch negative Effekte von „Schutzranzen“ für die Kinder sind möglich. Es ist möglich, dass sich Kinder besonders unvorsichtig im Straßenverkehr bewegen, wenn ihnen gesagt wird, dass sie im Rucksack einen Sensor haben, der Fahrzeuge vor ihnen warnt – die Gefahr für Kinder würde steigen. Es ist ebenso möglich, dass Autofahrer.innen unvorsichtiger fahren, wenn keine Warnmeldung auf ihrem Smartphone angezeigt wird – die Gefahr für Kinder würde steigen. Pädagogische Kritik an dem Projekt hat u.a. der Deutsche Kinderhilfe e.V. und auch Digitalcourge geäußert:
In der Kindeserziehung: Aufpassen statt überwachen:
https://digitalcourage.de/blog/2018/aufpassen-statt-ueberwachen
Datenschutz und Datensicherheit: Risiken höher als Nutzen
Bei „Schutzranzen“ stehen nicht Datenschutz und Datensicherheit an erster Stelle. Die Verantwortlichen haben vorab keine unabhängige Datensicherheits- und Datenschutzprüfung veranlasst. Bei sensiblen Daten von Kindern ist das geboten. Die Datenschutzbestimmungen wurden nach Kritik von Digitalcourage eilig umgearbeitet. Wenn das Konzept von „Schutzranzen“ wie geplant, bundesweit zum Einsatz kommt, verwaltet die Coodriver GmbH zentral sensible Daten von Kindern in Echtzeit. Risiken und Nutzen stehen nach Ansicht von Digitalcourage in keinem Verhältnis.
Die ausführliche Antwort von Digitalcourage an Ludwigsburg und die Erläuterungen zu den Kritikpunkten finden Sie online:
https://digitalcourage.de/blog/2018/schutzranzen-antwort-an-ludwigsburg
(1) Technisch ist das Modell von „Schutzranzen“ rückschrittlich
(2) Überwachung von Kindern ist unverantwortlich
(3) „Schutzranzen“ schafft Gefahren
(4) „Schutzranzen“ behebt nicht die Ursachen für Gefahren im Straßenverkehr
(5) Digitale Überwachung ist keine Lösung, sondern ein Problem
(6) „Schutzranzen“ schafft Abhängigkeiten
(7) Pädagogik- und Kinderhilfe-Verbände warnen vor „Schutzranzen“
(8) Die Marke „Scout“, Wolfsburg und Volkswagen haben sich von „Schutzranzen“ distanziert
(9) Sicherheit im Straßenverkehr muss für alle gelten
(10) IT-Sicherheit und sensible Daten im Internet der Dinge
Pressekontakt:
Digitalcourage e.V. | Rena Tangens, padeluun, Kerstin Demuth, Friedemann Ebelt
Tel: 0521 1639 1639
Mobil: 0175 984 99 33
presse@digitalcourage.de
digitalcourage.de
Weitere Informationen:
• Offener Brief von Digitalcourage:
https://digitalcourage.de/blog/2018/offener-brief-vw-stoppen-sie-kinder-tracking
• Zehn Argumente von Digitalcourage gegen das Projekt:
https://digitalcourage.de/blog/2018/schutzranzen-antwort-an-ludwigsburg
(Dreiecke anklicken, um Argumente zu lesen…)
• Infoblatt für Eltern:
https://digitalcourage.de/sites/default/files/2018-01/Infoblatt-Schutzranzen.pdf
• Vortrag: „Schutzranzen“ – Vernetztes Fahren auf Überwachungskurs:
https://media.ccc.de/v/c4.openchaos.2018.02.schutzranzen
• Pädagogik- und Kinderhilfe-Verbände haben sich gegen die
„Schutzranzen“ positioniert:
Verband Bildung und Erziehung e.V.
http://verbaende.com/news.php/Schutzranzen-Europaeischer-Datenschutztag-28012018-Ueberwachung-provoziert-Unmuendigkeit?m=120052
• Deutsche Kinderhilfe e.V.:
http://www.kindervertreter.de/de/news_presse/pressemitteilung/gps_sender_im_schulranzen_nicht_alles_was_geht_ist_auch_sinnvoll/2018-01-24/130
• Klare Worte aus dem Vorstand der Landeselternschaft der Gymnasien NRW
auf Twitter: https://twitter.com/PresseLEGymNRW/status/956839461077348352
• Überwachungsfreie Lösungen für Gefahren für Kinder werden diskutiert,
hier zwei Beispiele:
Leena Simon auf Twitter: https://twitter.com/reticuleena/status/956148640556503041
Blog von Heiko Bielinski: https://www.bielinski.de/2018/01/schlechtabbieger/
Digitalcourage:
Digitalcourage setzt sich seit 1987 für Datenschutz und Bürgerrechte ein und richtet seit 2000 die jährliche Verleihung der BigBrotherAwards aus. 2008 erhielt Digitalcourage die Theodor-Heuss-Medaille für besonderen Einsatz für die Bürgerrechte.
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