Vorratsdatenspeicherung: Kritik an Forderungen aus NRW, Hessen und Niedersachsen

Digitalcourage kritisiert das Praktikertreffen der Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zur Vorratsdatenspeicherung.

P r e s s e m i t t e i l u n g
Bielefeld 19.11.2020

Nach einem sogenannten Praktikertreffen der Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zur Vorratsdatenspeicherung haben die teilnehmenden Minister in einem Appell die Wiedereinsetzung der ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gefordert. [1]

Das dafür verwendete Wort „Verkehrsdatenspeicherung“ soll offenbar verschleiern, dass es gegen die Vorratsdatenspeicherung bereits mehrere nationale und EU-weite Gerichtsurteile gibt und, dass Verfassungsbeschwerden u.a. von Digitalcourage gegen das aktuelle deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingereicht wurden. Argumentiert wurde – wie so oft – mit dem Schutz von Kindern vor Gewaltkriminalität und deren Online-Vermarktung.

Digitalcourage kritisiert:

  • Kinder- und Datenschutzorganisationen waren an dem Praktikertreffen nicht beteiligt. Ebensowenig Vertreter.innen von Verbänden, die Betroffene von Verkehrsdatenspeicherungen vertreten, wie Journalist.innen, Anwält.innen oder Seelsorger.innen-Verbände.
  • Überwachungsfreie Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung wurden nicht diskutiert. Laut einem Bericht aus dem Innenministerium NRW verfügt das Land beispielsweise über keine Telefonstelle, an die sich Menschen mit Hinweisen oder Fragen wenden zum Thema Kinderschutz können. [2]
  • Sozialpolitische Maßnahmen, die Kinder im Vorfeld von Taten schützen können, wie verbesserte Zusammenarbeit von Behörden, Schulungen für Mitarbeitende von Schulen oder Sozialämtern und andere Maßnahmen, die Kinder konkret und präventiv schützen, wurden nicht diskutiert.
  • Der Versuch des Ministertreffens, für die Vorratsdatenspeicherung ein neues Wort zu etablieren, ist irreführend und unangemessen. Die Speicherung von IP-Adressen ist keine Kleinigkeit, es handelt sich um personenbezogene Daten laut BGH-Urteil vom 16.5.2017 (Az VI ZR 135/13). Alle einschlägigen Vorschläge zur Vorratsdatenspeicherung beziehen außerdem weitere empfindliche Daten wie etwa Mobilfunk-Standorte mit ein. Vor allem jedoch handelt es sich bei all diesen Vorschlägen genau um eine generelle Speicherung von Daten auf Vorrat, um sie eventuell später abrufen zu können. Genau dies ist ein zentrales Problem all dieser Vorschläge, weil damit die Bevölkerung effektiv unter Generalverdacht gesetzt wird. \ Digitalcourage stellt fest, dass dies mindestens der zweite Versuch ist, den offensichtlich unangenehmen Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ zu vermeiden, nachdem das zur Zeit ausgesetzte Gesetz aus dem Jahr 2015 die Wörter „Mindestspeicherfrist“ und teilweise (noch irreführender) „Höchstspeicherfrist“ verwendete. Wir fordern die Medien auf, diese Verschleierungsversuche nicht weiterzutragen.
  • Der Journalist Andre Meister weist darauf hin [3], dass in der Pressekonferenz zum Praktikertreffen lediglich einzelne Fälle angeführt wurden. „Aber Beispiele sind kein hinreichendes Kriterium für einen Nachweis. (…) Die Wissenschaft hat keinen Nachweis für die Notwendigkeit der [Vorratsdatenspeicherung] gefunden“. Andre Meister verweist hierzu auf die Studie „Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung?“ des Max-Planck-Insituts.

„Der Normalfall in Demokratien und Rechtsstaaten muss lauten: keine Überwachung von Kommunikation. Ausnahmen müssen konkret begründet, gezielt und verhältnismäßig sein“, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Der Fokus sollte auf Maßnahmen gerichtet werden, die Kinder konkret und gezielt vor Missbrauch schützen – nicht auf die Frage, wie Massenüberwachung begründet werden kann.“

Digitalcourage zum jüngsten Urteil des EU-Gerichtshofs:
https://digitalcourage.de/blog/2020/vorratsdatenspeicherung-urteil-anlasslose-massenspeicherung-illegal

Ein Hinweis für Medienvertreter.innen:
Terminologischer Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt:
http://luxembourgguidelines.org/german/

Pressekontakt
Friedemann Ebelt Digitalcourage e.V.
presse@digitalcourage.de
digitalcourage.de

Digitalcourage
Digitalcourage setzt sich seit 1987 für Datenschutz und Bürgerrechte ein und richtet seit 2000 die jährliche Verleihung der BigBrotherAwards aus. 2008 erhielt Digitalcourage die Theodor-Heuss-Medaille für besonderen Einsatz für die Bürgerrechte.

[1]
https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/praktikertreffen-der-laender-nordrhein-westfalen-hessen-und-niedersachsen-zur

[2]
https://digitalcourage.de/blog/2020/kinderschutz-vorratsdatenspeicherung-hilft-nicht

[3]
https://twitter.com/andre_meister/status/1329422224512733184