Snowden: Ein Jahr Gerangel um Asyl
Vor drei Monaten haben wir im Rahmen der Verleihung der BigBrotherAwards dem Whistleblower Edward Snowden einen Positivpreis zuerkannt. Damit verbunden haben wir eine Selbstverpflichtung, dass wir eine Million Aufkleber, die Asyl für Snowden fordern, zu verteilen. Einen Großteil haben wir bereits verteilen können. Zwischenzeitlich sind an vielen weiteren Stellen Forderungen nach deutschem Asyl für Edward Snowden laut geworden. Vor allem die Oppositionsmitglieder des NSA-Untersuchungsauschusses haben sich mächtig ins Zeug gelegt und ultimativ angekündigt, im Notfall auch vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Manche Universitäten haben Ehrenwürden an Edward Snowden vergeben, oder zumindest vehement darüber gestritten. Überall im Land tauchen unsere Aufkleber auf, hunderte von Fotos davon erreichten uns aus allen Himmelsrichtungen. Diese werden wir nächste Woche als Sammlung veröffentlichen. Wer Bilder hat kann sie gerne noch an per E-Mail senden. Heute endet das zunächst auf ein Jahr begrenzte Asyl von Edward Snowden in Russland. Ein Grund, noch mal genauer hinzusehen, weshalb Edward Snowden dringend Asyl in Deutschland braucht:
Eine freie Gesellschaft muss Menschen schützen, die Freiheit verteidigen
Es ist nicht leicht: Der Wert von Freiheit wird uns meist erst dann bewusst, wenn uns Freiheit abhanden gekommen ist. Freiheit bedeutet mehr als nur „nicht im Käfig sitzen“. Freiheit ist ein abstrakter Begriff. Und mit abstrakten Begriffen haben wir meist Probleme. Es sollte nicht so sein, dass Freiheit immer wieder neu erstritten wird, dann wieder verloren geht, dann wieder neu erstritten werden muss. Denn mit zunehmenden Überwachungsmöglichkeiten nähern wir uns mehr und mehr einer Welt, in der das Erstreiten von Freiheit quasi unmöglich wird. Denn durch die perfekte Ablenkung und Manipulation, mittels neuer Überwachungs- und Kontrollinstrumente, findet der Freiheitsentzug heute außerhalb unserer Wahrnehmung statt.
Um es pathetisch auszudrücken: Wir müssen uns hinter die Menschen stellen, die sich für den Erhalt unserer Freiheit und Mündigkeit einsetzen. Wenn wir es noch nicht mal hinbekommen, uns schützend vor die Menschen zu stellen, die für unsere Freiheit ihr eigenes Wohl opfern, sind wir ihrer nicht mehr wert. Dann verhöhnen wir unsere Vorfahren, die vor Jahrzehnten und Jahrhunderten für unsere Freiheit gestorben sind und unsere Nachkommen, die ihre Freiheit unter härtesten Bedingungen neu erstreiten werden müssen, weil wir zu bequem waren, sie zu erhalten. Freiheit und Mündigkeit lassen sich nur schwer mit Bequemlichkeit vereinbaren. Wenn wir nicht dazu bereit sind, unsere Lebensqualität für einen abstrakten Begriff wie „Freiheit“ zu opfern, so ist das Mindeste, was wir tun müssen, die zu unterstützen, die dazu bereit sind.
Atmosphäre für Zivilcourage schaffen
Die Erkenntnisse aus Snowdens Unterlagen werden vielseitig aufgegriffen und nur selten angezweifelt. Auf ihrer Grundlage wurden bereits neue Gesetze verabschiedet und internationale Beziehungen überdacht. Es steht also außer Zweifel, dass die Bekanntmachung dieser Informationen einen großen Nutzen für uns hatte. Wenn wir wollen, dass auch zukünftig Menschen ihr eigenes Leben riskieren, um der Gemeinschaft solchen Nutzen zukommen zu lassen, müssen wir deutlich machen, dass wir sie hinterher nicht im Regen stehen lassen. Wir müssen klare gesetzliche Regeln formulieren, unter denen Whistleblowing angebracht ist und geschützt wird. Nach dem, was Snowden derzeit erleben muss, werden es sich andere gut überlegen, ob sie einen ähnlichen Schritt wagen, bzw. es möglicherweise nur aus den falschen Gründen (Ruhm, Verehrung) tun.
Für ein gesundes Grundverständnis zu Privatheit und Überwachung
Noch immer wird vereinzelt argumentiert, Snowden sei ein Verbrecher und werde völlig zu Recht verfolgt. Immerhin hat er das Vertrauen gebrochen, das in ihn gesetzt worden war. Doch Gleiches gilt auch für die Regierungen und Geheimdienste, die Woche für Woche überführt werden gelogen, manipuliert und betrogen zu haben. Erst das hat ja den Vertrauensbruch Snowdens überhaupt notwendig gemacht. Von dem Ausmaß fehlender Einsicht, das Geheimdienste und Regierungen seither gezeigt haben, können wir abstrahieren, wie viel (oder wenig) Unterschied ein weniger drastischer Schritt gemacht hätte. Wer ein falsches, intrigantes Spiel der Machthaber anprangert und benennt, verteidigt damit unsere Werte und ist kein Verbrecher. Damit uns nicht die richtigen Werte abhanden kommen, müssen wir selbst ein klares Signal setzen: Privatheit zu verteidigen ist kein Verbrechen, Überwachung sichtbar zu machen, ist ein dringend notwendiger Akt des Schutzes von Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Geschichte lässt sich nicht leugnen.
Vielleicht würden die Beziehungen zu den USA tatsächlich ein wenig darunter leiden, wenn wir Snowden Asyl gewährten. Doch sie würden weniger leiden, als wenn es ein anderes europäisches Land täte. Aufgrund unserer historischen Einzelstellung, sind wir nunmal gebrannte Kinder, was Manipulation der Massen, Unterdrückung und systematische Überwachung angeht. Wir wissen, wie schnell etwas umschlagen kann von „harmlos“ zu „lebensfeindlich“ und wie leicht es ist, davor die Augen zu schließen und im Nachhinein „von nichts gewusst“ zu haben. Es steht in unserer Verantwortung, dieses Wissen in die Welt zu tragen und besonderes Augenmerk darauf zu haben, wenn sich Teile der Geschichte zu wiederholen drohen. Das wissen nicht nur wir, sondern auch das Ausland, welches in solchen Fragen häufig auf Deutschland schaut. So werden wir (ungewollt) zur moralischen Instanz bei solchen Themen. Wenn schon Deutschland keine politischen Schritte gegen die Überwachung durch die NSA unternimmt, so der Trugschluss, dann wird es schon okay sein. Bundespräsident Gauck findet, dass wir uns nicht länger hinter unser historischen Schuld verstecken sollen, weil das in Selbstprivilegierung umschlage. Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil er damit aufruft, sich mehr in Kriege einzumischen. Er verkennt außerdem, dass wir uns, im Gegenteil, nicht vor dieser Sonderrolle verstecken können. Denn wir werden als Vorbild herangezogen, ob es uns recht ist oder nicht. Die Frage ist nur, ob wir der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden oder nicht. Diese Verantwortung wiegt mehr, als der oberflächliche Erhalt der „freundschaftlichen Beziehungen zu den USA“. Gute Freunde sollten aufrichtig sein und müssen sich auch gegenseitig die Wahrheit sagen können.
Beziehung auf Augenhöhe
Darüber hinaus ist fragwürdig, ob es die Beziehungen zu den USA stärker belastet, wenn wir kommunizieren, dass wir eine Beziehung auf Augenhöhe erwarten. So lange wir Frosch um Frosch bereitwillig schlucken, machen wir deutlich, dass wir uns auch in Zukunft alles gefallen lassen. Das Vertrauen der Deutschen in die USA schwindet, faire Verhandlungen zu Handelsabkommen mit den USA erscheinen unrealistischer. Möglicherweise wird die Beziehung zu den USA viel mehr durch die unterwürfige Haltung der Bundesregierung belasted, als es eine Forderung täte, mit den eigenen Belangen ernst genommen und respektiert zu werden. Viele Menschen in den Vereinigten Staaten verfügen über ein starkes Moralbewusstsein. Vielleicht fehlt diesen Menschen nur der starke Partner auf Augenhöhe, der sie an ihren eigenen ethischen Werten misst.
Warum soll ausgerechnet Snowden Asyl kriegen?
Viele Menschen hoffen auf politisches Asyl. Wie typisch, dass ausgerechnet um das Schicksal von Edward Snowden (Mann, gehobene Mittelklasse, weiß, Amerikaner) so viel Gewese gemacht wird, während tausende Afrikanerinnen und Afrikaner ohne Unterstützung der Öffentlichkeit auf Asyl hoffen. Stünde Snowden überhaupt politisches Asyl zu? Viele Organisationen, Parteien, PolitikerInnen und Prominente finden „ja“ und können das auch herleiten. Die öffentliche Forderung nach politischem Asyl für Snowden hilft auch den vielen AsylbewerberInnen ohne prominentem Gesicht. Denn sie stärkt das allgemeine Verständnis, warum es wichtig ist, politisches Asyl zu gewähren. Nicht nur in Amerika braucht es Menschen, die ihre politischen Überzeugungen vertreten können und im Falle von Verfolgung durch die Regierung, die sie kritisieren, in anderen Ländern der Welt Schutz finden. Doch wenn selbst im weltweit bekanntesten Fall ein politisch verfolgter Mann kein Asyl in einem westlich orientierten Land findet, wird es für die unbekannten Fälle noch schwerer, ihren Anspruch geltend zu machen. Der Fall Snowden zeigt, dass politische Verfolgung jedem passieren kann, und sensibilisiert damit auch solche Menschen für ein Thema, mit dem sie sich, aufgrund einer privilegierten Stellung, nicht auseinandersetzen zu müssen glaubten.
Letzte Aufkleber bestellen
Die Million Aufkleber ist noch nicht restlos verteilt. Der Rest kann noch immer bei uns im Shop bestellt werden. Nächste Woche veröffentlichen wir die mittlerweile groß gewachsene Sammlung von Fotos, die abbilden an wie vielen unterschiedlichen Orten unsere Aufkleber bereits Asyl für Snowden fordern.