Der Kampf gegen das „Zwei-Klassen-Internet“ muss weiter gehen

Die EU-Regulierungsbehörden haben am 31. August 2016 neue Leitlinien für den Transport von Daten vorgestellt. Die Industrie will das „Zwei-Klassen-Internet“, die Zivilgesellschaft ein freies Netz. Rausgekommen ist, dass der Kampf weitergehen muss…

Die EU-Regulierungsbehörden (BEREC) haben am 31. August 2016 neue Leitlinien für Netzneutralität (PDF, en), also Regeln für den Transport von Daten im Netz, vorgestellt. Grundlage für die Leitlinien ist die EU-Verordnung zum gemeinsamen Telekommunikationsmarkt (EU 2015/2120) (PDF, de) vom Oktober 2015.

Was tun? Die Internetseite „respect my net“ hiflt, Verstöße gegen Netzneutralität zu melden.

Jahrelanger Lobby-Kampf

Um die Zukunft des Internets tobt seit Jahren ein Lobby-Kampf in der EU. Die Industrie will das Netz noch stärker kommerzialisieren und ein „Zwei-Klassen-Internet“ möglich machen, um Profite zu maximieren. Dazu wollen Telekom- und Dienstanbieter bestimmte Daten und Informationen gegen Bezahlung bevorzugen. Anbieter von Inhalten, die sich die Bevorzugung nicht leisten können, hätten das Nachsehen. Zahlreiche Organisationen, darunter auch Digitalcourage, haben sich mit „Save the Internet“ der Industrie entgegengestellt und sich stark gemacht für ein freies Internet. Denn Netzneutralität ist ein Grundprinzip des WWW und sichert Vielfalt, Chancengleichheit, faire Kommunikation und Wettbewerb im Netz. Das Bündnis „Save the Internet“ hat es Menschen ermöglicht, schnell und einfach an einer Befragung der EU zum Thema Netzneutralität mitzumachen. 500.000 Menschen haben so ein freies und faires Internet mit starken Regeln für Netzneutralität gefordert.
Bericht zur Konsultation (PDF, en)

Übersicht zur Entwicklung von Netzneutralität in der EU seit 2009: ein digitaler Zeitstrahl von EDRi. Wie es weiter geht, hängt davon ab, wie sehr sich die Zivilgesellschaft engagiert…

Meilenstein: 500.000 Eingaben für faires Internet

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Mit dem Bündnis „Save the Internet“ sind wir im August 2016 nach Bonn gefahren und haben der Bundesnetzagentur ein riesiges Paket mit etwa 500.000 Eingaben gegen ein Zwei-Klassen-Internet überreicht. Das war mit Abstand die bisher höchste Beteiligung an einer Konsultation der EU-Regulierungsbehörden (BEREC). Ein riesiger Erfolg! Das Engagement von „Save the Internet“ hat's gebracht: Das befürchtete „Zwei-Klassen-Internet“ wurde verhindert, obwohl der Druck von Internet- und Mobilfunkprovidern, Facebook und Co. enorm war. Laut EU-Grundrechtecharta, laut der Verordnung und laut den neuen Leitlinien müssen Unternehmen selbstverständlich Grund-, Verbraucher- und Datenschutzrechte beachten. Dennoch werden sie alles tun, um mit Spezialdiensten, Datenmanagement und Zero-Rating-Tarifen ihre Interessen durchzusetzen. Und das ist mit den neuen Leitlinien in einigen Fällen möglich. Darum muss der Kampf weitergehen.

„Save the Internet“ in Zahlen:

  • Sieben Versionen der Webseite savetheinternet.eu wurden für die einzelnen Schritte im legislativen Prozess erstellt.
  • 40.000 Faxnachrichten haben Einzelpersonen an das EU-Parlament gesendet.
  • 6 Demonstrationen für Netzneutralität fanden in verschiedenen Städten Europas statt.
  • Mehr als 500.000 Internetnutzerinnen und -nutzer sendeten Antworten an BEREC zur Rettung eines offenen, innovationsfreundlichen und neutralen Internets. (Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich (AKVorrat): Netzneutralität siegt in der EU! )

Baustellen: Spezialdienste und Tarife mit „Zero Rating“

Die EU hat mit den Regelungen das Prinzip der Netzneutralität nicht in Stein gemeißelt, aber sie hat es auch nicht abgeschaft. Alle Geschäftsmodelle, die die Netzneutralität und das Diskriminierungsverbot gefährden, sind nicht erlaubt, aber auch nicht verboten. Im Streitfall müssen Gerichte entscheiden.

Spezialdienste sind „Überholspuren im Netz“, die nutzen kann, wer dafür zahlt. In den USA hat die zuständige Regulierungsbehörde Spezialdienste verboten. Die EU-Regulierer hingegen mussten der EU-Verordnung folgen und haben Spezialdienste unter bestimmten Bedingungen erlaubt. In letzter Sekunde haben Anbieter ihre Forderung durchsetzen können, dass Spezialdienste und andere Geschäftsmodelle nicht vorab genehmigt werden müssen. Bestehende Dienste wie Video-Stream-Angebote können nicht zu Spezialdiensten umdefiniert werden. Denoch werden die großen kommerzielen Anbieter von Inhalten alles tun, um in Zukunft ihre Angebote als Spezialdienste einzurichten.

Tarife mit „Zero Rating“ rechnen die Nutzung bestimmter Dienste nicht auf den Datenverbrauch an. Zum Beispiel könnte Musik gehört werden, ohne dass das vom gebuchten Datenlimit abgeht. Mit Verordnung und Leitlinien wird das unter Einschränkungen möglich sein, in Einzellfällen entscheiden die nationalen Regulierer. In Deutschland ist das die Bundesnetzagentur. In den Niederlanden wurde vor der EU-Verordnung ein eigenes Gesetz zur Netzneutralität eingeführt, das „Zero Rating“ nicht erlaubt; die EU-Kommission könnte diese Regelung jetzt auf neuer Grundlage angreifen. Das größte Medienhaus Österreichs will ab Anfang September 2016 eigene Telefon- und Datentarife anbieten und dabei „Zero Rating“ nutzen, berichtet DerStandard.at.

Was tun?
Die Internetseite „respect my net“ hiflt, Verstöße gegen Netzneutralität zu melden.

Gewonnen: Es gibt Verbesserung!

Die Industrie-Lobby konnte bei weitem nicht alle ihre Forderungen in den neuen Leitlinien und in der neue Verordnung umsetzen. Grundsätzlich positiv für die Zivilgesellschaft sind diese Punkte:
Deep Packet Inspection, also das automatische Durchleuchten von Daten ist nicht zulässig. Befürchtet wurde, dass Daten gescannt werden, um sie dann bevorzugt oder benachteiligt zu behandeln. Protest und Widerstand haben das verhindert. Um Datenmanagement zu ermöglichen, dürfen Anbieter Metadaten aus Headern nutzen.
Für Beschwerden zu Datenkapazität, Geschwindigkeit und weiterem sind die nationalen Regulierungsstellen zuständig, das heißt in Deutschland die Bundesnetzagentur. Die Souveränität der Bürger wurde gestärkt, indem von vielen Anbietern ausgesprochenen Tethering- und Voice-over-IP-Verbote für unzulässig erklärt wurden.

Der Kampf geht weiter

Der Kampf um gerechten Zugang zu Daten und Informationen geht weiter. Welche Spezialdienste und Tarife erlaubt sind, wird in Einzellfällen von nationalen Regulierungsbehörden entschieden. Außerdem will BEREC die Leitlinien in Zukunft aktualisieren und evaluieren, ob die beschlossenen Leitlinien in der Praxis funktionieren. Am 30. Juni 2017 will BEREC einen Bericht dazu vorlegen.

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