Warum ist die Vorratsdatenspeicherung gefährlich?
[Update vom 28. Juni 2017: Die Bundesnetzagentur hat nach einem Urteil vom Oberverwaltungsgericht Münster den Beginn der Vorratsdatenspeicherung vorläufig ausgesetzt. Provider werden nicht bestraft, wenn sie nicht speichern. Digitalcourage und andere Organisationen fordern, dass die Große Koalition sofort ein Aufhebungsgesetz beschließt.]
Auch Du bist von der Überwachung durch Vorratsdatenspeicherung (VDS) betroffen, wir alle sind betroffen, aber vor allem: Die Demokratie und unsere Freiheit sind in Gefahr. Denn die VDS ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte. In einem anderen Artikel erklären wir, was gespeichert wird. Die Recherche verlief für uns mit vielen Besprechungen und viel Haareraufen. Denn die Vorratsdatenspeicherung ist schon für sich genommen ein unverhältnismäßiger Übergriff auf unsere Grundrechte, in Verbindung mit anderen Überwachungsgesetzen erst recht.
Die Regierung versucht zu beschwichtigen: E-Mails sind ja ausgenommen. Inhalte werden ja gar nicht gespeichert, nur Metadaten. Vorratsdatenspeicherung ist trotzdem eine riesige Gefahr für das Privatleben. Warum, erklären wir hier.
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe.
In diesem Artikel zeigen wir, warum die Vorratsdatenspeicherung eine Gefahr für Freiheit und Demokratie ist.
Im ersten Teil wird erklärt, was wie lange gespeichert wird und wer auf die Daten zugreifen darf.
Teil drei der Serie ist der Selbsthilfekoffer: Wir haben einige Tipps gesammelt, mit denen Du dich teilweise vor der Überwachung durch die Vorratsdatenspeicherung schützen kannst.
Die Vorratsdatenspeicherung gefährdet Grundrechte
- Metadaten reichen aus, um erhebliche Teile unseres Privatlebens zu durchleuchten: Welches Verhältnis wir zu unseren Kontakten haben, wo wir schlafen, wo wir arbeiten, ob wir arbeiten und vieles mehr.
- Die Regierung benutzt die Tatsache, dass „nur“ Metadaten gespeichert werden, als Beschwichtigung – zu Unrecht: denn die Produktion von Metadaten können Nutzer.innen kaum vermeiden, um ihre Privatsphäre zu schützen. Auch Verschlüsselung hilft nicht.
- VDS gefährdet das Recht auf freie Meinungsäußerung: Menschen, die sich beobachtet fühlen, verhalten sich anders – möglichst unauffällig. Die Wissenschaft nennt das den Chilling Effect. Wer weiß, dass der Aufenthaltsort des Telefons immer erfasst wird, meidet vielleicht eine Demonstration oder schränkt seine Kommunikation ein. Beides schadet Freiheit und Demokratie.
- VDS bricht das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung – das sind Menschenrechte – und jede Form der Vorratsdatenspeicherung widerspricht der europäischen Grundrechte-Charta und dem Grundgesetz.
- Die aktuelle Vorratsdatenspeicherung ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 und dem Urteil des EuGH von 2014 nicht haltbar.
- Vertrauliches Telefonat mit der Kanzlei oder Redaktion? Bestimmten Berufsgruppen wird ihre Tätigkeit erschwert: Ärztinnen, Pastoren, Anwältinnen und Journalisten – denn sie und Ihre Kontakte sind auf vertrauliche Kommunikation angewiesen.
- Große Datensammlungen sind immer eine Gefahr – sie können gestohlen und für kriminelle Zwecke, wie Identitätsdiebstahl, genutzt werden.
- Die Vorratsdatenspeicherung verhindert weder Kriminalität noch Terrorismus. In mehreren Studien, wie der des Max-Planck-Instituts und einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kann keine signifikante Wirkung auf Prävention oder Aufklärung von Verbrechen festgestellt werden.
- Vorratsdatenspeicherung verhindert keine Kriminalität: Stattdessen werden Nutzerinnen und Nutzer unter Generalverdacht gestellt – das ist das Ende der Unschuldsvermutung. Und sie müssen sich wie Kriminelle verhalten, um sich vor der Speicherung ihrer Daten zu schützen.
- Großunternehmen werden gegenüber kleinen Firmen bevorteilt: Sie haben mehr Ressourcen, um die Infrastruktur zu schaffen und die juristische Expertise einzuholen.
- Die Vorgaben zur Speicherung, Aufbewahrung und Löschung der Datensammlungen sind schwammig und impraktikabel. Unternehmen, die zur Speicherung verpflichtet werden, müssen mit Rechtsunsicherheit leben und viel Geld investieren, um die Vorgaben umzusetzen.
Teile dieser Argumente stammen vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.
Das Gesetz ist unklar
Das Ganze wird noch schlimmer dadurch, dass die Auslegung des Gesetzes an vielen Stellen unklar ist. Es werden Begriffe genutzt, die weder im Gesetz selbst noch in dazugehörigen Verordnungen erklärt sind. Was mit „Benutzerkennung“ und „ähnlichen Nachrichten“ gemeint ist? Klarheit darüber wird vermutlich erst durch Rechtsstreit entstehen. Nutzerinnen und Nutzer müssen in der Zeit mit der Unsicherheit leben, dass sie nicht wissen, ob Messenger und Voice-over-IP-Dienste per VDS überwacht werden oder nicht. Auch Unternehmen tappen im Dunkeln: Sie müssen sich entscheiden ob sie lieber zu viel oder zu wenig Daten speichern wollen – und für beides können sie juristisch angegangen werden.
Das Bundesinnenministerium will natürlich eine weite Auslegung; das hieße, dass Anbieter solcher Dienste von der Speicherpflicht betroffen sind.
Wir haben eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Den Schriftsatz gibt es als PDF.