Digitalisierte Reisedokumente
Reisepass und Personalausweis – bald nur noch als Smartphone-App? So scheint sich das zumindest die EU-Kommission vorzustellen. In einer öffentlichen Konsultation fragt sie noch bis heute nach Meinungen zur Digitalisierung von Reisedokumenten. Wir haben uns mit einer Einreichung dort eingebracht, da wir Gefahren bei den Plänen der EU-Kommission sehen. Reisende könnten von Digitalzwang betroffen sein, falls Reisedokumente künftig nur noch digital akzeptiert werden. Bei einer parallelen Nutzung physischer und digitaler Dokumente könnten Nutzer.innen, die ganz klassisch mit Reisepass oder Personalausweis reisen, benachteiligt werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass durch die aufzubauende Kontrollinfrastruktur für die digitalisierten Reisedokumente auch Personen mit physischen Reisedokumenten von biometrischer Massenüberwachung betroffen sind.
Wir finden, die Einführung digitalisierter Reisedokumente kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
- Die Reisenden dürfen nicht gezwungen werden, digitale Reiseausweise zu verwenden. Die Möglichkeit, physische Reisedokumente zu verwenden, muss dauerhaft gewährleistet sein und nicht nur für die "nahe Zukunft", wie es die Europäische Kommission in Erwägung zieht.
- Reisende, die keine digitalen Reiseausweise verwenden, dürfen nicht diskriminiert werden. Dazu gehört z.B., dass Grenzkontrollen für Reisende mit physischen Dokumenten gleichermaßen zugänglich und personell ausreichend ausgestattet sein müssen, um Grenzkontrollen in einer angemessenen Zeit zu ermöglichen.
- Reisende, die keine digitalen Reiseausweise verwenden, dürfen unter keinen Umständen von den Grenzkontrolltechnologien betroffen sein, die für die Kontrolle digitaler Reiseausweise erforderlich sind. Politische Optionen, „bei denen alle Reisenden überwacht und ihre biometrischen Daten verarbeitet werden", wie sie die Europäische Kommission in Erwägung zieht, müssen ausgeschlossen werden.
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Biometrische Überwachung
Die Abteilung für Migration und Inneres der Europäischen Kommission (GD HOME) hat eine Initiative zur Digitalisierung von Reisedokumenten gestartet. Nach der öffentlichen Konsultation könnte diese im dritten Quartal 2023 in einen Vorschlag für eine EU-Verordnung münden. In ihrer Initiative skizziert die EU-Kommission mögliche Optionen, wie eine Digitalisierung von Reisedokumenten aussehen könnte – und die haben es in sich. So wird in einem Begleitdokument zur EU-Konsultation als eine mögliche Option genannt (die Kommission bewirbt diese Option als „Digitaler Reisepass/digitaler Personalausweis für ein vollständig reibungsloses Reisen”), dass alle Mitgliedsstaaten per Verordnung verpflichtet werden, digitalisierte Reisedokumente umzusetzen:
„Diese Maßnahmen, denen alle Reisenden unterzogen und bei denen die biometrischen Daten der Reisenden verarbeitet werden, umfassen den Einsatz einer oder verschiedener biometrischer Abgleichtechniken. Sie stützen sich auf einen umfassenden Abgleich biometrischer Daten und werden es Reisenden ermöglichen, Grenzen ohne Grenzübertrittskontrollen zu passieren.“
Das würde jede reisende Person und jene Personen, die Reisehotspots besuchen oder dort arbeiten, einer biometrischen Massenüberwachung unterwerfen. Das lehnen wir ab.
Abschaffung physischer Reisedokumente?
Mit Besorgnis sehen wir einen Punkt, den die EU-Kommission quasi im Vorbeigehen schnell abhandelt. So versichert sie, es werde „in naher Zukunft neben digitalen Dokumenten weiterhin physische Reisedokumente geben“. Darin steckt schon der beunruhigende Vorgriff auf eine zukünftige Abschaffung der physischen Dokumente. Übrig blieben dann nur noch die digitalisierten Reisedokumente. Einen Digitalzwang für Reisepass und Personalausweis lehnen wir aber vehement ab. Vor allem die angedachte Speicherung dieser Dokumente auf Smartphones wirft große Sicherheitsprobleme auf. Aktuell klagen wir gegen die Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken im Personalausweis. Würden diese und andere sensiblen Daten künftig verpflichtend in einer App gespeichert und zum Reisen versendet und abgeglichen, dann setzt das alle Reisenden einem erhöhten Risiko aus. Je häufiger biometrische Daten erhoben, weitergeleitet oder ausgelesen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für versehentlich entstandene oder böswillig herbeigeführte Datenlecks. Dabei ist zu bedenken, dass biometrische Merkmale eine besondere Dimension haben, denn sie ermöglichen lebenslange Kontrolle: Menschen können, wenn es sein muss, Passwort, Namen und Wohnort wechseln, um sich beispielsweise vor Verfolgung oder Bedrohung zu schützen. Biometrische Daten können jedoch niemals geändert werden.
Fragwürdiges Verständnis von Demokratie
Die Europäische Kommission offenbart außerdem ein problematisches Verständnis des Verhältnisses zwischen dem Staat und seinen Bürger.innen:
„Die Nutzung biometrischer Lösungen ermöglicht es den für das Screening zuständigen Behörden, zuverlässiger die Identität von Reisenden festzustellen und gleichzeitig das mit den einzelnen Reisenden verbundene Risiko zu verringern ..."
Bürger.innen vor allem als Sicherheitsrisiko zu betrachten, das vom Staat in Schach gehalten werden muss, entspricht nicht den Grundwerten demokratischer Gesellschaften. Diese verdrehte Logik der Unsicherheitspolitik führt zu einer falschen Ausrichtung. Die EU-Kommission versucht mit diesem Vorschlag, das Problem der zeitraubenden Grenzkontrollen durch vermeintlich effizientere Verfahren zu lösen. Die EU-Kommission stellt jedoch nicht die Frage, warum Grenzkontrollen überhaupt zeitaufwändig sind. Das Recht auf Freizügigkeit in der EU wird bereits durch das umfangreiche „Sicherheitstheater” in Form von invasiven Grenzkontrollen eingeschränkt. Anstatt die Sicherheit der Reisenden und ihrer (biometrischen) Daten durch digitalisierte Reisedokumente zu gefährden, sollte dieses Problem durch den Abbau unnötiger und unverhältnismäßiger Beschränkungen der Freizügigkeit in den derzeitigen Grenzkontrollsystemen angegangen werden. Eine mögliche Verkürzung der Wartezeiten an Flughäfen, die durch frühere Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit entstanden sind, ist kein triftiger Grund für weitere Eingriffe in die Rechte der Bürger.innen.
Forderungen
Wir fordern die EU-Kommission auf, dafür zu sorgen, dass digitale Reiseausweise und alle damit verbundenen Verfahren nur als freiwillige Option für Bürger.innen und Reisende in der Europäischen Union eingeführt werden dürfen. Die Möglichkeit, physische Reisedokumente zu verwenden, muss dauerhaft gewährleistet bleiben. Reisende mit physischen Reisedokumenten dürfen nicht diskriminiert werden und nicht der biometrischen Überwachung oder anderen Grenzkontrolltechnologien unterworfen werden, die für digitale Reiseausweise erforderlich sind. Um die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU zu erleichtern, sollte die Europäische Kommission stattdessen an Vorschlägen arbeiten, wie unnötige und unverhältnismäßige Verstöße gegen das Recht auf Freizügigkeit und andere Rechte in den derzeitigen Grenzkontrollsystemen verringert werden können.
Wir haben uns mit einer Einreichung gegen die Pläne der EU-Kommission ausgesprochen. Unsere Einreichung im Original als PDF.
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