Dunkelrote Roben und bohrende Fragen
Morgens im großen Sitzungssaal des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg: 15 Richter.innen in dunkelroten Roben betreten den Raum und eröffnen die Sitzung.
Es ist eine beeindruckende Kulisse, vor der die Anhörung in unserem Verfahren gegen die Speicherpflicht für Fingerabdrücke in Personalausweisen heute stattgefunden hat. Sogar für die Verhältnisse des Europäischen Gerichtshofs war unsere Verhandlung etwas Besonderes: Denn in dieser großen Besetzung kommt das Gericht nur in sehr wenigen, besonders wichtigen Fällen zusammen.
Bei der Anhörung gab es erst mal viel Gegenwind für uns. Die Vertreter.innen von EU-Rat, EU-Kommission, EU-Parlament und der Regierungen von Spanien und Belgien haben drei Stunden lang versucht, die Fingerabdruckpflicht zu verteidigen – teilweise mit Aussagen, die tief blicken lassen: So hat der Vertreter Spaniens als Argument eingebracht, dass die Fingerabdrücke weniger invasiv seien als Haar- oder Gewebeproben. Kurz darauf erzählte er, dass in Spanien früher Fingerabdrücke sichtbar mit Tinte auf Ausweisen angebracht waren. Im Vergleich dazu sei es doch nun ein Fortschritt für die Datensicherheit, dass die Abdrücke nicht sichtbar auf einem Chip gespeichert sind. Das ist ein denkbar geschichtsvergessenes Argument, denn die erste Version dieser spanischen Ausweisdokumente mit Fingerabdrücken hat der spanische Diktator Francisco Franco eingeführt, der während seiner Amtszeit mehrere hunderttausend vermeintliche und tatsächliche Gegner exekutieren und rund 1,5 Millionen politische Häftlinge in Konzentrationslagern internieren ließ.
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Ganz anders war die Stimmung bei den EuGH-Richter.innen: Die haben die anderen Verhandlungsteilnehmer.innen ziemlich in die Zange genommen. Unter anderem zu einem heiklen Schlupfloch: Die EU-Verordnung lässt zu, dass die Fingerabdrücke auch für andere Zwecke als die Ausweiserstellung genutzt werden können, wenn ein Gesetz der EU oder des Mitgliedsstaates das vorsieht. Das ist eine weit offen stehende Hintertür zur Zweckentfremdung, die auch einen der Richter irritierte. Er bohrte mehrfach dazu nach, wie das sein kann – eine befriedigende Antwort konnte jedoch niemand von den Angesprochenen liefern.
Es ging gleich weiter mit den unangenehmen Fragen. Für maximal 90 Tage dürfen die Fingerabdrücke bei den lokalen Ausstellungsbehörden – in Deutschland also den Bürgerämtern – gespeichert werden. In dieser Zeit könnten die Behörden gehackt und die Daten gestohlen werden. Der Richter fragte nach, ob der Gesetzgeber dieses Risiko abgewägt hat und es dazu irgendwelche Belege gäbe. Schweigen.
Die EU-Organe konnten also nicht zufriedenstellend erklären, wie eine Gefahr für die biometrischen Daten der betroffenen Bürger.innen ausgeschlossen werden soll. Unserer Meinung nach lässt sich das auch gar nicht ausschließen: Wenn biometrische Daten einmal erhoben werden, besteht zwangsläufig ein Risiko für Datenlecks und Missbrauch der Informationen.
Darum wollen wir die Fingerabdruckpflicht für alle kippen! Aber diese Arbeit kostet Geld – zum Beispiel für Anwaltskosten, Reisekosten und Öffentlichkeitsarbeit. Damit wir uns für Sie stark machen können, brauchen wir einen langen Atem und finanzielle Sicherheit. Unterstützen Sie unsere Arbeit deshalb bitte mit einer Mitgliedschaft oder einer Spende:
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Die nächste Station auf unserem Klageweg ist die Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin am 29. Juni 2023. Ein Termin für die Urteilsverkündung steht noch nicht fest.
Wir sind gespannt – die Anhörung heute hat uns optimistisch gestimmt!
Unser Kläger und unser Campaigner vor dem Europäischen Gerichtshof. Sie halten ein Protestschild gegen die Fingerabdruckpflicht und ein Schild mit dem Logo von Digitalcourage. Bild: Nicolas Leblanc, CC-BY 4.0
Wir laufen in den Gerichtssaal der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs. Bild: Konstantin Macher, CC-BY 4.0
Letzte Vorbesprechungen auf der Kläger.innenbank im Gerichtssaal der großen Kammer am Europäischen Gerichtshof. Bild: Konstantin Macher, CC-BY 4.0