Ein Vierteljahrhundert BBA

Die BigBrotherAwards, ein Rückblick auf die Anfänge

Detlef Borchers begleitete als Journalist bereits die ersten BigBrotherAwards. Zum 25-jährigen Jubiläum haben wir ihn gebeten, seine Erinnerungen an die Anfänge mit uns zu teilen.
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padeluun und Rena, die Mitbegründer.innen der BBAs

Wenn wir heute 25 Jahre BigBrotherAwards feiern, dann feiern wir nicht nur eine Preisverleihung, sondern ein Stück lebendige Geschichte. Und zu dieser Geschichte gehören nicht nur die Preisträgerinnen und Preisträger, die Skandale und die Aufreger. Es gehören auch die Menschen dazu, die all das begleitet und dokumentiert haben.

Von Anfang an dabei: Der Journalist Detlef Borchers. Schon im Jahr 2000, als wir noch im Bunker am Ulmenwall mit einer Handvoll Menschen die allererste Gala wagten, war er da – und hat darüber berichtet. Seitdem hat er kein einziges Jahr ausgelassen, war Zeuge der Verwandlung vom improvisierten Kellerabend zur großen Gala, und hat die BigBrotherAwards mit seinem wachen Blick und seiner klaren Sprache für die Öffentlichkeit eingeordnet. Ein Vierteljahrhundert später blickt er zurück und zeigt anekdotenreich, warum wir diesen Preis all die Jahre gebraucht haben.

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Als erstmals die deutschen BigBrotherAwards im Jahre 2000 in Bielefeld der Online-Welt präsentiert wurden, war ich als freier Journalist dabei und berichtete für Heise Online über die seltsame Zeremonie in einem Bunkerkeller namens Ulmenwall in Bielefeld. Gute Freunde hatten mir geraten, dorthin zu fahren und weil ich damals mit der Familie in der Nähe in Westerkappeln bei Osnabrück wohnte, war das kein Umstand. Seitdem habe ich über alle Preisverleihungen berichtet, die erst in dem kleinen Keller, dann aber recht schnell an anderen Orten nach dem Vorbild der Oscars als Gala aufgezogen wurden.

Die Geschichte der BigBrotherAwards ist ohne die Aufklärungsarbeit deutscher, österreichischer und britischer Journalisten und Journalistinnen über Enfopol nicht erzählbar. Enfopol (Enforcement Police) steht für eine Reihe europäischer Arbeitsgruppen, die sich ab 1991 mit der Überwachung moderner Telekommunikation beschäftigten. Wie überwacht man E-Mail, Mobiltelefone oder das anonyme Telefonieren mit Mobiltelefonkarten? Im Zuge dieser Recherchen wurde in Großbritannien Privacy International gegründet, in Deutschland der FITUG, der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft. Bei Privacy International kam man auf die Idee, die schlimmsten Überwachungsanstrengungen mit einem „Preis“ auszuzeichnen, einem BigBrotherAward. Im Jahre 1998 wurden die ersten Preise in verschiedenen Kategorien vergeben. Ein Londoner Stadtteil erhielt den Lokalpreis für die Installation von Videokameras mit biometrischer Erkennung, die Abhörstation Menwith Hill erhielt einen „Lifetime Award“ für das Abhorchen der Telekommunikation im Rahmen des Echelon-Systems der „Five Eyes“ (USA/CAN/GB/AUS/NZL). Aufgedeckt hatte dies der britische Journalist Duncan Campbell bereits im Jahre 1988, doch erst mit dem 1996 erschienenen Buch „Secret Power“ des neuseeländischen Journalisten Nicky Hager kam die Diskussion um die weltweite Überwachung richtig in Fahrt. Campbell, dessen Artikel bei Telepolis erschienen und der auf der Datenschutzakademie in Kiel und beim Chaos Computer Congress über seine Recherchen zu Echelon berichtete, war es auch, der Menwith Hill für den BigBrotherAward vorschlug.

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Ein Preis für das Lebenswerk, vergeben an eine Überwachungsanlage mit Hunderten von Mitarbeitern, die die Kommunikation von Millionen Menschen filtriert und extrahiert, geführt von einer Riesenbehörde namens GCHQ, das hatte was. Berichte über das Ausmaß der transatlantischen Überwachung folgten, in den USA wie in Europa, ebenso Dementis aller Art, bis hin zur Lüge, dass das System längst abgeschaltet sei (das zeigten nunmehr vor 10 Jahren von Edward Snowden weitergereichte Dokumente der NSA). Keine Frage, dass sich auch in Deutschland aussichtsreiche Preisträger finden würden. Es fanden sich die Aktivisten des Vereins zur „Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“ (FoeBuD) bereit, eine solche Preistreiberei zu übernehmen. Die Hintergründe mögen sie selbst erzählen. Ich selbst kannte FoeBuD bereits durch eine Veranstaltungsreihe namens Public Domain: Als Vorsitzender der Netzwerk Selbsthilfe Emsland fuhr ich mit zwei US-Amerikanerinnen zu einer Veranstaltung, um das Konzept des Green Money vorzustellen. Im Zuge der Tuwat-Euphorie (die auch den CCC hervorbrachte) wurde munter diskutiert, wie alternatives Geld funktionieren könnte.

So kam es, dass ich im Herbst 2000 die Treppe in einem ehemaligen Sanitätsbunker herunter kletterte, um in einem verwinkelten Gebäude mit einer winzigen Bühne die erste Preisverleihung der BigBrotherAwards zu erleben. Ungefähr 50 Personen sahen sich die kleine Gala an. Die Laudationes waren beschwingt, das Gelächter ansteckend und am Ende gab es für Journalistinnen und Journalisten zwei Handzettel, damit die Namen der solchermaßen Geehrten stimmen. Beim Hauptpreisträger, dem damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn erübrigte sich das wohl, aber wofür stand nochmal das unter seiner Leitung ausgeheckte 3S-Konzept? Service, Sicherheit und Sauberkeit - die integrierte Videoüberwachung von Bahnhöfen und Vorplätzen passt jedenfalls nicht zu den Kürzeln, ist aber Bestandteil des Konzeptes und war der Grund für die Verleihung eines Preises. Wie schreibt man Loyalty Partner, die nahezu unbekannte Firma hinter den Payback-Karten? Die datensammelnde Firma bekam den Preis in der Kategorie „Business und Finanzen“ und wurde bald darauf obendrein mit einem kleinen Hack geehrt: Im Frühjahr 2001 ließ sich der FoeBuD eine Payback-Karte auf seinen Namen ausstellen, kopierte diese und brachte die Klone als Privacy Card in 800 Exemplaren unter die Menschen, die für den FoeBuD Payback-Punkte sammelten. Die Idee einer gemeinsamen digitalen Sammelbüchse scheiterte nach einigem Hin und Her 2003 vor Gericht.

Dagegen war die zweite Ausgabe der BigBrotherAwards bereits wesentlich professioneller gestaltet. Sie fand nicht mehr in dem Keller mit winziger Bühne statt, sondern in dem Murnau-Saal des Bielefelder Kulturzentrums „Ravensberger Spinnerei“. Für uns Journalistinnen und Journalisten gab es wesentlich mehr Hintergrund-Informationen. Nicht unbedingt zum Hauptpreisträger Otto Schily, dem damaligen Innenminister, der für seinen Abbau der Bürgerrechte, dem „Otto-Katalog“, von der Jury als preiswürdig befunden wurde (2005 bekam er wie Menwith Hill einen BigBrotherAward für sein Lebenswerk). Wie alle Preisträger erhielt Schily übrigens ein Jahresabonnement der c´t, das von seinem Büro „schnellstmöglich“ gekündigt wurde. Die Informationen zur Preisverleihung zeigten aber auch, dass die Jury die Arbeit von Journalisten verfolgte. Denn über die Firma ProtectCom hatte zuvor nämlich ein Online-Dienst in der norddeutschen Tiefebene berichtet.

In dem darauf folgenden Jahr gab es eine weitere Premiere. Microsoft bekam 2002 einen Preis für das „Lebenswerk“. Damit waren indes nicht die Betriebssysteme oder datensammelnde Excel-Tabellen gemeint, sondern das von Microsoft entwickelte Digital Rights Management (DRM), als Tüpfelchen auf dem i. Im Parkhaus am neuen Veranstaltungsort, der Hechelei, kollidierte ich beinahe mit einem hastig einfahrenden Menschen. Es war Sascha Hanke, ein Microsoft Manager. Als offizieller Datenschutzbeauftragter nahm er den Preis in Empfang. Damit waren die BigBrotherAwards in der IT-Industrie angekommen und wurden zum Vorbild für weitere Negativpreise wie der „verschlossenen Auster“, die 2002 erstmals verliehen wurde – an Otto Schily. Auch der 2001-2007 verliehene CCCebit kann eine Blutsverwandtschaft nicht leugnen. Hanke verteidigte übrigens Microsofts DRM im anschließenden Interview nach der Verleihungsgala vehement. Man müsse der aufstrebenden Multimedia-Industrie eine Chance geben, sich zu entwickeln. Nach einem Beispiel gefragt, nannte Hanke die kanadische Firma Ludicorp, die damals gerade den Fotodienst Flickr Vorgestellt hatte.

Verglichen mit den hemdsärmeligen Anfängen hatten sich die BigBrotherAwards weiter professionalisiert. Ein Conferencier sagte die Laudatorinnen und Laudatoren an, Musik und Sketche lockerten die Veranstaltung auf, Gastrednerinnen und Gastredner ließen sich nicht lumpen, ihre Gedanken zum Datenschutz vorzutragen oder einen Preisträger zu loben – so geschehen 2014, als Edward Snowden den bisher erst einmal verliehenen „Julia-und-Winston-Award“ bekam. Die Presse wurde vorab über die Preisträger informiert, wenn sie beim heiligen Datenkraken schwor, die Sperrfrist einzuhalten und die Preisträger nicht zu früh zu kontaktieren. In Erinnerung bleibt mir eine Fahrt zur Bielefelder Gala, während der mich ein aufgeregter Pressesprecher per Telefon zu überzeugen versuchte, dass seine Firma ganz sicher nicht mit „Datenschutzverbrechen“ zu tun habe. Wer so übertreibt, hat schon mal die Sache mit dem Datenschutz und der Privatsphäre nicht verstanden.

Wir sagen:

„Danke, Detlef, für deine Treue, deine Berichte und deine unbeirrbare Neugier. Ohne dich wäre die Geschichte der BigBrotherAwards eine andere.“