Koalitionsverhandlungen

Datennutzung statt Datenschutz?!

Kommentar von Thilo Weichert zu den bekanntgewordenen Planungen von Union und SPD zum Umbau des Datenschutzes. Er hält sie für einen Schritt in die falsche Richtung.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD sind noch nicht abgeschlossen – doch was bisher zum Thema Datenschutz durchgesickert ist, lässt Schlimmes befürchten. Es drohen gravierende Eingriffe in die Datenschutzaufsicht – und das ohne große öffentliche Debatte. Künftig soll es vor allem darum gehen, wie „Datenreichtum“ von der Industrie genutzt werden kann. Der Datenschutz – ein Grundrecht – soll zur Verhandlungsmasse wirtschaftlicher Interessen gemacht werden.

Zentralisierung statt föderaler Struktur?

Geplant ist, die Datenschutzaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich beim Bund zu zentralisieren. Hintergrund ist, dass sich die Wirtschaft seit Jahren über unterschiedliche Bewertungen der Landesaufsichtsbehörden beschwert. Dies ist manchmal ärgerlich. Die Landesbehörden haben aber signalisiert, dass sie bei länderübergreifenden Fragestellungen besser zusammenarbeiten wollen – durch eine Behörde als Ansprechpartner für die Unternehmen, durch Umsetzung eines „Eine-für-Alle-Prinzips“, durch die Etablierung einer Kooperationsstruktur über die Datenschutzkonferenz.
All das könnte längst Praxis sein – doch es fehlte bislang am politischen Willen, die Vorschläge umzusetzen. Eigentlich nötig ist eine massiv verbesserte Ausstattung der Aufsicht: Es ist unerträglich, wenn Beschwerden erst nach Jahren beschieden werden, was eher die Regel als die Ausnahme ist.

Eine Konzentration der Zuständigkeiten bei der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) wäre kein Problem, wenn sie – wie von der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verlangt – unabhängig, transparent und kompetent besetzt ist. Dass das keineswegs selbstverständlich ist, hat die Amtszeit der von der Union vorgeschlagenen Andrea Voßhoff gezeigt. Eine Zuständigkeitskonzentration bei der BfDI kann bei falscher Besetzung für die Datenschutzaufsicht zu einem Totalausfall führen. Föderale Strukturen dagegen haben sich bewährt. Sie haben den Vorteil, dass Konkurrenz die Diskussion belebt und zu besseren Ergebnissen führt.

Thilo Weichert ist ehemaliger Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein (2004–2014) und langjähriges Mitglied der BigBrotherAward-Jury. Seit Juni 2024 engagiert er sich im Digitalcourage-Vorstand.

Geplante Umbenennung zeigt Marschrichtung

Ein weiteres Warnsignal aus den Koalitionsverhandlungen ist die von der Union geplante Umbenennung der BfDI in „Beauftragte für Datennutzung, Datenschutz und Informationsfreiheit“. Die Reihenfolge ist bezeichnend. Offenbar soll hier nicht mehr das Grundrecht auf Datenschutz im Zentrum stehen, sondern die wirtschaftliche Verwertung von „Datenreichtum“ und ein „übertriebener Datenschutz“ in die Schranken gewiesen werden. Die Union scheint nicht wahrhaben zu wollen, dass Datenschutz ein Grundrecht ist – Datennutzung dagegen nicht.

Nicht nur die Schwerpunktsetzung in der vorgeschlagenen Amtsbezeichnung zeugt von beschränktem Verfassungsbewusstsein. Auch das, was derzeit in der Praxis gemacht und verstärkt geplant wird, ist alarmierend. Unsere Gesundheitsdaten sollen in einem Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space – EHDS) pseudonymisiert einer umfassenden Datennutzung zugeführt werden. Zwar kann dies zweifellos der medizinischen Forschung helfen, aber die Umsetzung des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes der Ampel-Regierung begründet schlimmste Befürchtungen: Es fehlt an Transparenz, Betroffenenrechten, unabhängiger Kontrolle und wirksamen Sanktionen. Die Pharmaindustrie profitiert – nicht die Patient.innen und die Gesellschaft.

Und der EHDS ist nur ein Pilotprojekt. Weitere „Datenräume“ sind geplant – von der Landwirtschaft bis zum Verkehr. Dass die Datenschutzaufsichtsbehörden wie die BfDI diese Entwicklung kritisch begleiten sollen, ist richtig. Aber sie dürfen keinesfalls zur Treiberin von Datennutzung werden. Dafür braucht es andere demokratisch legitimierte und unabhängige Instanzen.

Negative Narrative

Dass dies vor allem der CDU und CSU ein Dorn im Auge ist, überrascht nicht – sie diffamieren den Datenschutz bereits seit Jahrzehnten als „Täterschutz“. Die Politik, die daraus folgte, wurde erst durch das Bundesverfassungsgericht, den Europäischen Gerichtshof und vor allem durch eine aktive Zivilgesellschaft gestoppt – vom Volkszählungsboykott über Verfassungsbeschwerden bis zu den Großdemonstrationen „Freiheit statt Angst“ gegen Überwachung. Heute wird der Datenschutz nicht mehr nur als Sicherheitsrisiko, sondern auch als Bürokratiemonster oder Wirtschaftsbremse dargestellt. Dieses Narrativ droht nun, über die Koalitionsverhandlungen politisch ausschlaggebend zu werden.

Dabei ist Datenschutz Voraussetzung für wirksame Sicherheit. Datenschutz kann zur Entlastung der Verwaltung beitragen und ermöglicht – grundrechtskonform umgesetzt – Datennutzungen im Gemeinwohlinteresse. Wenn SPD und Union diese Tatsachen ignorieren, droht etwas schief zulaufen.

Eines ist jetzt schon klar: Von der schwarz-roten Koalition werden keine positiven Impulse für die Umsetzung der Bügerrechte in der Digitalgesellschaft ausgehen. Die Zivilgesellschaft – wir, Digitalcourage und weitere Nichtregierungsorganisationen – sind gefordert um zu verhindern, dass das Rad zurückgedreht wird, und um sicherzustellen, dass Digitalisierung allen zugute kommt und nicht nur einer kleinen Wirtschaftselite.

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