Gier frisst Demokratie

Nein, wir sind nicht auf Instagram, TikTok & Co

Faschismus wird lauter, Demokratie kränkelt. Giergetriebene soziale Medien befeuern diese Trends. Wir sind ausgestiegen – und bauen im Fediverse Öffentlichkeit ohne Hassverstärker.
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Detailaufnahme des Straßenschildes „Keine Durchfahrt“ (roter Kreis mit weißem Querbalken). Im weißen Bereich steht: „Instagram“. Im Hintergrund eine Klinkerwand mit Graffiti.

„Wenn du so ein Problem mit Facebook hast, dann nutze es doch einfach nicht.“

Diesen Satz hörten sich viele von uns in den 2010er Jahren häufig an. Oft reagierten wir etwa so: „Das löst das Problem nicht, wenn 80 % der Gesellschaft dort sind. Denn wir teilen uns eine Demokratie mit diesen Menschen.“ Heute wissen wir, dass wir leider Recht hatten mit der Befürchtung, dass Social Media – wie wir es bisher kennen – unsere Demokratie enorm gefährdet. Die Folgen davon zeigen sich in Wahlergebnissen und -prognosen und in einer für alle spürbaren Verhärtung und Verrohung der öffentlichen Diskurse.

Seit vielen Jahren verzichtet Digitalcourage auf giergetriebene soziale Medien. Bereits 2015 haben wir erklärt, warum wir Facebook nicht nutzen. Lediglich bei Twitter hatten wir eine Ausnahme gemacht. Nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk haben wir auch dort unseren Account stillgelegt. Seitdem kommunizieren wir nur noch über Plattformen, bei denen wir angemessene Kontrolle behalten:

  • wir posten im Fediverse (vor allem: Mastodon),
  • unsere Videos liegen auf unserer eigenen PeerTube-Instanz (ebenfalls Fediverse),
  • unser E-Mail-Newsletter erreicht tausende Menschen direkt und ohne Umwege,
  • wir nutzen Jabber-Gruppen und E-Mail-Verteiler,
  • unsere Texte und Bilder stehen auf unserer eigenen Website.

Ja, dafür haben wir vielleicht die eine oder andere Feder gelassen und manchmal altbacken dagestanden. Aber wir bereuen die daraus gewonnene Unabhängigkeit kein bisschen. Im Gegenteil: Wir sind darauf stolz, denn es hat uns stark gemacht. Denn leider haben sich unsere damaligen Prognosen bewahrheitet: Giergetriebene soziale Medien verstärken nur, was sich ohnehin gut verkaufen lässt – und das ist selten das Beste im Menschen.

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Aufklärung statt Polarisierung

Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok oder Twitter (derzeit X) bevorzugen Inhalte, die Aufregung erzeugen, Wut schüren oder Polarisierung verstärken. Ihre Chancen auf Reichweite steigen, wenn Sie besonders pointierte und polarisierende Inhalte veröffentlichen, oder solche, die Wut und Zynismus erzeugen, dann steigen Ihre Chancen. Wer sich nicht anpasst, hat kaum Chancen auf Sichtbarkeit. Differenzierte Argumente, sachliche Informationen oder nuancierte Perspektiven gehen im Geschrei unter.

Hier zeigt sich uns sehr deutlich, dass es dort gar nicht so viel mehr Reichweite zu holen gibt, wie es ständig kolportiert wird. Denn nur wer sich den Vorgaben des Algorithmus beugt, erhält – vielleicht – das vergiftete Geschenk der Aufmerksamkeit. Das Reichweiten-Argument ist eine große Lüge.

Immer stärker tragen die Mechanismen der giergetriebenen Plattformen zur gesellschaftlichen Verrohung bei. Sie begünstigen Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und rechte Mobilisierung – nicht (nur) aus ideologischer Absicht, sondern auch, weil sich das einfach besser klickt.

Doch weiterhin posten Universitäten, Politiker, Journalistinnen und NGOs auf diesen Plattformen, obwohl ihre Inhalte dort kaum durchdringen, von Algorithmen unsichtbar gemacht oder sogar konterkariert werden.

Die Netze nicht den Rechten überlassen

Es ist gut gemeint, aber trotzdem falsch: Der Gedanke, man müsse auf den Plattformen bleiben, um rechten Inhalten etwas entgegenzusetzen, verkennt die eigentliche Funktionsweise dieser Plattformen. Denn gegen den Algorithmus sind Sie auf verlorenem Posten.

Nehmen wir an, Sie widersprechen einem Beitrag, der Antisemitismus verbreitet. Zunächst einmal: Danke. Das passiert leider viel zu selten. Richtig ist aber auch: Vielleicht passiert es häufiger, als wir denken, aber wir bekommen es schlicht nicht zu sehen. Denn Ihr Beitrag erhält nur einen Bruchteil der Sichtbarkeit des ersten, auf den sie antworten. Schlimmer noch: Ihre Reaktion kann sogar dazu führen, dass der erste Beitrag als „relevant“ eingestuft und noch weiter verbreitet wird. Ihr Widerspruch erreicht damit das Gegenteil von dem, was Sie vorhatten.

Und nicht zuletzt: Mit Ihrer Reaktion dienen Sie der Plattform als Feigenblatt – als scheinbarer Beweis dafür, dass menschenfeindliche Inhalte dort nicht unwidersprochen bleiben. Auch wenn Ihr Widerspruch kaum sichtbar ist, könnte er als Legitimation hervorgekramt werden.

Sie wollen dort bleiben, um den Diskurs nicht den Rechten zu überlassen? Das ehrt Sie, doch leider werden Sie strukturell benachteiligt. Stellen Sie sich ein Fußball-Stadion vor, in dem Trolle und Rechtsextreme Zugang zum Soundsystem des Stadions haben, während Sie lediglich mit einem Kinder-Megafon ausgestattet sind. So lange diese Netze Hass und Hetze verstärken, haben Sie keine Chance, dem etwas Substantielles entgegenzusetzen.

Deshalb sagen wir: Raus aus der Polarisierungsmaschine

Nicht weil es einfach ist, sondern weil es notwendig ist. Wer heute kommuniziert, muss sich entscheiden: Will ich mithelfen, eine freie, faire, plurale Öffentlichkeit zu schaffen – oder will ich mit meiner Arbeit eine Infrastruktur stützen, die das Gegenteil bewirkt? Freiheit bedingt Verantwortung. Auch im Netz.

Und es lohnt sich. Denn wer sich im Fediverse eine Community aufbaut, hat hier eine langfristige Basis geschaffen, die nicht permanent bedroht ist, weil ein CEO einer Firma wechseln könnte oder weil sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in unsere Kommunikation einmischt. Man muss ja nicht gleich alle Brücken abreißen. Es ist sehr gut möglich, zunächst zweigleisig zu fahren und sich ein unabhängiges Standbein aufzubauen. Dann fällt es beim nächsten Skandal um Wahlmanipulationen, Rechtsbruch oder Machtausnutzung nicht mehr so schwer, den nächsten Schritt zu tun.