Googles vermeintliche Vergesslichkeit
Am 13. Mai 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Privatmenschen die Löschung von Links mit Personenbezug aus Ergebnislisten von Suchmaschinen verlangen können, wenn diese Ergebnisse nicht mehr aktuell oder relevant sind.
Das Urteil wird oftmals als Einfallstor für eine Art von Zensur gesehen, es wird befürchtet, dass Inhalte im Netz bald stärker ausgehöhlt sein werden als ein Schweizer Käse. Tatsächlich ist so einiges problematisch an diesem Urteil, vor allem der vermeintliche Konflikt zwischen Persönlichkeitsrecht und öffentlichem Interesse. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in den Medien immer wieder missverständlich dargestellt wird, welche Inhalte unter welchen Bedingungen tatsächlich betroffen sind. Außerdem liegt die Verantwortung für die Umsetzung des Urteils derzeit faktisch in den Händen von Google und Co., weil der EuGH hierfür keine konkreten Anweisungen gemacht hat. Hier wäre eine gesetzliche Vorgabe dringend notwendig, um die Ausgestaltung dem Gesetzgeber und nicht einem privaten Unternehmen zu überlassen.
Was wird vermeintlich gelöscht?
Zu dem Urteil geistern viele Mythen und Missverständnisse durch die Medienlandschaft. Häufig wird das Urteil als „Recht auf Vergessen“ interpretiert und so dargestellt, als würden auf Anfrage die Inhalte an sich oder Links gänzlich aus Google's Suchindex entfernt. Die SZ schrieb, dass auf Antrag Informationen aus Googles Suchergebnissen gestrichen würden, im BBC Blog, sah sich der Journalist Robert Peston zunächst als Opfer von Googles Löschwut und beim Elektrischen Reporter wird die Entfernung der personenbezogenen Links von Google-Sprecher Klaas Flechsig mit dem Löschen des Suchindexes einer Bibliothek verglichen. Die BBC geht sogar so weit, eine Sammlung der „vergessenen“ Links einzurichten, um das öffentliche „Recht auf Erinnern“ durchzusetzen.
Was wird wirklich gelöscht?
Doch was passiert wirklich? Können Inhalte auf Antrag gänzlich aus Googles Index verbannt werden?
Klarheit schafft das EuGH-Faktenblatt, in dem mit einigen der Mythen zum Recht auf Vergessenwerden aufgeräumt wird.
Das Gerichtsurteil betrifft lediglich das Recht auf Vergessenwerden in Bezug auf Ergebnisse von Suchmaschinen zum Namen einer Person. Das heißt, dass die Inhalte durch einen Antrag bei einer Suchmaschine nicht angetastet werden, sie verbleiben an ihrer ursprünglichen Stelle im Internet. Dies bedeutet auch, dass die Inhalte weiterhin von der gleichen Suchmaschine gefunden werden können, wenn eine andere Anfrage verwendet wird. (Übersetzung aus EuGH-Faktenblatt)
Auch die FAQ von Google heben hervor, welche Links betroffen sind.
URLs werden nur aus den Ergebnissen entfernt, die als Antwort auf Suchanfragen zum Namen einer Person geliefert werden. Wenn wir also einem Antrag zustimmen, dass ein Artikel zu Max Mustermann über seine Reise nach Paris entfernt werden soll, dann würden wir das Suchergebnis nicht für Anfragen zu [max mustermann] zeigen, aber wir würden es anzeigen für eine Anfrage wie [reise nach paris]. (Übersetzung aus FAQ von Google)
Inhalte werden in keinem Fall gelöscht und auch die fraglichen Links bleiben in Googles Suchindex findbar. Lediglich aus Suchanfragen nach dem Namen der betreffenden Person werden die Links entfernt. Der Inhalt bleibt unberührt und über andere Suchbegriffe nach wie vor auffindbar.
Zu Googles Gnaden?
Nun sind Google & Co. damit beauftragt, die Weisungen des EuGH umzusetzen, die alles andere als konkret sind. Anträge müssen direkt an den Suchmaschinenbetreiber gestellt werden, der dann "sorgfältig ihre Begründetheit zu prüfen hat". Die Vorgaben des EuGH, nach denen die „Begründetheit“ eines Antrags geprüft werden, beschränken sich darauf, dass im Zweifel für das Persönlichkeitsrecht gegenüber dem allgemeinen Interesse an Information zu entscheiden sei. Erst bei Ablehnung des Löschantrages können sich Betroffene an ein Gericht wenden und die Durchsetzung des Löschantrages einklagen. Umgekehrt geht das nicht, die Entfernung einer Verlinkung zu anzufechten, ist nicht möglich. Die praktische Umsetzung wird der Willkür der Suchmaschinenbetreiber überlassen.
Dabei legt Google in den ersten 6 Monaten nach dem Urteil einen erstaunlichen Elan an den Tag, den Anträgen nachzukommen. Seit Einführung des Löschverfahrens hat Google europaweit der Löschung von 41,7% von 575.000 URLs aus 170.000 Anträgen statt gegeben. Bei Ersuchen aus Deutschland liegt die Quote mit 52,7% bei insgesamt 98.000 URLs aus 30.000 Anträgen sogar noch höher. Diese Strategie vergrößert das Unbehagen bei vielen Menschen, dass nun wertvolle Inhalte aus dem Netz verschwinden könnten.
Wer entscheidet über die Kriterien?
Immerhin versteht Google, dass es die Umsetzung nicht alleine entscheiden kann und hat mit dem „Google Advisory Council“ ein Beratungsgremium geschaffen, das auch Außenstehende in den Diskurs einbezieht und zur Entwicklung von Richtlinien beitragen soll. Doch auch das könnte man eher als gelungene PR-Aktion verstehen, denn die eigentlich wichtigen Fragen zur Informationsfreiheit und legislativen Regelungen werden dort nicht besprochen. Ein externer Expertenrat sieht nicht nur gut aus, sondern spart Google auch eine Menge Aufwand.
Die europäische NGO European Digital Rights (EDRi) hat deswegen -- auch in unserem Namen -- bereits im September einen offenen Brief geschrieben, in dem auf die Probleme und Unzulänglichkeiten des Advisory Councils hingewiesen wurde.
Bei den ersten sechs Treffen konnte Google den geäußerten Bedenken nicht gerecht werden, woraufhin EDRi eine Einladung zur Teilnahme am siebten Advisory Council in Brüssel am 4. November 2014 abgelehnt hat. Unter anderem wird darauf hingewiesen, dass in der Komission Datenschutzexperten nicht ausreichend repräsentiert waren und die Intransparenz bei „gewöhnlichen“ Suchergebnismanipulationen Google bisher auch kein Kopfzerbrechen bereitet hat.
Eine gesamtgesellschaftliche AufgabeGoogle entfernt Inhalte freiwillig, de-indiziert Links und verändert generell weithin Suchergebnisse für viele Zwecke, im Allgemeinen auf willkürlicher, freiwilliger Basis. Trotzdem hat Google sich entschieden, eine Auseinandersetzung mit diesem weitreichenden Thema auf seiner Tour zu vermeiden. (Übersetzt aus offener Brief von EDRi)
Bleibt die Frage warum der EuGH diese Aufgabe an private Unternehmen delegiert, anstatt eine detaillierte Ausgestaltung von der Legislative zu verlangen oder auf bereits bestehende Regelungen zu verweisen. Auch wenn Google Links nur aus Personensuchen entfernt und somit Inhalte weder versteckt noch gänzlich gelöscht werden, formen die Suchergebnisse unser Bild von den betroffenen Personen. Der Umgang mit dem Erinnern, Vergessen und Vergeben ist letztlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Der Diskurs über die Abwägung von Persönlichkeitsrechten gegenüber öffentlichem Interesse sollte deshalb von der Politik und den Gerichten geleistet werden und nicht von einer privaten Firma oder einer von ihr eingesetzten Kommission. Es ist ein fataler Fehler, die Spielregeln für diese Abwägung von Google definieren zu lassen. Denn damit werden Fakten geschaffen, die zukünftige Gesetzgebungsverfahren vor sich hertreiben.
Bisherige Beiträge zum Thema:
Digitalcourage: Die neue Vergesslichkeit im Netz
Digitalcourage: EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessenwerden
Übersetzungen: Sebastian Lisken