Fakten gegen die Vorratsdatenspeicherung
Fakten gegen die Vorratsdatenspeicherung
Das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre. Wir haben die entsprechenden Studien, Statistiken und Analysen aufgelistet:
Fallbeispiele & Studien zu Folgen von Überwachung
Big-Data-Szenarien der Überwachung
Metadaten sind ausreichend für Überwachung
Vorratsdaten sind nicht sicher
Richtervorbehalt ist praktisch wirkungslos
Zugriff auf Vorratsdaten wird erweitert
Gesamtrechnung der Überwachungsmaßnahmen in Deutschland
Fallbeispiele & Studien zu Folgen von Überwachung
Überwachung schadet jedem einzelnen Menschen und der Gesellschaft insgesamt. Denn wer überwacht wird, ändert sein Verhalten. Menschen, die durch Überwachung verunsichert sind, vermeiden bestimmte Suchbegriffe im Internet, den Besuch öffentlicher Veranstaltungen und Orte oder Kontakte zu anderen Menschen. Das ist eine inakzeptable Einschränkung der Freiheitsrechte. Dieser sogenannte Chilling Effect, auch Abschreckungseffekt genannt, ist mit den Werten einer Demokratie nicht vereinbar.
Abschreckungseffekt
Der Abschreckungseffekt wurde unter anderem (im November 2013) von The FDR Group untersucht. Auftraggeber der Studie war die Schriftsteller.innen-Organisation PEN American Center. Die Studie wurde mit Hilfe von 520 amerikanischen Befragten durchgeführt. Demnach hat nach den Enthüllungen durch Edward Snowden ein signifikanter Prozentsatz der Befragten ihr Verhalten aus Angst vor Überwachung verändert. So gaben 28 Prozent der Teilnehmenden an, „Social Media“-Aktivitäten zukünftig zu vermeiden. Weitere 12 Prozent überlegen, das ebenfalls zu tun. 24 Prozent gaben an, bestimmte Themen in Telefonaten und E-Mails auszusparen. 16 Prozent der Befragten haben Recherchen im Internet zu kontrovers diskutierten Themen vermindert und weitere 12 Prozent ziehen dies für die Zukunft ebenfalls in Erwägung. Die FDR-Studie zeigt deutlich, wie massenhafte Überwachung die Freiheit von Menschen einschränkt.
UN-Kommission: Überwachung wird zur Gewohnheit
Die UN-Kommission für Menschenrechte stellte 2014 einen Bericht zum Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter vor. Der Bericht zieht eine ernüchternde Bilanz zur gegenwärtigen Rechtswirklichkeit. Der Appell ist eindeutig: „Jede Form der Kommunikationsüberwachung ist ein Eingriff in die Privatsphäre“ und „entgrenzte Überwachung ist zu maßregeln“.
Die digitale Kommunikation, von der das globale politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zunehmend abhängig ist, ermögliche eine nahezu unbegrenzte Massenüberwachung, die nicht länger Ausnahme sei, sondern sich zu einer ‚gefährlichen Gewohnheit‘ entwickele. institut-fuer-menschenrechte.de.
Umfrage von Amnesty International
Massenüberwachung im Internet ist menschenrechtswidrig und trifft weltweit auf Ablehnung. Dies belegt eine repräsentative Umfrage, die Amnesty International im März 2015 veröffentlichte. 59 Prozent der etwa 15.000 Befragten aus 13 Ländern sprechen sich gegen die Überwachung ihrer Internet- und Mobilfunknutzung durch ihre Regierung aus. In Deutschland sind es 69 Prozent. „Massenüberwachungsprogramme verletzen millionenfach das Menschenrecht auf Privatsphäre und müssen gestoppt werden. Unsere Umfrage zeigt, dass die große Mehrheit der Menschen diese Forderung unterstützt“, so Lena Rohrbach, Amnesty-Expertin für Digitale Menschenrechte.
Überwachung erzeugt Selbstzensur
Das Vodafone-Institut hat für eine Studie zu Big Data 8000 Menschen in acht europäischen Ländern befragt, unter anderem in Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Laut der Studie stimmen 38 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Gesetze und staatlichen Regelungen für den Schutz der Privatsphäre in der digitalisierten Welt nicht angemessen sind. Ein Viertel der befragten Personen hat hierzu keine klare Meinung. „Im länderübergreifenden – europäischen – Vergleich zeigt sich, dass [insbesondere] Deutsche sehr sensibel auf Datenschutzfragen und den Schutz der Privatsphäre antworten und der Weitergabe ihrer persönlichen Daten äußerst kritisch gegenüber stehen.“ Vodafone-Studie S. 7 (PDF) So gaben 56 Prozent aller Deutschen an, sehr persönliche Inhalte in E-Mails und Text-Nachrichten zu vermeiden. Grund dafür ist die Angst davor, dass Dritte Zugang zur privaten Kommunikation erhalten können Vodafone-Studie S. 56 (PDF). Diese Zensur der eigenen Kommunikation ist ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Freiheitsrechte!
Big-Data-Szenarien der Überwachung
Big Data ist die Verknüpfung und Auswertung von großen Datenmengen. Dabei werden Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Datenpunkten analysiert. Auf Grundlage von persönlichen Daten können Profile erstellt werden, die das Bewegungs-, Kommunikations-, oder Konsumverhalten von Menschen oder Gruppen abbilden. Genutzt werden diese Daten beispielsweise für gezieltes Marketing, für die Gestaltung von Preisen und Bedingungen bei Versicherungstarifen oder die Analyse von sozialen Netzwerken. Sowohl kommerzielle als auch staatliche Massenüberwachung basiert auf Big-Data-Analysen. Auf Grundlage solcher Analysen werden Menschen unterschiedlich behandelt und unter Umständen diskriminiert.
Darum setzt sich Digitalcourage dafür ein, dass Menschen vor Big-Data-Analysen besonders geschützt werden.
Menschen werden ständig bewertet
Wolfie Christl, Programmierer und Leiter von Cracked Labs, zeigt im Rahmen der Studie „Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag“, „dass eine Art von Überwachungsgesellschaft Realität geworden ist, in der die Bevölkerung ständig auf Basis persönlicher Daten klassifiziert und sortiert wird.“
Im Rahmen der Reportage How Companies Learn Your Secrets deckte Charles Duhigg, Reporter der New York Times auf, wie der US-amerikanische Discount-Riese Target massenhaft gesammelte Kundendaten und automatisch angelegte ID-Nummern nutzt, um umfassende Kundenprofile zu erstellen und wirtschaftlich nutzbar zu machen (wie zum Beispiel eine besonders interessante Gruppe, schwangere Frauen, frühzeitig und ohne bewusste Mitwirkung der Kundinnen identifiziert wird).
Wenn Sie eine Kreditkarte oder einen Gutschein nutzen, eine Umfrage ausfüllen, einen Artikel umtauschen, die Kundenhotline anrufen, eine E-Mail von uns öffnen oder unsere Website besuchen – wir werden es speichern und mit Ihrer Gäste-ID verknüpfen. Wir wollen so viel wie möglich wissen. […] Wir werden Ihnen Angebots-Gutscheine schicken für Sachen, die Sie haben möchten, bevor Sie überhaupt merken, dass Sie sie möchten. (Andrew Pole im Artikel How Companies Learn Your Secrets)
Kommunikationsdaten verraten die Persönlichkeit
Eine Studie von Forschenden der Universitäten MIT, Harvard und Lyon untersuchte 2013, ob ein signifikanter Zusammenhang zwischen Mobiltelefon-Verbindungsdaten und der Persönlichkeit der Nutzer zu finden ist. Tatsächlich ist das möglich. Die Forscher waren in der Lage, mit einer Genauigkeit von 61 Prozent den Versuchspersonen eine von drei Persönlichkeitsausprägungen zuzuordnen, und sehen in dieser Erkenntnis die Möglichkeit, massenhaft Big Data nutzbar zu machen.
Eine weitere Studie der Universität Cambridge von 2013 bestätigt die Möglichkeit,
dass frei verfügbare digitale Aufzeichnungen, wie persönliche Einstellungen und Facebook-Likes dazu genutzt werden können, um automatisiert und mit hoher Genauigkeit Rückschlüsse auf sensible Persönlichkeitsmerkmale wie die sexuelle Orientierung, Ethnizität, Religion, politische Einstellung, Persönlichkeitseigenschaften, Intelligenz, Zufriedenheit, Konsum von Suchtmitteln, Familienverhältnisse, Alter und Geschlecht ziehen zu können. (Abstract der Studie Private traits and attributes are predictable from digital records of human behavior)
Metadaten sind ausreichend für Überwachung
Metadaten sind Informationen, die genutzt werden, um andere Daten zu strukturieren. Geläufige Metadaten sind beispielsweise Ort, Datum, Name, Kategorien und Titel. Auch bei der Kommunikation via Telefon, E-Mail oder Social Media fallen Metadaten (als Verbindungs- oder Verkehrsdaten) an. Metadaten sind keineswegs unpersönliche Informationen. Im Gegenteil: Kommunikations-Metadaten geben sehr detailliert und präzise das Verhalten von Personen wieder.
Wenn man eine Person beobachtet, dann kann der Inhalt von Konversationen, beispielsweise von Textnachrichten und E-Mails von höherem Interesse sein als die Metadaten. Aber wenn man die komplette Bevölkerung überwacht, dann sind Metadaten bei Weitem bedeutsamer, wichtiger und hilfreich. (Bruce Schneier in seinem Buch „Data und Goliath“ wired.de)
Soziale Netzwerke: Wer schläft wann?
Ein dänischer Start-up-Gründer entwickelte ein einfaches Programm, um die Schlafgewohnheiten seiner Facebook-Freunde überwachen zu können. „[Ich] wollte […] aufzeigen, wieviel Facebook von seinen Nutzern wirklich weiß und wieviele digitale Fußabdrücke jeder von uns wirklich hinterlässt“, sagte der Entwickler Søren Louv-Jansen. Ein ähnliches Programm namens Sleeping Time (kein https!) gibt es auch für Twitter.
Töten auf Datenbasis
„Wir töten Menschen auf der Grundlage von Metadaten“, sagte einst der ehemalige NSA-Chef David Cole. Seit 2004 wurden bereits zwischen 2500 und 4000 Menschen in Pakistan durch Drohnenangriffe im Rahmen des SKYNET-Programms der NSA getötet. Die menschlichen Ziele werden im Rahmen einer massenhaften Überwachung des Mobilfunknetzes durch einen mit mangelhaften Daten trainierten Algorithmus aus 55 Millionen Mobilfunkteilnehmern ausgewählt. Ein Artikel von ars.technica stellte eine NSA-Präsentation über diesen Algorithmus vor. Laut dieser Präsentation bezeichnet die NSA eine statistische Fehlerrate von 0,18 Prozent, bei der ca. 100.000 völlig unschuldige Menschen als Terroristen klassifiziert und potentiell als Ziel ausgewählt werden können, als „sehr geringe Fehlalarmrate“.
Kommunikationsdaten ermöglichen Bewegungsprofile
Der Grünen-Politiker Malte Spitz verklagte 2009 erfolgreich die Deutsche Telekom AG auf Herausgabe der über ihn gesammelten Kommunikations-Vorratsdaten der sechs vergangenen Monate. 2011 stellte er diese Daten der ZEIT zur Verfügung, die sie mit frei verfügbaren Informationen über den Abgeordneten verknüpfte. Das Ergebnis wurde im gleichen Jahr mit dem Grimmepreis ausgezeichnet. Sehr empfehlenswert ist ebenfalls ein TED-Talk mit Malte Spitz zu diesem Thema.
Ein Gutachten (PDF) des Chaos Computer Clubs aus dem Jahre 2009 zeigt durch zahlreiche Fallbeispiele mögliche Auswirkungen von Vorratsdatenspeicherung auf und kommt zu dem Fazit,
dass die Gefahr von Datenmißbräuchen sowie die Möglichkeiten, Rückschlüsse auf intime Details, Aufenthaltsorte, Gewohnheiten und Vorlieben im Leben jedes einzelnen Bürgers zu ziehen, […] in keinem Verhältnis zu dem möglicherweise im Einzelfall bestehenden Vorteil bei der Strafverfolgung [steht].
Telefon-Metadaten sind persönlich und sensibel
Ein Experiment der Stanford-Universität bestätigte die These, dass Metadaten genutzt werden können, um personenbezogene Informationen wie Gesundheit, geschäftliche und rechtliche Kontakte und Waffenbesitz zu rekonstruieren.
Telefonaufzeichnungen durch die NSA und die Anbieter umfassten mehrere Millionen Amerikaner über viele Jahre. […] Die wissenschaftliche Lage […] ist eindeutig: Telefon-Metadaten sind hochsensibel. (webpolicy.org
Zahlreiche Lebensdetails können aus [Metadaten] hergeleitet werden, die oftmals viel unkomplizierter Informationen abwerfen, als der tatsächliche Inhalt unserer Kommunikation. Führt man die Spuren unserer Metadaten mit der Gesamtheit an Metadaten innerhalb eines sozialen Umfeldes zusammen, so entsteht ein alarmierend detailliertes Gesamtbild. (Prof. Edward W. Felton 2013 Gerichtsgutachten
Identifizierung von Personen
Im Rahmen einer Studie bestätigten Forschende vom MIT und der Université Catholique de Louvain die Hypothese, dass die Identifizierung von Personen anhand ihrer Telefondaten erstaunlich einfach ist und zu recht genauen Ergebnissen führt. „[Die Forscher] analysierten die Metadaten von 1,5 Millionen Mobilfunknutzern […] über 15 Monate hinweg und fanden heraus, dass lediglich vier Bezugspunkte […] ausreichten, um 95 Prozent der Personen zu identifizieren.“
Vorratsdaten sind nicht sicher
Wenn sensible Daten zentral gespeichert werden, ist die Gefahr groß, dass sich Kriminelle Zugang zu diesen Daten verschaffen. Fast täglich kommt es zu Angriffen auf Datenbanken von Regierungen, Unternehmen, Organisationen und einzelnen Personen. Beispielsweise wurden Meldedaten von mehr als 50 Millionen Menschen in der Türkei gestohlen und veröffentlicht (zeit.de). Auch die Kommunikationsdaten, die bei der Vorratsdatenspeicherung anfallen, können Ziel von Kriminellen werden. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben die Tragweite von Spionage und Überwachung deutlich gemacht. Edward Snowden deckte auf, dass sich beispielsweise die NSA mit Routern (zum Beispiel von Cisco) weltweit Einblicke in Datenbanken verschaffte.
Richtervorbehalt ist praktisch wirkungslos
Schwerwiegende Eingriffe in die Rechtsgüter eines Individuums dürfen in der Regel nicht von der vollziehenden Gewalt durchgeführt werden, insbesondere dann nicht, wenn es sich um missbrauchsanfällige Rechtsgüter handelt. Dies betrifft beispielsweise Wohnungsdurchsuchungen, Freiheitsentziehungen und Telefonüberwachungsmaßnahmen. Der Richtervorbehalt dient daher zum Schutz des Angeklagten.
Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sieht eben diesen Richtervorbehalt für die Herausgabe von Daten vor. Allerdings weisen viele Kritiker auf die Unwirksamkeit dieser Kontrollmaßnahme hin. Der Telekommunikationsanbieter posteo.de argumentierte in einem Brief an den Bundespräsidenten, dass „alle öffentlich verfügbaren Zahlen, wie wir in unserem Transparenzbericht aufzeigen, [darauf hinweisen] dass in der Praxis offenbar alle Anträge auf Überwachung bewilligt werden. Das Instrument des Richtervorbehaltes wird in seiner ihm zugedachten Kontrollaufgabe in der Praxis offenbar nicht gerecht. Der Rechtsschutz der betroffenen Bürger.innen ist deshalb unserer Ansicht nach nicht ausreichend gewährleistet.“. Auf die anschließende Frage, warum der Bundespräsident von der Verfassungsmäßigkeit überzeugt sei, antwortete dieser durch eine Mitarbeiterin: „[Der Bundespräsident prüft] allein [die Verfassungsmäßigkeit], nicht aber die Zweckmäßigkeit einzelner gesetzlicher Regelungen. […] Nach eingehender Prüfung ist er dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Verfassungsverstoß […] nicht vorliegt.“.
Das Projekt „Wirksamkeitsbedingungen von Richtervorbehalten“ der Universität Bielefeld gelangte zu einem ähnlichen Ergebnis: „Wir [haben] festgestellt, dass von über 500 Anträgen nur einer von einem Richter abgelehnt worden ist. Das heißt: Wenn die Polizei einen Antrag anregt und die Staatsanwaltschaft diesen Antrag stellt, so bekommt sie ihn mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit durch.“
Fast jede Abhörmaßnahme, die die Staatsanwaltschaft beantragt, wird auch genehmigt. Die Ablehnungsquote liegt im Promillebereich. […] Die Staatsanwaltschaft wiederholt die Ausführungen der Polizei und der Richter die Ausführungen der Staatsanwaltschaft.“ „Bei komplexen Verfahren wie im Bereich der organisierten Kriminalität müsste er eigentlich mehrere dicke Aktenordner studieren. Eine solide richterliche Entscheidung würde da mindestens eine Woche benötigen. So viel Zeit hat kein Richter. (Hans-Jörg Albrecht in taz)
Zugriff auf Vorratsdaten wird erweitert
Es stellt sich bei einer anlasslosen Massenüberwachung von Kommunikation wie dem deutschen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung die Frage, welche öffentlichen Stellen Zugriff auf die gesammelten Daten haben. Dieses sieht unter § 113c I vor, dass die ermittelten Daten sowohl an Strafverfolgungsbehörden als auch an die Gefahrabwehrbehörden der Länder übermittelt werden dürfen. Das bereits vorhandene manuelle Auskunftsverfahren (§ 113 TKG) erfasst zudem unter dem dritten Absatz weitere Stellen, die rein rechtlich Zugriffsrechte besitzen könnten – unter anderem auch die Verfassungsschutzbehörden, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst.
So soll beispielsweise der bayerische Verfassungsschutz Zugriff auf die erhobenen Daten erhalten, wie Rechtsanwalt Meinhard Starostik feststellt:
Kaum ist die Tinte des Bundespräsidenten unter dem Gesetz trocken, da kommt schon die Erweiterung der Anwendung des Gesetzes auf die Nachrichtendienste, wie die Kritiker das von Anfang an befürchteten. Hatte die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren noch als besonderen Vorteil des Gesetzes angepriesen, dass die Geheimdienste keinen Zugriff auf die Vorratsdaten haben, so legt jetzt Bayern als 1. Bundesland einen Gesetzentwurf vor, der dem Landesverfassungsschutz Zugriff auf die Daten ermöglichen soll. CDU und CSU fordern das für alle Nachrichtendienste. (Rechtsanwalt Meinhard Starostik)
Auch die Mainzer Erklärung, der Ergebnisbericht (PDF) der Klausurtagung des CDU/CSU-Bundesvorstands vom 9. Januar 2016, fordert eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten:
Wir haben die Speicherfristen für Verbindungsdaten […] eingeführt und sorgen damit für wirkungsvollere Strafverfolgung. Künftig sollen diese Daten auch Verfassungsschutzbehörden nutzen können. Wir setzen uns mit Nachdruck für die wirksame Überwachung auch verschlüsselter Kommunikation (sogenannte „Quellen-TKÜ“) ein und wollen den Verfassungsschutzbehörden die Befugnis zur ‚Online-Durchsuchung‘ zur Vorbeugung vor terroristischen Aktivitäten geben. (Mainzer Erklärung CDU/CSU (PDF))
Auch ein grenzüberschreitender Austausch von Vorratsdaten könnte langfristig möglich werden, da die EU-Mitgliedsstaaten bis 2017 die Richtlinie für eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) in nationales Recht überführen müssen. Diese solle dazu dienen, Beweise in Strafverfahren leichter erlangen zu können. Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (DIE LINKE) dazu:
Deutsche Behörden könnten dann mit all jenen EU-Staaten Telekommunikationsdaten tauschen, die eine nationale Regelung zur Vorratsdatenspeicherung eingeführt haben. Es handelt sich dabei um einen tiefen Eingriff in die Grundrechte und in die Privatheit der Telekommunikation. (Andrej Hunko (DIE LINKE))
Gesamtrechnung der Überwachungsmaßnahmen in Deutschland
Im Zusammenspiel mit einer Unmenge an bereits bestehenden privaten und gesetzlichen Überwachungsmaßnahmen ist die Vorratsdatenspeicherung mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar. Durch die Gesamtheit der Erfassung von Kommunikations-, Finanz-, Melde- und Reisedaten sowie durch umfangreiche Online-Profile werden Bürgerinnen und Bürger total erfasst und registriert. Digitalcourage dokumentiert diesen Bruch des Grundrechts auf Privatsphäre mit einer Gesamtrechnung der Überwachungsmaßnahmen in Deutschland.
Die Idee einer Überwachungsgesamtrechnung stammt von Alexander Roßnagel, Professor für Öffentliches Recht in Kassel, und wurde vom Bundesverfassungsgericht im „Volkszählungsurteil“ als Argument gegen uferlose staatliche Überwachung angeführt.