Überwachungsgesetze – im Dutzend chilliger?
In den letzten Wochen hat sich die Große Koalition noch einmal mächtig ins Zeug gelegt. Bis in die frühen Morgenstunden wurde im Minutentakt eine gesetzliche Ungeheuerlichkeit nach der anderen durchgewunken. Zum Beispiel:
- Ausweis- und Passbilder dürfen nun von Geheimdiensten vollautomatisch abgerufen werden. (Drucksache 18/11279 und Drucksache 18/12417).
- Das BKA-Gesetz erweitert Zuständigkeiten des Bundeskriminalamts und hebt das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei, das sich aus dem Verfassungsprinzip des Rechtsstaats ableitet, auf. (BKAG)
- Das neue Bundesdatenschutzgesetz weicht den Datenschutz auf. Kritisch sind vor allem Videoüberwachung, Scoring, Profiling, Betroffenenrechte und Gesundheitsdaten.(BDSG)
- Es wird die Vorratsdatenspeicherung aller Fluggastdaten beschlossen. (BGSG)
- Am 1. Juli 2017 beginnt die Speicherung der Kommunikationsbeziehungen aller Bürgerinnen und Bürger – bekannt als Vorratsdatenspeicherung. Noch kurz bevor die Speicherung scharf geschaltet wird, wird der Schutz der Daten gesetzlich ausgehebelt und der Katalog der Tatbestände, für deren Ermittlung diese Daten offiziell genutzt werden können, ausgeweitet (18/12359).
- Zur Aufklärung von Wohnungseinbrüchen sollen Handydaten aus der Umgebung in großem Umfang von Ermittlungsbehörden genutzt werden können (18/12359)
- IT-Sicherheitsgesetz: „Internet-Anbieter bekommen mehr Möglichkeiten, den Datenverkehr ihrer Kunden zu überwachen und zu filtern.“ (BSI-Gesetz)
- Die Entschlüsselungsbehörde ZITiS wird per Organisationserlass eingerichtet (DIP)
- Start des Cyberkriegskorps der Bundeswehr (BigBrotherAwards)
- Das Prostituierten„schutz“gesetz zwingt Prostituierte, sich anzumelden, und es hebt die Unverletzlichkeit der Wohnung aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf. (ProstSchG)
Diese Liste ist noch nicht einmal vollständig, so fehlt noch das wenig gelungene Netzwerkdurchsetzungsgesetz; weiteres ist in Vorbereitung oder nicht extra aufgeführt.
Im Dutzend chilliger?
Viele dieser neuen Überwachungsgesetze sind im Eiltempo durch die Ausschüsse, Bundestag und Bundesrat geprügelt worden, oft in nächtlichen Marathonsitzungen.
Immer wieder wurde die Jokerkarte von angeblich drohenden Anschlägen gezogen und damit die Totalüberwachung der gesamten Bevölkerung legitimiert.
Und „chillig“ (im Sinne von „beruhigend“) sind die Maßnahmen nicht. Eher „chilling“ wie in „chilling effect“ – also im Sinne von Abschreckung und Selbstzensur.
Digitalcourage: Verfassungsbeschwerden im Dutzend?
Durch die Willkür und Hektik bei der Gesetzgebung konnten wir nur wenig im Vorfeld verhindern oder zumindest abmildern – die Überwachungsgesetze sind beschlossen.
Digitalcourage wird nun mit Anwält.innen prüfen, ob wir gegen einige oder alle oben genannten gesetzlichen Ungeheuerlichkeiten Verfassungsbeschwerde einlegen werden. Glücklicherweise sind wir nicht allein, auch andere werden nach Karlsruhe ziehen. Wir werden auf jeden Fall sorgfältig abwägen und bei Erfolgsaussicht Verfassungsbeschwerden einlegen. Wer uns dabei fachlich unterstützen möchte, möge sich bitte bei uns melden. Und natürlich werden wir auch zu Unterstützungsunterschriften aufrufen und Spenden sammeln, damit wir diese langwierigen und teuren Verfahren durchziehen können.
Ein schneller Erfolg wird es nicht werden. Erst Anfang diesen Jahres teilte das Bundesverfassungsgericht mit, dass es sich 2017 nicht mehr mit unserer Verfassungsbeschwerde zur Vorratsdatenspeicherung beschäftigt, sondern diese erst später behandeln wird.
Aber wir bleiben dran. Und wir haben einen langen Atem. Atmen Sie mit.
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Titelbild: Digitalcourage / dip21.bundestag.de Public Domain