Polizeigesetz NRW – Verfassungsfeindlichkeit als System?

Der Entwurf eines neuen Polizeigesetzes für NRW zeigt: Beamte, die dem Grundgesetz verpflichtet sind, fordern verfassungsfeindliche Gesetze. Ein Gastkommentar von Roland Appel.
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Nahaufnahme eines Flugzeugteils mit der Aufschrift „Gefahr“.

Gestern hat im Landtag eine Anhörung zum Polizeigesetz NRW stattgefunden. Dabei waren zwei Dinge bemerkenswert: Die Mehrzahl der liberalen und verfassungskundigen und -treuen Kritiker und Kommentatoren war sich einig, dass die Einführung der “drohenden Gefahr” als neuer Rechtstatbestand der Polizei derart schwammig tiefste Eingriffsbefugnisse in Grundrechte erlaubt, dass diese vor dem Verfassungsgericht niemals Bestand haben werden. Praktisch ohne konkrete Anhaltspunkte oder konkretisierten Verdacht und ohne Gerichtsentscheidung Menschen bis zu vier Wochen wegsperren, mit elektronischen Fußfesseln auszustatten, ist schlichtweg mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das machte der altliberale Jurist und ehemalige Innenminister Burkhard Hirsch klar. Er als Gutachter erklärte, im Falle des unveränderten Beschlusses, gegen dieses Gesetzes vor dem Verfassungsgericht eigenhändig Klage einzureichen.

Peinlich für die NRW-FDP

Peinlich für die Landesregierung und um so peinlicher für die NRW-FDP, die dieses Gesetz gegen alle liberale Glaubwürdigkeit mitträgt. Um so entsetzlicher, dass der rechtspolitische Sprecher der FDP auch noch erklärt, dieser Gesetzentwurf käme “dank der FDP besser” daher als die Polizeigesetze anderer Bundesländer – er muss wohl “verschärfter” gemeint haben, denn nirgendwo – außer in Bayern mit der CSU – wird ein gleichartiger Verfassungsbruch per Gesetz in einem Bundesland vorbereitet.

Der zweite Akt, der jeden rechtstaatlich denkenden Bürger aufhorchen lassen muss, ist die uneingeschänkte Unterstützung dieser Positionen in der Stellungnahme der sogenannten “Polizeigewerkschaft” im Beamtenbund, und ihres NRW-Vorsitzenden Albishausen, dem Nachfolger des trotz drohender Schatten eines Untersuchungsausschusses immer noch aktiven Rainer Wendt. Dieses Gesetz, so Albishausen, gebe der Poizei endlich die Mittel, die sie brauche, um effizient zu arbeiten.

Was treibt diese Polizeifunktionäre an? Würden sie “alles” mitmachen?

Was ist das eigentlich für eine Polizei, was für ein Polizist, der auf Grundgesetz und Verfassungrechte, auf die Wahrung und Verteidigung der Grundrechte vereidigt worden ist? Was maßt sich dieser Büttel an, den offensichtlich eine Sehnsucht nach Macht und nach Kompetenzen sowie dem Recht zu unverhältnismäßigen Übergriffen antreibt, wie einen vierwöchigen Unterbindungsgewahrsam, einem Mittel, das sonst nur von den Sicherheitskräften Erdogans in der Türkei bekannt ist? Wie niedrig ist die Schwelle zur Bereitschaft, ins Grundgesetz einzugreifen, bei dieser Art Staatsbeamter, denen wir das demokratische Gewaltmonopol des Staates anvertrauen?

Was treibt diese selbstherrlichen Polizeifunktionäre an, immer neue und immer weitergehende Kompetenzen bis zur willkürlichen, weil eben nur unterstellten – drohenden Gefahr – zu fordern? Wo ist die Grenze, an der diese Menschen Widerstand leisten werden, sollte sich in Deutschland beispielsweise eine rechtspopulistische Regierung etablieren, die Asylsuchende, Ausländer, Linke, Christen, die sich für humane Flüchtlingspolitik einsetzen oder Kirchenasyl praktizieren, aktiv mit diesen Gesetzen verfolgt, einen Monat lang festsetzt oder als “Gefährder” einstuft? Oder werden sie wie viele Beamte nach 1933 alles mitmachen, was “von oben” beschlossen oder dekretiert wird? Wo bleiben die mündigen Demokraten in Uniform, die diese liberale Demokratie verteidigen, die noch zweifeln, die mal nach gesellschaftlichen Ursachen fragen, anstatt “Durchgreifen”, und eine in den USA schon vor 20 Jahren grandios gescheiterte “Null Toleranz” Strategie uns als Alheilmittel verkaufen wollen?

Dieser Kommentar erschien ursprünglich beim Beueler Extradienst. Wir fanden den Text so treffend, dass wir ihn hier mit der Erlaubnis des Autors weiterverbreiten.

Roland Appel ist Unternehmensberater im Bereich Datenschutz und Bürgerrechte, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Grünen NRW und Mitglied der G-10 Kommission (Geheimdienstkontrolle) des Landtages NRW. Er schreibt regelmäßig politische Kommentare in der "Rheinischen Allgemeine" und dem "Beueler Extradienst".

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Warum sind die Minister keine “Fachminister” mehr?

Von meinem alten Freund und Innenminister Herbert Reul erwarte ich nichts anderes. Zu unserer gemeinsamen Landtagszeit habe ich ihn – damals war er Generalsekretär der CDU – schon mal polemisch als “Herrn Heul” bezeichnet. Herbert Reul ist kein schlechter Kerl, allein, er ist kein Vertreter des liberalen Rechtstaats und hat sicher nur seine Beamten gebeten, ihm mal ein “richtig scharfes” Polizeigesetz zu entwerfen – wie er seinen Apparat ja auch bereits bat, mit der jahrzehntelang bewährten “Deeskalationsstrategie” der NRW-Polizei endlich zu brechen. Politisch legitim, aber falsch für den liberalen Rechtstaat. Ich bin immer wieder entsetzt, was Beamte, die auf das Grundgesetz vereidigt worden sind, ihren politischen Spitzen an gesammelten Verfassungsbrüchen aufschreiben oder raten. Seit Mitte der 90er Jahre ist es üblich, dass erst die Kohl-Regierung – Wolfgang Clement sogar trotz Rot-Grün durch die Zusammenlagung von Innen-und Justizministerum – später auch CDU/FDP- Regierungen wie die in NRW von 2005-2010 mit dem “Landestrojaner”, regelmässig verfassungswidriges beschließen, um dann von den Verfassungsgerichten aufgehalten werden zu müssen. Und warum gibt es – ich habe mich darüber bereits im Zusammenhang mit dem unsäglichen SPD-Vorgänger Jäger geäußert – keine Fachminister mit Kompetenz mehr? Burkhard Hirsch, Herbert Schnoor waren Fachminister mit Kompetenz und Verfassungswissen. Herbert Reul ist Europapolitiker – Seehofer populistischer “Hans Dampf” in allen Gassen.

Beamte entwerfen Verfassungsbrüche – Amtseid vergessen?

Was ist das für eine Beamtenschaft, die auf das Grundgesetz verpflichtet werden, aber immer wieder Gesetze entwerfen, die Verfassungsbrüche beinhalten? Auch Legislative und Exekutive sind an die Verfassung gebunden. Was bedeutet es, was sagt es über die Parlamente und über die Exekutive aus, wenn sie immer wieder und in den letzten Jahren von den Gerichten und der Verfassungsgerichtsbarkeit immer häufiger korrigiert, gestoppt und zurückgepfiffen werden müssen? Dieselben politischen Kräfte, die in den 70er und 80er Jahren von Linken der Radikalenerlass und Berufsverbote “Verfassungstreue” eingefordert haben, betätigen sich heute schamlos und unverfroren als Totengräber der Verfassungsrechte! Was würde wohl Herr Albishausen sagen, wenn ihn Bürgerrechtler zur – satirischen – Überprüfung seiner Verfassungstreue vorladen würden?

Was sagt das alles über die Fähigkeit unseres liberalen Rechtstaates aus, Angriffe von Populismus und von ganz rechts zu widerstehen? Wo sind die Demokraten, die die Bonner Republik verteidigten, die inzwischen eine Berliner Republik verteidigen müssen? – Freiheitsrechte – , so schrieben die damals FDP-nahen Jungdemokraten 1976 im Rahmen ihrer Kampagne “Das Grundgesetz in die Gesellschaft hineingetragen”, sind niemals nur durch Gesetze gewährt, sondern müssen in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder neu von uns allen neu erkämpft und erstritten werden! Die Gelegenheit werden die Bürgerinnen und Bürger bekommen. Am 7.Juli findet eine Demonstration in Düsseldorf gegen das unsägliche Polizeigesetz statt. Veranstalter sind auch ehemalige Jungdemokraten. Ich hoffe, wir sehen uns.

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