Was tut die Digitalregulierung eigentlich für uns?
Es ist der 21. August 2025. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten verkünden ein Abkommen, das einen drohenden Handelskrieg abwenden soll. In Europa fühlen sich viele über den Tisch gezogen. Wir sollen viel in die USA investieren und was kriegen wir dafür? 15 % Zölle statt 39 % (und teils höher). Leichte Strafen statt härtere Strafen also. Immerhin wurde die Digitalindustrie aus dem Abkommen herausgehalten. Wenigstens also ein kleiner Erfolg?
Es ist der 26. August 2025, fünf Tage später. Donald Trump kündigt neue, härtere Strafzölle gegen Länder mit Digitalregulierung an. Offenbar ist der Deal vom 21. August bereits wieder Geschichte, denn gemeint ist hier vor allem die EU. Seit 2022 und 2024 gelten sowohl der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA), zwei Verordnungen, die regulieren, was die Tech-Industrie darf und nicht darf. Beides sind ambitionierte Regulierungspakete, und echte Versuche die Macht der Tech-Giganten zu brechen und den Markt zu verändern – mit all den positiven und negativen Aspekten, die damit einhergehen.
Seither feuern Vertreter der USA und der Big-Tech-Firmen gegen diese Verordnungen. Die Narrative, die sie dafür nutzen, basieren meist auf vermeintlicher „Zensur“ beim DSA und „wirtschaftlichen Schäden“ beim DMA. Dabei verlassen sie sich darauf, dass die Einzelnen sich nicht weiter mit dem Thema beschäftigen und ihnen einfach glauben. Ja, der DSA beschäftigt sich in manchen seiner Artikel mit dem Löschen von Inhalten, aber er definiert keine neuen Straftaten. Ein Großteil der Vorschriften dient dem generellen Verbraucher.innenschutz. Ja, der DMA versucht die Marktmacht der Unternehmen zu zügeln, aber wenn große Unternehmen durch proprietäre Soft- und Hardware Monopole bilden, dann schreitet der Staat zu Recht ein.
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Was tun DMA und DSA genau?
Beide Regelwerke sind EU-Verordnungen. Das heißt, sie gelten unmittelbar und müssen nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden.
Der DSA (Digital Services Act) verpflichtet Online-Dienste zu mehr Transparenz und Verantwortung. Je größer ein Dienst ist, desto strenger sind die Auflagen. Große Plattformen und Suchmaschinen, sogenannte VLOPs (Very Large Online Platforms), müssen mehr Pflichten erfüllen als kleine oder mittlere Anbieter. Ziel ist ein einheitlicher Rechtsrahmen für digitale Dienste, der auch für Anbieter gilt, die zwar außerhalb der EU sitzen, aber hier aktiv sind.
Der DMA (Digital Markets Act) nimmt große Tech-Konzerne wie Google, Apple, Amazon, Meta (also Facebook/Instagram/WhatsApp) oder Microsoft in die Pflicht. Sie werden als sogenannte Gatekeeper bezeichnet – also als Unternehmen, die mit ihrer Marktmacht den Zugang zu digitalen Märkten kontrollieren. Viele ihrer Systeme sind absichtlich geschlossen gestaltet, sodass kleinere Anbieter kaum konkurrenzfähig sind. Wenn andere Unternehmen groß genug werden, können auch sie als Gatekeeper eingestuft werden.
Das klingt auf den ersten Blick vernünftig, bleibt aber oft abstrakt. Trotzdem hat die neue Regulierung spürbare Auswirkungen im Alltag. Es gibt gute Gründe, warum wir DSA und DMA positiv sehen – und warum sie den großen US-Tech-Firmen so ein Dorn im Auge sind. Doch was genau bewirken sie für uns?
Um das Ganze greifbarer zu machen, haben wir einige konkrete Beispiele zusammengestellt.
Digital Services Act (DSA)
1. Verbot von Dark Patterns:
Dark Patterns sind Methoden von Internetseiten, um uns mit Frust zu bestimmtem Verhalten zu bewegen, auch wenn dieses unseren eigenen Interessen widerspricht. Ein Beispiel ist, dass man günstige Optionen zu einem Produkt hinter verschiedenen Menüs versteckt, durch die Sie Sich erst hindurchklicken müssen. Oder wenn es einfacher ist, nervige Cookies zu akzeptieren, als sie abzulehnen. In Artikel 25 des DSA wird so eine gezielte Manipulation verboten.
2. Weniger personalisierte Werbung:
In Artikel 26 wird verboten, sensible persönliche Daten zu verwenden, um passgenaue Werbung zu erstellen. Zum Beispiel dürfen Plattformen nicht mehr Informationen über politische Überzeugung, sexuelle Orientierung oder ethnische Zugehörigkeit nutzen, um uns darauf angepasste Werbung zu zeigen. Personalisierte Werbung für Kinder wurde in Artikel 28 ganz verboten.
3. Schnellere Inhaltsmoderation:
Der DSA verpflichtet in Artikel 16 die großen Plattformen dazu, das Melden illegaler Inhalte einfacher zu machen. Diese müssen die Plattformen dann schnell löschen. Da hier meist die Debatten über „Zensur“ anfangen, sagen wir es nochmal: Der DSA schreibt nicht vor, was verboten ist, sondern stellt nur klar, dass das, was bereits offline illegal ist, auch online illegal bleibt. Dafür werden europaweit einheitliche Methoden geschaffen. In Artikel 17 werden Anbieter dazu verpflichtet, einen genauen Grund anzugeben, wenn etwas durch den DSA gelöscht wird. Sie müssen außerdem laut Artikel 20 eine leicht zugängliche Möglichkeit schaffen, mit der Nutzer.innen das Löschen ihrer Inhalte einfach anfechten können.
4. Transparenz der Moderation:
Der DSA möchte, dass große Anbieter ihre Algorithmen und Plattformstrukturen transparent gegenüber der Öffentlichkeit machen. Dank Artikel 14 müssen Plattformen nun detaillierte Informationen über die Maßnahmen und Algorithmen, die zur Inhaltsmoderation eingesetzt werden, in die AGB schreiben. Außerdem müssen Unternehmen durch Artikel 15 jährliche Transparenzberichte über die Moderation von Inhalten verfassen und frei zugänglich veröffentlichen.
Digital Markets Act (DMA)
1. Interoperabilität:
Produkte von großen Tech-Unternehmen sind mittlerweile so verbreitet, dass einzelne Personen und kleine Firmen gegen diese Marktmacht kaum ankommen. Alle Freund.innen haben WhatsApp, also holt man sich auch WhatsApp. Dienste wie Signal sind zwar sicherer, die Nutzung ist aber oft mit vielen Diskussionen im Freundeskreis verbunden. Dank Artikel 5 und Artikel 6 des DMA, müssen Unternehmen ihre Produkte auf Anfrage öffnen, sodass sie anderen Anbietern kompatibel werden.
2. Keine unlöschbaren Apps mehr:
Dank Artikel 6 müssen Unternehmen möglich machen, dass man vorinstallierte Apps löschen kann. Bisher gab es bei iOS und Android oft vorinstallierte Apps, die man nicht löschen konnte. Diese Bevormundung ärgerte viele Menschen und darf nun nicht mehr stattfinden.
3. Daten über Dienste kombinieren:
Viele Dienste, die wir täglich nutzen, gehören meist zu einem einzelnen Anbieter. Instagram, Facebook, Threads und WhatsApp sind zum Beispiel alle Teil des Konzerns Meta. Der DMA verbietet in Artikel 5 Absatz 2, dass personenbezogene Daten über Dienste hinweg kombiniert werden. Daten, die auf Instagram gesammelt werden, dürfen nun zum Beispiel nicht mehr mit Daten von WhatsApp kombiniert werden.
4. Bevorzugungsverbot:
Dank Artikel 5 Absatz 2 ist es Gatekeepern jetzt ebenfalls verboten, sich selbst bei Rankings zu bevorzugen. So darf Alphabet zum Beispiel nicht mehr seine eigenen Produkte bei Google-Suchen bevorzugt anzeigen. Es gab bereits ein erstes Urteil durch das Landgericht Mainz.
Warum mag Big-Tech diese Regeln nicht?
Tech-Unternehmen, besonders soziale Netzwerke, sind gierige Institutionen, und Gier bezieht sich hier nicht nur auf Geld. Vor allem eins wollen sie: unsere Zeit und Aufmerksamkeit. Nehmen wir einmal Mark Zuckerberg und Meta als Beispiel: In einer Welt nach Zuckerbergs Geschmack wachen Sie morgens auf, nehmen das Handy in die Hand und gucken auf Facebook und Threads was so in der Welt los ist. Während man frühstückt, wird der Sprachassistent Meta AI gefragt, wie das Wetter heute wird und was für Termine so anstehen. Nebenbei werden ein paar Instagram-Reels geguckt. Der Arbeitsplatz ist natürlich auf Facebook und Instagram vertreten. Auf dem Weg nach Hause verabreden Sie sich mit Freund.innen über WhatsApp zum Feierabendgetränk. Zuhause ziehen Sie die Schuhe an, die über den Facebook-Marketplace gekauft wurden, und nach dem Treffen werden alle Bilder auf Instagram gepostet.
Alle diese Produkte gehören einem einzigen Unternehmen. Mit jeder Sekunde, die wir auf diesen Plattformen verbringen, werden mehr Daten über alle Lebensaspekte von uns gesammelt. Zuhause, auf der Arbeit, bei Freund.innen, einfach überall. Oft wissen wir nicht, welche Daten sie von uns erfassen, wie sie diese verwenden oder wie die Algorithmen funktionieren, die uns Nachrichten und Meinungen zeigen. Darüber hinaus gibt es kaum Möglichkeiten, die Inhalte, die uns angezeigt werden, aktiv zu beeinflussen. Wenn Plattformen ihre Menüs nervig und unübersichtlich machen, können wir uns als Individuen nur beschweren, und sonst nichts. Was will man tun, wenn einem Instagram nicht mehr gefällt? Einfach gehen? Wohin? Das ganze Leben ist da, von den Freund.innen bis hin zum Arbeitsplatz. Was Big-Tech gar nicht mag: wenn es Menschen einfacher gemacht wird, aus diesem goldenen Käfig auszubrechen – und das tun DMA und DSA.
Nicht perfekt – aber endlich eine Gegenmacht zu Big-Tech
Zugegeben: Der DMA und der DSA sind nicht perfekt. Es gibt auch berechtigte Kritik daran. Auch sie wurden unter zu viel Lobby-Einfluss erstellt und Mechanismen wie die Trusted Flagger könnten ebenfalls missbraucht werden. Doch die Aufgabe, die sich die EU damit gestellt hat, ist wahrlich keine einfache: Der gesamte digitale Markt soll umfassend reguliert werden. Dabei müssen die Perspektiven und Bedürfnisse von 27 EU-Mitgliedsstaaten unter einen Hut gebracht werden. Demokratie und die damit einhergehenden Kompromisse können manchmal echt kompliziert sein. Darum sehen wir den DSA – trotz mancher Kritik – als gelungenes Beispiel europäischer Digitalpolitik.
Außerdem sollte man klar differenzieren, woher die Kritik kommt. Man muss unterscheiden zwischen berechtigten Verbesserungswünschen aus Europa und der gezielten Sabotage durch Trump und Big-Tech. Die US-Amerikaner.innen und CEOs stören sich nicht am DSA, weil ihnen die Rechte der kleinen europäischen Bürger.innen so am Herzen liegen. Sie tun dies, weil der DSA und der DMA die Marktmacht ihrer Unternehmen schwächt, und ihr Diskursmonopol auf den sozialen Netzwerken angreift. Anders als wir, hat sich Trumps USA da überhaupt nicht einzumischen.
Die EU hat keine einfache Aufgabe
Die EU hat ein großes Problem: Meist bekommt sie nur dann Aufmerksamkeit, wenn etwas schief läuft. Positive Impulse genießen wir zwar gerne, vergessen aber allzu schnell, wo sie her kamen.
Wenn Websites ihre Cookie-Banner vereinfachen, Handys USB-C nutzen oder Roaming-Gebühren wegfallen, denken viele: „Schön, dass die Firmen kund.innenfreundlicher werden.“ In Wahrheit steckt oft EU-Regulierung dahinter – nur spricht niemand darüber.
Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik an der EU. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sie derzeit die einzige Kraft ist, die großen Tech-Konzernen Grenzen setzt und Datenschutz vorantreibt. Die Tech-Lobby der USA hat sich im Weißen Haus eingenistet und wir können davon ausgehen, dass Trumps Regierung sie nicht ausbremsen wird. Das müssen wir schon selbst tun. Und genau dafür ist die EU unser stärkstes Werkzeug.
Mit der vereinten Macht von 27 Mitgliedsstaaten kann Europa Monopole aufbrechen, Alternativen fördern und digitale Selbstbestimmung sichern. Dass Konzerne das nicht mögen, zeigt nur, wie wichtig diese Regeln sind.
Bild: Ragnar Rebase Unsplash-Lizenz, Bearbeitung: M. Lübbert
Nein, wir sind nicht auf Instagram, TikTok & Co
Bild: Gemälde (CC0), Bearbeitung: M. Lübbert