Zensus 2021: alle Daten, alle Bürger.innen
Am 13. Januar 2019 hat die Bundesrepublik begonnen, die umfangreichste Datenbank in ihrer jungen Geschichte zu schaffen. Dafür sollen sensible Informationen wie Name, Geschlechtsidentität, Familienstand oder Religionszugehörigkeit von allen Bundesbürger.innen im Rahmen eines Testlaufs für den Zensus 21 im Statistischen Bundesamt zentral zusammengeführt werden – ohne sie vorher zu anonymisieren oder pseudonymisieren.
Wer wohnt wo mit wem und …
Im Test soll die Datenübermittlung für den angestrebten Zensus des Landes 2021 unter anderem auf Funktion getestet werden. Ein solcher Zensus soll der Regierung ein möglichst umfangreiches und exaktes Bild der Gesellschaft bieten. Der Staat möchte nicht nur wissen, wer wo wohnt, sondern auch wie viele Zimmer die Wohnung hat, wer sonst noch in der Etage wohnt und in welcher Beziehung die Wohnpartnerinnen zueinander stehen.
Sensible Daten aus allen Meldeämtern
Diese umfangreiche Erfassung und Auswertung personenbezogener Daten wollen die deutschen Behörden nun ab 13. Januar zentral zusammenführen und die Qualität der Daten, sowie den technischen Ablauf prüfen. Innerhalb von vier Wochen sollen sämtliche Meldeämter die Klarnamen der bei Ihnen erfassten Personen an das Statistische Bundesamt übermitteln, hinzu kommen unter anderem folgende Daten:
- Datum der letzten Eheschließung oder Begründung der letzten Lebenspartnerschaft,
- Datum der Auflösung der letzten Ehe oder der letzten Lebenspartnerschaft
- Information über freiwillige Anmeldung im Melderegister
- Datum des Zuzugs aus dem Ausland
- rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft
- Geburtsdatum
- Geschlecht und Ordnungsmerkmal des Ehegatten oder des Lebenspartners.
Das verabschiedete Gesetz sieht eine maximale Aufbewahrungsfrist von bis zu zwei Jahren vor.
Wie mit den Daten nach dem Test verfahren werden soll ist unklar, ein dokumentiertes Löschverfahren gibt es nicht.
Digitalcourage hat derweil eine IFG-Anfrage auf fragdenstaat.de an das Statistische Bundesamt gerichtet, um offene Verfahrensfragen zu klären:
- Welche Personen, Behörden, Organisationen und Unternehmen haben, hatten und werden Zugriff auf die erhobenen Daten, beziehungsweise Teile der Daten haben?
- Wurden Möglichkeiten für eine dezentrale Lösung geprüft?
- Wenn ja: durch wen, mit welcher Methode und mit welchen Ergebnissen?
Update: Es laufen zwei weitere IFG-Anfragen bzgl. des Testlaufs:
- fragdenstaat.de: Elektronische Übermittlung und Verarbeitungstätigkeiten
- fragdenstaat.de: Stellungnahmen Dritter & Referentenentwurf des Ministeriums
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Offensichtlich verfassungswidrig
Wir halten das Gesetz für offensichtlich verfassungswidrig. Der Testlauf stellt einen gefährlichen und überflüssigen Eingriff in die Intimsphäre der deutschen Bürgerinnen und Bürger dar. Der angestrebte Datenschatz ist ein sehr attraktives Ziel für Hacker und verstößt gegen elementare Erwägungen des Datenschutzes.
Ist im tatsächlichen Zensus noch vorgegeben, wenigstens den Klarnamen von sonstigen Daten zu trennen, sind für den Probelauf keine derartigen Schutzmaßnahmen vorgesehen.
Die Sicherheit und Vertraulichkeit der Daten von bis zu 82 Millionen Bundesbürger.innen steht und fällt mit dem Vertrauen in die IT-Infrastruktur des Bundes. Datendesaster aus der Vergangenheit rechtfertigen hier keinen Vertrauensvorschuss. So gelang es Hackern des Chaos Computer Clubs die zur Bundestagswahl 2017 eingesetzte Auswertungssoftware zu manipulieren. Über die leicht kompromittierbaren Update-Server hätten Angreifer die fragliche Software mit einem Klick übernehmen können.
In den USA sind gar 143 Millionen Sozialversicherungsdatensätzen in die Hände von Datendieben gelangt.
Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht gegen den Testlauf
Aus diesen Gründen hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte(GFF) zusammen mit den Datenschützern Rhein-Main und dem Arbeitskreis Zensus einen Eilantrag gegen das neue Gesetz gestellt. Leider hat dieser keine aufschiebende Wirkung. Die Entscheidung liegt also umso mehr beim Bundesverfassungsgericht. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte sagt dazu:
„Wenn die zentrale Zusammenführung der Daten nicht verhindert wird, ist die damit verbundene Verletzung der Grundrechte der Bürger irreparabel“
Die GFF bittet um Spenden, um die Klage zu finanzieren.
Absehbare Verfahrensfehler
Hinzu kommen absehbare Fehler im Datentransfer. Die zur Datenübermittlung eingesetze Software soll nach dem Willen des Gesetzgebers vor dem Testlauf nicht auf Fehler geprüft werden, da dies „neue und unerwartete Fehler, die für die Hersteller vorab nicht erkennbar sind“ nicht ausschließen würde. Zudem sollen auf Empfängerseite erkannte Anomalien nicht an die Zulieferer zurückgemeldet – sondern statistisch korrigiert werden.
Außerdem ist die Notwendigkeit, das Verfahren mit Daten von allen in Deutschland gemeldeten Personen zu testen, mindestens fragwürdig. Die Bundesregierung spricht zwar von einer absoluten Notwendigkeit um die Datenqualität beurteilen zu können, zum Test der Software würde jedoch auch eine minimale Stichprobe von etwa 1/10.000 aller Datensätze genügen. Es könnten gar durchdacht gewählte Fake-Daten reichen, um das Verfahren ausreichend auf seine Belastbarkeit zu prüfen.
Es ist unklar, ob aus mangelndem Interessse oder fehlendem Können auf derartige Maßnahmen zur Datensparsamkeit verzichtet wurde. Beides macht wenig Hoffnung auf die sonstigen zum Datenschutz getroffenen Maßnahmen. Das ganze Verfahren erweckt so nicht den Eindruck eines durchdachten Vorgehens sondern mehr den einer Hauruck-Aktion.
Wir bleiben dran
Volkszählungen sind ein historisches Thema für Digitalcourage. So bekam Prof. Dr. Gert G. Wagner stellvertretend für alle am Zensus 2011 Beteiligten einen BigBrotherAward verliehen. Es darf nie wieder ein zentrales Melderegister für Deutschland geben. Wir werden das Thema weiter begleiten und Sie hier sowie auf unserem Newsletter auf dem Laufenden halten.
Update: Rechtliche Grundlage für Volks- und Wohnungszählungen seitens der EU
Die Durchführung des Zensus 2021 fußt auf EU-Verordnungen von 2008, die alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichten alle 10 Jahre einen Zensus durchzuführen und dabei bestimmte Bevölkerungsdaten zu erheben, die mithilfe eines einheitlichen aufgebauten Programms an die EU übergeben werden sollen.
Welche Daten genau erhoben werden, kann im Anhang der Verordnung 763/2008 nachgelesen werden, Details über das Programm der statistischen Daten und Metadaten in einer neueren Verordnung aus 2017.