Musterpolizeigesetz

In vielen Bundesländern werden seit 2017 Polizeigesetze verschärft – unter vielen Protesten und aufmerksam begleitet von Digitalcourage. Weit weniger wird beachtet, dass zur Harmonisierung dieser Gesetze ein Musterpolizeigesetz ausgearbeitet wird. Auf dieser Seite informieren wir über diesen Prozess.

In vielen Bundesländern werden seit 2017 Polizeigesetze verschärft – unter vielen Protesten und aufmerksam begleitet von Digitalcourage. Weit weniger wird beachtet, dass zur Harmonisierung dieser Gesetze ein Musterpolizeigesetz ausgearbeitet wird. Auf dieser Seite informieren wir über diesen Prozess.

Wir sehen die Gefahr, dass mit einem Musterpolizeigesetz verschärfte Regelungen zur polizeilichen Überwachung und zur Einschränkung von Grundrechten wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Persönlichkeitsrechten und Handlungsfreiheiten zum Standard gemacht werden.

Im Juni 2017 hat die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) beschlossen, ein Musterpolizeigesetz (MEPolG / MusterPolG) zu schaffen. Ziel soll sein, die Polizeigesetze der Bundesländer einander anzugleichen (Harmonisierung).

Was ist daran problematisch? Entscheidend wird sein, an welchem Landespolizeigesetz sich das MusterPolG orientieren wird. Hier gibt es erhebliche Unterschiede: In Bayern und Sachsen verfügen Spezialeinheiten der Polizei über Handgranaten und Maschinengewehre – in anderen Bundesländern nicht. Ähnliche Unterschiede gibt es bei Staatstrojanern, Präventivhaft, Gefahrenbegriffen, anlasslosen Kontrollen, V-Leuten, Gesichtserkennung und Grenzüberwachung.

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Polizeirecht ist föderal organisiert – und das ist gut so

Ein Musterpolizeigesetz hebt die föderale Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht auf. Aber es wird Standards setzen, die von den einzelnen Ländern einheitlich übernommen werden sollen. Bereits in den 1970er Jahren wurde ein Musterpolizeigesetz durch die IMK verabschiedet. Das Gesetz war nicht bindend, wurde aber zum Maßstab genommen. Das hatte zur Folge, dass polizeiliche Eingriffsbefugnisse erheblich ausgeweitet und Eingriffsschwellen verringert wurden.

Das Föderalismusprinzip im Polizeirecht muss gewahrt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus guten Gründen entschieden, dass die Exekutivmacht in Deutschland dezentral organisiert werden soll, nicht mehr in einem Zentralstaat gebündelt.

Der Rechtsstaat darf nicht ausgehöhlt werden!

In der Debatte um Polizeirecht wird häufig gefordert, mehr Sicherheit durch einen starken Rechtsstaat zu erreichen. Dabei wird allerdings der Begriff Rechtsstaat falsch verwendet. Rechtsstaat bedeutet die Begrenzung des Gewaltmonopols. Er bedeutet, dass Menschen, die von Maßnahmen der Exekutive betroffen sind, auf dem Rechtsweg eine Kontrolle und Rücknahme dieser Maßnahmen anstreben können, und dass Maßnahmen nicht willkürlich und unvorhersagbar, sondern rechtlich fundiert sein müssen. Rechtsstaat bedeutet nicht die exzessive Anwendungen oder Erweiterung des Strafrechts oder die Durchsetzung behördlicher Befugnisse.

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Bisher liegt noch kein Entwurf für ein Musterpolizeigesetz vor. Der mit der Erarbeitung beauftragte Arbeitskreis II soll zur Frühjahrs-Innenministerkonferenz 2019 erste Ergebnisse präsentieren. Die nächste IMK findet vom 12. bis 14.06.2019 in Kiel statt.

Sobald es einen Entwurf gibt, werden wir diesen hier veröffentlichen und auf Twitter, Mastodon und in unserem Newsletter davon berichten.

18.01.2017 • de Maizière: „Es darf in Deutschland keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben.“

Mit diesem Satz ebnet der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière den Weg für die Reform des BKA-Gesetzes und die Schaffung eines Musterpolizeigesetzes. In seiner Bundestagsrede anlässlich des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz spricht er zudem über den Umgang mit „Gefährdern“. So wird eine Person bezeichnet, bei der „die Sicherheitsbehörden die Befürchtung haben, dass er etwas unternehmen wird, das unser Land bedrohen könnte.“ Dazu bringt de Maizière eine bundesweit standardisierte Risikobewertung von „Gefährder.innen“ ins Gespräch und merkt an, dass es zu den schwierigsten Aufgaben für Sicherheitsbehörden und Justiz gehört, die Gefährlichkeit von Menschen einzuschätzen.

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18211.pdf#P.21161

16.06.2017 • Die ständige Innenministerkonferenz der Länder (IMK) beauftragt den Arbeitskreis 2 (AKII) mit der Erarbeitung eines Musterpolizeigesetzes

Die Beauftragung des AK II soll unter anderem eine Reaktion auf einen Bericht zu „Gesetzgeberischen Handlungsempfehlungen im Zusammenhang mit islamistischem Terror“ sein und das Ziel verfolgen, gemeinsame gesetzliche Standards zu schaffen und eine effektive Erhöhung der öffentlichen Sicherheit.

https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2017-06-14_12/beschluesse.pdf?__blob=publicationFile&v=2

16.–17.11.2017 • Das BKA begrüßt die Schaffung eines Musterpolizeigesetzes durch die IMK

Auf der Herbsttagung des BKA äußert sich die Behörde zu Herausforderungen und Zukunftsstrategien. Das Musterpolizeigesetz solle sich auf wesentliche Inhalte konzentrieren, also wesentliche Befugnisse vereinheitlichen.

https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Herbsttagungen/2017/herbsttagung2017MuenchLangfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Anfang 2018 • Die Erarbeitung eines Musterpolizeigesetzes wird durch den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bestätigt

In Kapitel 10 „Ein handlungsfähiger und starker Staat für eine freie Gesellschaft“ wird konstatiert: „Wir wollen keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit in Deutschland. Dazu gehört die Erarbeitung eines gemeinsamen Musterpolizeigesetzes.“

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1

23.03.2018 • Innenminister Seehofer spricht sich in seiner Antrittsrede im Bundestag für einen starken Staat und die Schaffung eines Musterpolizeigesetzes aus

Horst Seehofer fordert die Schaffung zeitgemäßer Fahndungs- und Ermittlungsinstrumente und die Anpassung der Befugnisse im digitalen Raum an die des analogen. Alles nach der Maxime: „Vorfahrt für die Sicherheit.“

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975954/859216/3af92af949fc1dd828808ff2301a3336/34-1-bmi-bt-data.pdf?download=1

27.07.2018 • Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages legt Papier zur „Ausweitung polizeilicher Befugnisse in Deutschland und Europa“ vor

In den Ausarbeitungen werden verschiedene Einzelfragen zum möglichen Inhalt eines bundesweiten Musterpolizeigesetzes geprüft:

  • „Drohende Gefahr“ als Eingriffsgrundlage: Eine Regelung zur „drohenden Gefahr“ würde eine Vorverlagerung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse bedeuten, da die bisherigen polizeirechtlichen Vorgaben Zwangsmittel nur erlauben, wenn eine konkrete Gefahrenlage besteht. Ob dies mit der Verfassung vereinbar ist, ist in der Literatur umstritten. Daher wird geraten, die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten einzubeziehen, bis Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht zum Begriff der „drohenden Gefahr“ vorliegen.
  • Einführung eines zeitlich unbefristeten Präventivgewahrsams: Unbefristete Präventivhaft wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Präventivhaft sei nur zulässig, wenn es kein milderes und gleich geeignetes Mittel gebe, wie beispielsweise die weitere Beobachtung einer Person, von der Gefahr ausgeht. Gleichzeitig müsse aber auch immer eine Abwägung zwischen dem Freiheitsentzug und dem Schutz der Allgemeinheit stattfinden, wobei der Schutz der Allgemeinheit das höher gewichtige Gut sei. Zudem gebe es auch an anderen Stellen Freiheitsentzug außerhalb einer strafrechtlichen Verurteilung, wie zum Beispiel durch das Unterbringungsgesetz, das Psychisch-Kranken-Gesetz oder das Infektionsschutzgesetz. Dadurch wird zeitlich unbegrenzter Präventivgewahrsam relativiert.
  • Präventivpolizeiliche DNA-Identifizierung: Eine DNA-Identifizierung ist nach dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zulässig, wenn eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage vorliegt und der Schutz des Kernbereichs der Persönlichkeit gewährleistet werden kann. Es spreche viel dafür, diese Maßnahme in das Musterpolizeigesetz zur übernehmen, zur Abwehr konkreter Gefahren für ein bedeutendes Rechtsgut unter richterlichem Vorbehalt. Eine neue Art der DNA-Identifizierung ist das Auslesen der DNA von „unbekannten Spurenlegern“. Hier sei noch fraglich, ob sich diese Maßnahme für das Musterpolizeigesetz eigne, da noch nicht geklärt ist, inwieweit dies einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt.

https://www.bundestag.de/blob/565890/82827a91f4913f9d73f42c0e5209dba1/wd-3-226-18-pdf-data.pdf

31.08.2018 • Entwurf für Musterpolizeigesetz nicht vor 2020

Ein Entwurf des Musterpolizeigesetzes wird nicht vor 2020 in die IMK eingebracht werden. Das äußerte Staatssekretär Hans-Georg Engelke auf die Frage des FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle.

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/040/1904075.pdf

10.10.2018 • Die Fraktion Die Linke stellt einen Antrag an den Bundestag: „Freiheitsrechte bewahren – Kein Musterpolizeigesetz nach bayerischem Vorbild“

Die Linksfraktion äußert starke Bedenken aufgrund der Novellierungen der Polizeigesetze, die rechtsstaatlich bedenklich seien. Zudem kritisiert sie den Begriff der drohenden Gefahr. Sie fordern, dass das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) nicht als Vorlage für ein Musterpolizeigesetz dienen darf und dass stattdessen auf eine grundrechtsfreundlichere Weiterentwicklung des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts hinzuwirken sei.

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/048/1904831.pdf

28.11.2018 • Länder sollen laut Bundesregierung Befugnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung und elektronischen Aufenthaltsüberwachung erhalten

Die Bundesregierung antwortet auf eine Anfrage der FDP-Fraktion zu ihrer Haltung zum Musterpolizeigesetz. Die Bundesregierung ist durch das Innenministerium in der IMK vertreten, hat dort aber nur Gaststatus, das Musterpolizeigesetz wird also ein Arbeitsergebnis der Länder sein, Bundestag und Innenausschuss werden nicht beteiligt sein. Die bestehenden Polizeigesetze werden evaluiert und Regelungen, die geeignet erscheinen, übernommen und gegebenenfalls ergänzt. Ob das bayrische PAG als Vorlage dienen wird, liege in der Kompetenz der Länder. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich Verfassungsbeschwerden würden kontinuierlich einfließen und gegebenenfalls zu Überarbeitungen führen.

Inhaltlich solle das Musterpolizeigesetz effektive polizeiliche Befugnisse definieren unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts. Die Schaffung neuer Gefahrenbegriffe sei bisher nicht vorgesehen, bei der Festlegung von Regelungen zur Präventivhaft müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt beachtet werden und Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Q-TKÜ) könne auch für die Landespolizeien sinnvoll sein, genauso wie elektronische Aufenthaltsüberwachung. Ob und wie das Musterpolizeigesetz implementiert werde, obliege den einzelnen Ländern. Es soll die Funktion eines Orientierungsrahmens bzw. eines „Baukastens“ haben.

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/060/1906074.pdf

28.–30.11.2018 • IMK fordert AK II auf, in der nächsten Frühjahrs-IMK Bericht über den Arbeitsstand vorzulegen und Aussagen über die Terrorismusbekämpung zu treffen

https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/20181128_30/beschluesse.pdf?__blob=publicationFile&v=2

12.–14.06.2019 • Nächste Innenministerkonferenz in Kiel

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Mehr Informationen dazu auf unserem Blog.

5.1   27.02.2019  Legal Tribune Online: „Wie ein Begriff ins Gegenteil verkehrt wird – Gefährliche Rede vom Rechtsstaat“

Der Artikel verweist auf die Tendenz, dass der Begriff „Rechtsstaat“ in politischen Diskussionen immer häufiger auf eine Weise verwendet wird, die dessen eigentlichen Gehalt ins Gegenteil verkehrt. Als Beispiel dafür wird eine die Verurteilung einer Umwelt-Aktivistin Mitte Februar herangezogen, die sich einer Räumung widersetzte. Sie wurde zu neun Monaten Haft verurteilt, mit der richterlichen Begründung, der Rechtsstaat erwarte ein deutliches Signal. Es wird kritisiert, dass der Rechtsstaat im politischen Diskurs immer dann benannt wird, wenn es um die Verschärfung von Gesetzen, exzessive Anwendungen des Strafrechts oder die Durchsetzung behördlicher Befugnisse geht.

Dies stelle eine ordnungspolitische Vereinnahmnung der Rechtsstaatlichkeit dar, die entgegen der historischen Entstehung des Begriffs steht. Der Rechtsstaat entwickelte sich durch die Emanzipation des liberalen Bürgertums gegenüber der Feudalgewalt, um dem erstarkenden staatlichen Gewaltmonopol eine umfassende Kontrolle entgegenzusetzen. „Wenn der Rechtsstaatsbegriff, die Sicherheit und das Gewaltmonopol immer wieder in einen Topf geworfen und bis zur Unkenntlichkeit vermischt werden, dann ist einer Aushöhlung des Rechtsstaatsprinzips der Boden bereitet.“

Maximilian Pichl (27.02.2019): Wie ein Begriff ins Gegenteil verkehrt wird. Gefährliche Rede vom Rechtsstaat. (Legal Tribune Online)

5.2   12.12.2018  Musterpolizeigesetz – Analyse der Heinrich-Böll-Stiftung

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat im Dezember 2018 ein Paper zur Problematik des Musterpolizeigesetzes herausgegeben. Unter dem Titel „Polizeirecht vereinheitlichen?“ analysieren die Autoren Hartmut Aden und Jan Fährmann unter anderem Problemfelder des heutigen Polizeirechts und stellen dem Punkte entgegen, die ein alternatives Musterpolizeigesetz beinhalten sollte. Die wichtigsten Aspekte haben wir hier zusammengefasst.

Problemfelder des heutigen Polizeirechts

Polizeiliche Eingriffsbefugnisse werden ausgeweitet – ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Grundsätze

  • Vorratsdatenspeicherung, Kontrollen an „kriminalitätsbelasteten“ Orten, Erhebung aller Fluggastdaten, Schleierfahndung, Videoüberwachung: Diese Maßnahmen sind nicht auf die Abwehr einer konkreten Gefahr ausgerichtet, sondern sind anlasslos und damit unverhältnismäßig. Ob sie überhaupt zur Gefahrenabwehr geeignet sind, ist nicht erwiesen.Stattdessen wirken sie abschreckend und einschüchternd und lösen sogenannte Chilling-Effekte aus.
  • Die Polizei hat immer mehr technische Eingriffsbefugnisse erhalten und kann so immer weiter in die Privatsphäre von Bürger.innen vordringen. Dies höhlt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus.

Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind nicht mehr klar abgegrenzt

  • Strafverfolgung und Gefahrenabwehr werden immer weiter in das Vorfeld konkreter Gefahren und Straftaten verlagert. Dies birgt große rechtsstaatliche Probleme: Die Gefahrenabwehr liegt im Zuständigkeitsbereich der Polizei, Strafverfolgung unterliegt jedoch der Kontrolle von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichterinnen. Wird die Grenze zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung immer weiter verwischt, können Eingriffsschwellen bewusst unterlaufen werden, indem die Polizei die für ihr Handeln „passende“ Ermächtigungsgrundlage auswählt. So können bestimmte Eingriffe der Kontrolle der Staatsanwaltschaft und der richterlichen Kontrolle entzogen werden.
  • Es ist die Tendenz zu beobachten, dass der Umbau der Gefahrenabwehr zum „Vorbeugesystem“ wird, dies immunisiert die Gefahrenabwehr gegenüber rechtlicher Kontrolle.
  • Das Trennungsgebot zwischen Polizeiarbeit und Nachrichtendiensten wird zunehmend aufgeweicht.

Polizeilicher Zwang darf nicht maßlos ausgeweitet werden

  • Polizeilicher Zwang meint die legitime Gewaltausübung durch das staatliche Gewaltmonopol. Dabei ist das eingriffsintensivste Zwangsmittel der Schusswaffengebrauch. Die Vorschriften, die diesen regeln, enthalten jedoch Defizite: Ihnen fehlt teilweise die erforderliche Eingrenzung, Normenklarheit und Systematik. Zudem wurde im Rahmen der Terrorismusbekämpfung das Waffenarsenal erweitert um Waffen mit erheblicher Zerstörungskraft, die auch eine Gefahr für Unbeteiligte darstellen. Die polizeilichen Zwangsmittel wurden um weitere weniger gefährliche Mittel wie Taser, spezielle Schlagstöcke und Reizstoffsprühgeräte erweitert.

Es besteht Reformbedarf – was ein alternatives Musterpolizeigesetz beinhalten sollte:

Für klare Gefahrenbegriffe und verantwortliches Polizeihandeln

  • Eingriffe haben sich gegen einen Gefahrenherd zu richten. Bei unklaren Gefahrenlagen müssen daher eindeutige Prognosemaßstäbe vorliegen und es muss geprüft werden, ob eine Vorverlagerung polizeilichen Handelns notwendig ist.
  • Bürger.innen dürfen nicht losgelöst von Verdachtsmomenten als potentielles Risiko eingestuft werden.
  • Das subjektive Sicherheitsempfinden darf nicht durch die Ausweitung polizeilicher Befugnisse gestärkt werden, sondern sollte durch soziale Präventionsarbeit gestärkt werden.
  • Es muss eine klare Abgrenzung von Nachrichtendiensten, polizeilicher Arbeit und strafrechtlicher Kompetenz gewährleistet sein.
  • Es müssen Instrumente geschaffen werden, um verantwortliches, rechtsstaatliches Polizeihandeln zu sichern wie z.B. Monitoring, um unzulänglicher interner Aufarbeitung entgegenzuwirken. Die Polizei soll zu einer lernenden Institution mit positiver Fehlerkultur werden. Außerdem sollen Möglichkeiten des rechtssicheren Whistle-Blowings geschaffen werden.
  • Es sollte eine Kennzeichnungspflicht für Beamt.innen geben.

Polizeirecht muss diskriminierungsfrei sein

  • Die Vorgabe von Mechanismen und Strategien kann einem auf (unbewussten) Vorurteilen basierendem Polizeihandeln entgegenwirken.
  • Die Regelungen für Kontroll- und Auswahlsituationen sollen konkretisiert werden und Kontrollen auf die Art und Weise durchgeführt werden, dass deren Akzeptanz wächst. Die Gründe für eine Kontrolle transparent zu machen, kann dazu beitragen.

Informationseingriffe begrenzen

  • Eine klare gesetzliche Begrenzung für die Datenverarbeitung ist notwendig.
  • Das allgemeine Persönlichkeitsrecht muss effektiv geschützt werden in einer Zeit, in es technisch möglich ist, so tief wie nie in diesen Bereich vorzudringen.
  • Bei der Verwendung von Technik muss der Grundsatz „Privacy by Design“ gelten.

Polizeiliche Standardeingriffe evaluieren

Standardeingriffe wie Platzverweise, Durchsuchung und Gewahrsamnahme müssen evaluiert werden und von Seiten der Legislative so genau wie möglich definiert werden. Zudem müssen Präventionsarbeit und Deeskalationsstrategien gestärkt werden.

Einsatz von polizeilichen Zwangsmitteln kritisch überprüfen

Die Norm zum Schusswaffengebrauch sollte klarer definiert werden. Grundsätzlich muss das Arsenal zugelassener Hilfsmittel überarbeitet und zurückgefahren werden, denn wir brauchen keine polizeiliche Aufrüstung.

5.3   17.07.2018  Bündnis 90/Die Grünen: „Fachgespräch Polizeirecht – Drohende Gefahr Musterpolizeigesetz?“

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat im Juni 2018 zu einem Fachgespräch unter dem Titel „Drohende Gefahr Musterpolizeigesetz? – Bürgerrechte sichern“ eingeladen. Die zentralen Positionen wurden dazu zusammengefasst.

Es wird festgehalten, dass nur ein freiheitlicher und starker Rechtsstaat Sicherheit gewährleisten kann, daher muss Sicherheitspolitik auf Fakten gründen und fest in den Bürgerrechten verankert sein. Die Polizei werde indes mit Befugnissen ausgestattet, die aus dem nachrichtendienstlichen Bereich stammen und eine Militarisierung der Polizei zur Folge hätten. Es wird dafür plädiert, auch vor dem Hintergrund der Geschichte, Errungenschaften des Rechtsstaats und des Föderalismus nicht so einfach aufzugeben, erst recht nicht aufgrund kurzgreifender Sicherheitsdebatten.

Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen (17.07.2018): Fachgespräch Polizeirecht. Drohende Gefahr Musterpolizeigesetz?

Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen via flickr

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Krimininalitätsstatistiken

Die niedrigste Kriminalitätsrate seit 25 Jahren – und trotzdem überall schärfere Polizeigesetze – Alexander Fanta und Marie Bröckling (netzpolitik.org)

Cop Culture / Polizeifamilie / Korpsgeist

„Atmosphäre der Hörigkeit“ – Roger Repplinger (Kontext: Wochenzeitung)

Ein Experteninterview über Korpsgeist, Gewalt und den „Code of Silence“ – Claudia Gretschmann (Amnesty International)

Keynote von Prof. Dr. Gusy beim Alternativen Polizeikongress an der Universität Bielefeld

„Cop Culture“ – Eine verschworene Gemeinschaft – Anna Wulfert (MDR Sachsen-Anhalt)

Kennzeichnungspflicht

Sollten Polizisten individuelle Kennzeichen tragen müssen? – Sören Götz (Bundeszentrale für politische Bildung)

Fragen und Antworten zu einer individuellen numerischen Kennzeichnung für die Polizei – Amnesty International

Kennzeichnungspflicht für Polizisten – Emotional aufgeladene Debatte – Axel Schröder und Vivien Leue (Deutschlandfunk)

Racial Profiling

Rassistisches Profiling (Racial Profiling): Übersicht – humanrights.ch

„Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei – Hendrik Cremer (Institut für Menschenrechte)

Ethnic Profiling: What It Is and Why It Must End – (Open Society Foundations)

Polizeigewalt

Polizeigewalt (Kriminologie) – Wikipedia

Polizeigewalt: Welche Alternativen gibt es? – Hallo Europa, ARTE

Polizeigewalt: Nicht immer verhältnismäßig – Frida Thurm (Zeit Online)

Polizeigewalt in Deutschland: Schläger in Uniform – Hauke Friederichs (Zeit Online)

Predictive Policing (Vorhersagende Polizeiarbeit)

Schweiz: Predictive Policing liegt meist falsch – Leon Kaiser (netzpolitik.org)

Predictive Policing: Dem Verbrechen der Zukunft auf der Spur – Bundeszentrale für politische Bildung

Vortrag zu Predictive Policing von Eric Tabbert (Kriminalkommissar)

Missing Link: Predictive Policing – Verbrechensvorhersage zwischen Hype und Realität – Ulrike Heitmüller (heise online)

Predictive Policing – Stephan Richter und Sonja Kind (Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag)

Jetzt wird's kriminell – Verbrecher aufspüren, die noch gar keine sind? „Predictive Policing“ wird vor allem in den USA, aber auch in europäischen Ländern für die Polizeiarbeit genutzt – Isabel Schneider (fluter)

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