Österreich richtet neue Behörde mit beispiellosen Überwachungsbefugnissen ein
Österreich richtet neue Behörde mit beispiellosen Überwachungsbefugnissen ein
Artikel von Thomas Lohninger, EDRI-Mitglied, Initiative für Netzfreiheit, Lizenz: CC BY 4.0, erstveröffentlicht auf edri.org in Englisch am 9. September 2015, Übersetzung: Digitalcourage – Lesen Sie auch Artikel zur Überwachung in den Niederlanden, Finnland und der Schweiz von dortigen Datenschutz-Organisationen.
Mitten im größten Überwachungsskandal der Geschichte und nach Jahren der Kritik an rechtsbrecherisch agierenden Geheimdiensten, welche die Politiker und Regierungsorgane ausspionieren, durch die sie eigentlich kontrolliert werden sollten, plant Österreich die Schaffung einer neuen Geheimdienstbehörde.
Der Entwurf des österreichischen Staatsschutzsgesetzes gewährt neue, weitreichende Überwachungsbefugnisse und reduziert zugleich Aufsicht und Transparenz der zehn geplanten staatlichen Geheimdienstbehörden, deren Aufgabe es sein soll, Bedrohungen des Staates und seiner öffentlichen Institutionen abzuwehren. Sollte der Gesetzesentwurf beschlossen werden, würden Geheimdienstbehörden befugt sein, Unternehmen und staatliche Stellen zur Herausgabe aller verfügbaren Daten zu zwingen, inklusive sensibler personenbezogener Informationen, die durch andere Gesetze geschützt sind. Diese Informationen würden anschließend bis zu fünf Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert. Der internationale Austausch von personenbezogenen Daten mit anderen Sicherheits-Behörden wird durch das Gesetz ausdrücklich befürwortet.
Genehmigt würden Überwachungsmaßnahmen nicht für Zielpersonen, sondern für „Zielgruppen“ – ein Begriff, der im Gesetzentwurf nicht definiert wird. Mittels pauschaler Massenüberwachung würden somit ganze Bevölkerungsteile zum Ziel undifferenzierter Massenüberwachung werden.Unschuldige Personen würden durch Entscheidungen der Behörde zu solchen Gruppen hinzugezählt, ohne Berücksichtigung von Notwendigkeit, Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit. Während Überwachungsmöglichkeiten erweitert werden, wird die Aufsicht reduziert. Diese Reform senkt auch Kontrollmechanismen: Anstatt durch Genehmigung von Richter.innen oder Bevollmächtigten wird die Aufsicht nur von dem internen Rechtshilfe-Beauftragten des Innenministeriums getragen. Ein System parlamentarischer Supervision existiert in Österreich nicht.
Diese Reform wurde im Anschluss an die Debatte über „IS“-Kämpfer und Rückkehrer (Daesh) und den Terror-Attacken von Paris und Kopenhagen entworfen. Im Beratungszeitraum haben 18 tragende Institutionen (unter anderem Vereinigungen von Richter.innen, Anwält.innen, Ärzt.innen, Kommunikationsanbietern, die evangelische und katholische Kirche, der österreichische Gewerkschaftsbund, die Wirtschaftskammer Österreich, der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, die Volksanwaltschaft, Amnesty International sowie der Verein Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich AKVorrat) den Gesetzesentwurf scharf kritisiert. Der AKVorrat gründete daraufhin eine Kampagne unter www.staatsschutz.at, die mittlerweile mehr als 19.000 Unterschriften verzeichnet, sowie vier Demonstrationen in drei Städten gegen den Entwurf veranstaltete.
Über den Gesetzesentwurf sollte im Plenum zwischen dem 13. und 15. Oktober abgestimmt werden. Die Zivilgesellschaft übt Druck auf die Parlamentarier aus, das Gesetz zu ändern, um die notwendigen rechtlichen Garantien und die Transparenz sicherzustellen, und es wieder in Einklang mit der Verfassung zu bringen.
Petition gegen das geplante Staatssicherheitsgesetz
Aktualisierung vom 18. November 2015:
Ursprünglich sollte das Gesetz noch vor der Sommerpause kommen. Dank des massiven Protests der Zivilgesellschaft – von uns allen – haben wir diesen Termin verhindert! Jetzt soll das Staatsschutzgesetz demnächst im Innenausschuss behandelt werden und laut den Plänen der Regierung bereits mit 1. Juli 2016 in Kraft treten! (AKVorrat Österreich)
Weiterführende Links
- Aktuelle Informationen auf staatsschutz.at
- Wiener Zeitung: Artikel zum Staatsschutzgesetz
- Der Standard: Artikel zum Staatsschutzgesetz
Text: Thomas Lohninger, EDRI-Mitglied Initiative für Netzfreiheit, Österreich (Erstveröffentlichung in Englisch am 9. September 2015)
Übersetzung: Digitalcourage-AG Text
Lizenz: CC BY 4.0
Titelbild: Montage aus Staatschutz.at, James Cridland (CC BY 2.0)