Fluggastdatenspeicherung: Keine Freiheiten, keine Sicherheit
Zum Entwurf einer EU-Fluggastdaten-Richtlinie: Keine Freiheiten, keine Sicherheit
Originaltext: Proposal for a Directive on an EU Passenger Name Record – No freedoms, no security (PDF) von EDRi, Access – International & Panoptykon Foundation – Poland Lizenz: CC BY 3.0, Übersetzung: Digitalcourage AG Übersetzung
Keine Freiheiten, keine Sicherheit
Diese Kurzdarstellung wirft einen Blick auf den Verhandlungsprozess und den Inhalt der vorgeschlagenen EU-Fluggastdaten-Richtlinie. Der kontroverse Entwurf strebt an, die Sammlung und Speicherung der personenbezogenen Daten aller Fluggäste aus der und in die EU für bis zu 5 Jahre offiziell festzuschreiben, um „Terrorismus“ und „Kapitalverbrechen“ zu bekämpfen.
Verhandlungsprozess
2011 hatte die EU-Kommission einen Entwurf für eine EU-Fluggastdaten-Richtlinie vorgelegt. Diese war im April 2013 vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) zurückgewiesen worden, da Bedenken bestanden, dass der Entwurf die Grundrechte auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten verletzte. Seinerzeit lehnten auch zivilgesellschaftliche Gruppierungen und Fluggesellschaften den Entwurf aufgrund fehlender Notwendigkeit, der Kosten und seiner Auswirkungen auf die Grundrechte ab. Ungeachtet dessen stimmte das Europäische Parlament in einer Plenarsitzung für eine Rücküberweisung der vorgeschlagenen Richtlinie an den Ausschuss zur abermaligen Prüfung. Vor zwei Wochen stellte der Ständige Berichterstatter Timothy Kirkhope einen überarbeiteten Entwurf vor. Infolge der Ablehnung des Entwurfes im LIBE Ausschuss hat die Europäische Kommission den EU-Mitgliedsstaaten 50 Mio. Euro zur Einrichtung nationaler Fluggastdaten-Systeme zugewiesen. Dadurch hat die Kommission eine Situation geschaffen, in der auf die Fluggesellschaften nun Kosten für die Anpassung an unterschiedliche nationale Fluggastdaten-Systeme zukommen. Kurz: Während die EU sich mit einer schweren Wirtschaftskrise konfrontiert sah, gibt die Kommission Millionen von Euro der EU-Steuerzahler aus, um eine vom EU-Parlament getroffene demokratische Entscheidung zu umgehen und ihre eigene Agenda voranzutreiben.
Rechtmäßigkeit des Entwurfs
Notwendigkeit und Angemessenheit
In der vorgeschlagenen EU-Fluggastdaten-Richtlinie fordern die Europäische Kommission und der LIBE-Berichterstatter eine maximale Speicherfrist von 5 Jahren für alle Reisedaten. Mit Blick auf die abschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung ist schwer vorstellbar, wie diese willkürliche Frist von 5 Jahren für die Reisedaten jedweden Bürgers als notwendig und angemessen gelten könnte. Der Gerichtshof entschied damals, dass die massenhafte, anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten der Bürger für eine Dauer von höchstens zwei Jahren unvereinbar mit den Grundsätzen der Notwendigkeit und Angemessenheit der EU-Grundrechtscharta sei. Wie der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments in seiner Stellungnahme zur Entscheidung in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung feststellte, rechtfertige die schlichte Tatsache, dass eine Gesetzgebung wie die EU-Fluggastdaten-Richtlinie zum Ziel habe, Terrorismus und Kapitalverbrechen zu bekämpfen „nicht an sich eine Speichermaßnahme […], die zum Zwecke dieses Kampfes als notwendig erachtet wird“.
Grundrechte auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten [1]
Im Zuge der Vorlage des Kommissionsentwurfs im Jahr 2011, haben die Arbeitsgruppe zum Artikel 29, der EU-Datenschutzbeauftragte und die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte den Entwurf kritisiert, da er unverhältnismäßig sei und Risiken für die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz mit sich bringe. Zusätzlich zur pauschalen, massenhaften Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten erwähnte der LIBE-Berichterstatter die Möglichkeit, diese Informationen mit nicht näher benannten anderen Datenbanken abzugleichen, um Muster zu identifizieren. Dies bedeutet eine Ausweitung der Massenüberwachung durch Strafverfolgungsbehörden auf Kosten der bürgerlichen Grundrechte, da Einzelpersonen unterschiedslos überprüft und überwacht würden. Es bedeutet auch, dass es unmöglich ist, vorherzusehen, wie stark diese Maßnahme mittel- und langfristig in die Privatsphäre eingreifen wird.
[1] Eine ausführliche Analyse dieses Aspektes liefert die (englischsprachige) Stellungnahme der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zur Speicherung von Fluggastdaten Weitere Informationen
Freizügigkeit
Der vom LIBE-Berichterstatter vorgelegte Text weckt schwerwiegende Bedenken mit Blick auf die Freizügigkeit, eine Grundfreiheit des EU-Binnenmarktes. Timothy Kirkhope schlägt vor, den Geltungsbereich der Richtlinie nicht auf Flüge aus und in die EU zu beschränken, sondern auch Flüge innerhalb der EU zu erfassen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantiert allen EU-Bürgern die Freizügigkeit innerhalb ihres Hoheitsgebietes (Artikel 21 Abs. 1). Eine Einschränkung dieser Freiheit ist nur möglich, wenn eine Maßnahme sie erfordert, welche notwendig und angemessen ist – eine Voraussetzung, die die vorgeschlagene Richtlinie höchstwahrscheinlich nicht erfüllt.
Sicherheit
Es gibt keine Anhaltspunkt dafür, dass die vorgeschlagene EU-Fluggastdaten-Richtlinie für mehr Sicherheit sorgen würde. Im Fall der jüngsten Anschläge in Paris und Kopenhagen waren die Täter den Geheimdiensten im Vorfeld bekannt. Es ist unklar, wie mehr Daten über diese Personen die Strafverfolgungsbehörden befähigt hätten, einen entscheidenden Unterschied bewirken zu können. Mehr Daten führen nicht automatisch zu mehr Sicherheit, und ein Entwurf wie die EU-Fluggastdaten-Richtlinie wird EU-Bürgern bestenfalls den Anschein von Sicherheit geben. In einer Situation, in der die Europäische Union nach Lösungen sucht, um ihren Bürgern mehr Sicherheit zu bieten, darf die Antwort nicht Grundrechte und -freiheiten aushöhlen. Stattdessen sollte die EU langfristige Reformen für bessere und stärker zielgerichtete, verdachtsbasierte Ermittlungsverfahren anstreben sowie die Kooperation der nationalen Strafverfolgungsbehörden in der EU erleichtern.