Tschechische, polnische und deutsche Kritik an geplanter Gesichtserkennung im Grenzgebiet
Gemeinsam mit unserer tschechischen Partnerorganisationen IURE und der polnischen Panoptykon Foundation kritisieren wir die geplante präventive automatische Gesichtserkennung im Grenzgebiet zwischen Sachsen, Tschechien und Polen scharf. Der Entwurf für ein neues Sächsisches Polizeirecht wird am Montag, 12. November 2018 im sächsischen Landtag im Rahmen einer Expertenanhörung diskutiert.
In einer Stellungnahme kritisiert Digitalcourage darüber hinaus den Kurs der Überwachungspolitik, den die Regierungskoalition aus CDU und SPD mit der geplanten Reform verfolgt. Digitalcourage warnt insbesondere vor dem geplanten Einsatz von V-Personen und Maschinengewehren, vor dem Begriff der „abstrakten Gefahr“, der Betroffenheit von Kontakt- und Begleitpersonen und vor der geplanten präventiven Überwachung der Telekommunikation.
Update: Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Februar 2019 zwei Beschlüsse veröffentlicht, die die automatisierte Kraftfahrkennzeichenkontrolle im Kontext der Polizeigesetze Bayern, Baden-Württemberg und Hessen in Teilen verfassungswidrig bewerten. Wir sehen unsere Position durch das Urteil bestätigt: Der Gesetzesentwurf zur Änderung des Polizeigesetzes Sachsen ist verfassungswidrig!
Präventive automatische Gesichtserkennung im Grenzgebiet
Präventive automatische Gesichtserkennung im Grenzgebiet
Digitalcourage kritisiert in einer Stellungnahme unter anderem § 59 des geplanten neuen Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes (SächsPVDG): „Einsatz technischer Mittel zur Verhütung schwerer grenzüberschreitender Kriminalität“.
„Die geplante Grenzüberwachung verhängt über große Teile Sachsens eine Art Ausnahmezustand und ist ein Akt des Misstrauens gegenüber unseren tschechischen und polnischen Nachbarn“, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Artikel 12 der Verfassung des Freistaates fordert grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit – nicht präventive, automatisierte Überwachung.“
IURE und Abgeordnete der tschechischen Piraten-Partei haben angekündigt, sich zum Thema an den tschechischen Außenminister Tomáš Petříček zu wenden:
„Aus der Sicht der tschechischen Bürger betrachten wir die geplanten Kamerasysteme in einer Tiefe von 30 Kilometern entlang der Grenze als Gefahr. (…) Obwohl das erklärte Ziel die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität ist, darf nicht übersehen werden, dass es sich um einen umfassenderen Eingriff in die Rechte aller Grenzüberschreitenden handelt.“, sagt der IURE-Anwalt Jan Vobořil in einer Pressemitteilung (Übersetzung v. Digitalcourage).
„Der Einsatz von Systemen zur Gesichtserkennung bedeutet, dass jede Person als potenziell verdächtig behandelt wird. Diese Pläne demonstrieren einen Mangel an Vertrauen zwischen polnischen und deutschen Polizeibeamten“, sagt Wojciech Klicki, Leiter der Rechtsabteilung der polnischen Panoptykon Foundation. „Die Erfassung von personenbezogenen Daten kann nur in konkreten und begründeten Einzelfällen gerechtfertigt sein. In allen anderen Fällen sind derartige Systeme im Kern ein Mittel der Massenüberwachung der lokalen Bevölkerung und Pendlerinnen und Pendlern aus Polen.“
„Digitalcourage beobachtet mit großer Sorge, dass Justiz und Polizei in Sachsen mit den geplanten Änderungen einen präventionsstaatlichen Charakter erhalten sollen“, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Die geplante präventive Telekommunikations- und Videoüberwachung inklusive der Datenverarbeitungsbefugnisse verlagern den Fokus polizeilicher Arbeit von Ermittlungsarbeit zu Überwachungsarbeit.“
Große Teile Sachsens betroffen
Zur intensiven Überwachungszone vorgesehen sind 30 % bis 50 % der gesamten Fläche des Freistaats, genauer: nahezu die gesamten Landkreise Görlitz, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, der Erzgebirgskreis, weite Teile des Vogtlandkreises sowie des Landkreises Mittelsachsen. Das definierte Grenzgebiet erstreckt sich bis Dresden und Chemnitz.
Videoüberwachung
Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder kommt in ihrer Entschließung vom 30. März 2017 zum Ergebnis:
„Der Einsatz von Videokameras mit biometrischer Gesichtserkennung kann die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören. Es ist kaum möglich, sich solcher Überwachung zu entziehen oder diese gar zu kontrollieren“ (Datenschutzkonferenz 2017)
https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/en/20170330_en_gesichtserkennung.pdf
Digitalcourage fordert Abbruch des Gesetzgebungsverfahrens
Das Sächsische Innenministerium hat Nachfragen von Digitalcourage zu den geplanten Änderungen bisher nicht beantwortet. Nach Einschätzung von Digitalcourage ist zur Zeit davon auszugehen, dass mildere Mittel als Alternativen für die geplante Grenzüberwachung nicht geprüft wurden und, dass eine notwendige Datenschutzfolgeabschätzung für § 59 nicht erstellt wurde. Aus diesen Gründen fordert Digitalcourage einen Stopp des Gesetzgebungsverfahrens, besonders weil die Sorgfaltspflicht bei derart gravierenden Grundrechtseingriffen Vorrang hat.
Demonstration am 17. November in Dresden und weitere Termine
Am 17.11. ruft das Bündnis „Polizeigesetz stoppen“ zu einer Demonstration gegen das geplante neue Polizeirecht auf:
https://polizeigesetz-stoppen.de/termine/?mc_id=48
Das Bündnis Polizeigesetz stoppen! ruft zu Aktionswoche vom 10. bis 18. November 2018 auf:
https://polizeigesetz-stoppen.de
Weitere Termine:
https://polizeigesetz-stoppen.de/termine/
#Polizeigesetz #Sachsen
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