Didacta 21 – (Free) Open-Source-Entwickler.innen, wo seid ihr?

Ein Erfahrungsbericht der größten Bildungsmesse Deutschlands, die tief in Probleme unseres Bildungssystems blicken ließ.

Ein Erfahrungsbericht von Jessica Wawrzyniak.

Unterstützen Sie die gute Sache: Freiheit, Grundrechte und Demokratie.

Viele Menschen engagieren sich bei uns in ihrer Freizeit, seien auch Sie dabei!

Bleiben Sie auf dem Laufenden über unsere Arbeit und unsere Themen.

Datum: 19.05.2021
Autorin: Jessica Wawrzyniak

Drei Tage auf der „didacta digital“

Am Montag, den 10.05.2021 öffnete die didacta „ihre Türen“ online. Das Stöbern an den Ständen der vielen Aussteller ging in diesem Jahr nur über die angelegten Online-Profile. Zusätzlich gab es Vorträge, die über Live-Streams ausgestrahlt wurden. Schon auf der letzten didacta im Jahr 2019 (2020 fiel aus) lag der Fokus auf digitalen Angeboten für Schulen: Lern-Apps, digitale Klassenbücher, Lernmanagement-Systeme, Whiteboards, Tablets, abschließbare Schränke für eben diese Tablets und All-in-one-Softwarelösungen für die Schul-IT (Router, Firewalls, Jugendschutzfilter und alles, was dazu gehört).

Da sich die Aussteller in diesem Jahr nur begrenzt präsentieren konnten, lag der Fokus auf Vorträgen. Toll! Da kann man viel Wissen mitnehmen – dachte ich. Der Schwerpunkt lag auf der beschleunigten Digitalisierung durch Corona und auf den Herausforderungen für den Bildungsbereich – das war abzusehen, ist völlig legitim und vor allem nötig. Ich schaute mir vielversprechende Vorträge an wie „Ihr Weg zur digitalen Schule – ein ganzheitliches Konzept“, oder „WLAN, DSGVO & Co. – Einfache Komplettlösungen, die sicher funktionieren“ – natürlich ging es dabei in erster Linie um Werbung für die eigenen, kommerziellen Produkte, ummantelt von ein paar allgemeinen Aspekten rund um digitale Bildung. Gleich Montagmorgen im ersten Vortrag flimmerte auf meinem Monitor eine Präsentationsfolie mit „Wir kooperieren mit Microsoft gold" auf. Das war zu erwarten, aber dennoch ernüchternd.

Mein Fazit nach 14 Vorträgen: Inhaltlich dünn. Sicherlich sind mir ein paar gute Vorträge entgangen, und natürlich habe auch ich ein paar gute inhaltliche Impulse mitnehmen können: z.B. zur Erstellung oder Umsetzung von Medienkompetenzplänen, Informationen zum DigitalPakt, grundlegende Aspekte zur Gesundheit sowie den Rechten von Kindern und Konzepte, um Lehrkräfte weiterzubilden. Vorträge über Open Source Software oder freie Lösungen (quelloffen und kostenfrei), habe ich leider schmerzlich vermisst. Hier und da klang das Thema vorsichtig an („Univention“ war bspw. vertreten), doch konkrete Konzepte und Kennenlernangebote habe ich darüber hinaus nicht gefunden. Von Entwicklerinnen und Entwicklern quelloffener oder freier Software: keine Spur.

Viele Fragen, wenige Antworten

Was muss eine Bildungsmesse leisten? Es ist so wichtig, dass wir auf nachhaltige Lösungen setzen, Software wählen, die wir auch in einigen Jahren noch guten Gewissens an Schulen einsetzen können. Wir müssen unsere Bildungslandschaft unabhängig von großen IT-Konzernen aufstellen und die Chance nutzen, freie Bildung mit freier Software zu begleiten! Wie soll unser Bildungssystem auf einen digital souveränen Weg gelangen, wenn auf einer Bildungsmesse mit rund 100.000 Fach-Besuchern kaum entsprechende Angebote vorgestellt werden? Selten wurde öffentlich so viel über die Vor- und Nachteile proprietärer und quelloffener Software gesprochen, wie jetzt. Es werden Finanztöpfe aus dem Boden gestampft, welche die Digitalisierung von Schulen finanziell auffangen sollen (DigitalPakt, Sofortmaßnahmen usw.). Und immer wieder werden priorisiert freie Lösungen gefordert. Wer sich von Datenkraken in der Schule lösen möchte, fängt jetzt an, sich nach Möglichkeiten umzuschauen. Diese Marschrichtung hätte auf der didacta besonders hervorgehoben werden müssen. Ich finde es frustrierend, dass gute Arbeit, die bereits in Richtung Open-Source-Software an Schulen abzielt, auf einer wichtigen Bildungsmesse so wenig Beachtung bekommt.

War die Teilnahme für Aussteller in diesem Jahr besonders schwierig? Hatte das Online-Format der didacta etwas damit zu tun? Waren die Slots für Vorträge vielleicht stark begrenzt? – Ich weiß es nicht, aber ein Blick auf die Aussteller 2019 zeigt: Besonders viele freie Angebote waren auch damals nicht zu finden. Vor zwei Jahren waren zumindest medienpädagogische Organisationen vertreten sowie die Entwickler.innen von Nextcloud (quelloffene Software), aber von einem großen freien Angebot kann nicht die Rede sein. Selbst die vorgestellte Linux-Distribution (Red Hat) zählt zu der kommerziellsten ihrer Art, während von Skolelinux oder Linuxmuster (für Schulen entwickelte Linux-Distributionen) nichts zu finden war. Außerdem gab es einen kurzen Vortrag zu OER-Materialien (Open Educationale Ressources = freies Unterrichtsmaterial). Selbst wenn sich hier und da ein paar gute Projekte verstecken – sie müssen kenntlich gemacht werden! Ich möchte von vornherein wissen, wo ich danach suchen kann. Es gibt lange Austellerlisten, alphabetisch sortiert, die nicht weiterhelfen, denn natürlich erkennt man nicht, wer oder was hinter den Namen steckt, gerade wenn diese neu sind.

Liegt es an finanzielle Hürden? Die didacta ist eine Messe, heißt: Dort werden Produkte vorgestellt und Neukunden akquiriert. Aber wieso sind dort weitgehend kommerzielle Anbieter zu finden, wenn es doch mehr als das gibt? – Die Antwort fand ich wiederum schnell: Kosten: 9.446,22 Euro für einen kleinen Ausstellungsstand (9m²) ohne Extras – typische Messepreise, die nach oben kaum eine Grenze haben. Es scheint aber auch „fair-packages“ für Einsteiger zu geben, die schon zu einem Drittel des genannten Preises gebucht werden können. Das klingt schon besser, denn den Veranstaltern entstehen natürlich Betriebskosten, die abgedeckt werden möchten. Aber für Software-Entwicklerinnen und -Entwickler, die mit ihren Programmen wenige Einnahmen generieren, da sie ihre Produkte dem Gemeinwohl gerade kostendeckend oder kostenfrei zur Verfügung stellen, ist auch dies ein viel zu hoher Betrag.

Zum Abschluss möchte ich noch positiv anmerken: Die Gespräche mit den Referent.innen, die nach einigen Vorträgen angeboten wurden, liefen über BigBlueButton, nicht über eine der namenhaften Datenkraken. Es geht also doch...

Appell

Cyer4EDU, Chaos macht Schule, Freie Software und Bildung e.V., Digital souveräne Schule e.V., Teckids e.V., OERinfo und alle Organisationen im Bereich der freien Bildung: Schaut doch im nächsten Jahr mal auf der didacta vorbei! Macht euch stark für Konditionen, die eine Teilnahme ermöglichen!

Unsere Arbeit lebt von Ihrer Unterstützung

Wir freuen uns über Spenden und neue Mitglieder.