Muurmel - Die Erklärbahn
Albert Einstein soll mal gesagt haben „Wenn Du etwas einem 6-jährigen Kind nicht erklären kannst, hast Du es selbst noch nicht verstanden.“
Wir haben unsere Themen verstanden und haben ein Modell entwickelt, um einige der komplizierten Dynamiken des Internets zu veranschaulichen. Mit Murmelbahnen zeigen wir, wie Zensur und Filterblasen im Internet funktionieren – und das verständlich für alle im Alter von 6–99 Jahren. Ein erster Feldversuch beim Medienaktivfestival OWL in Bielefeld verlief so gut, dass für die Modelle schon eine (Welt)-Tournee geplant wird.
Neugierig, wie das funktioniert? Wir haben einige Gespräche zusammengefasst, die wir am Mitmachstand mit Kindern (so oder so ähnlich) geführt haben. Wer also die Möglichkeit hat, ebenfalls eine Murmelbahn aufzubauen, darf sich gerne abschauen, wie wir die Themen vermittelt haben.
Das Netzwerk Medienaktiv OWL lud ein, um gemeinsam das erste MEDIENAKTIV-FESTIVAL OWL in der Region zu feiern.
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Zensur
Tom: „Kann ich da mal was reinwerfen?“
Digitalcourage: „Klar, oben kannst du die bunten Murmeln losschicken und sie dann unten im Ziel wieder anschauen.“
Tom wirft eine grüne Murmel in die Bahn … die Murmel kommt unten an.
Digitalcourage: „Dann versuch doch jetzt mal eine andere Farbe.“
Tom wirft eine rote Murmel in die Bahne … ein Klacken ertönt … die Murmel kommt nicht an.
Tom: „Wieso ist die denn nicht angekommen?“
Digitalcourage: „Da muss wohl etwas schiefgelaufen sein, probier ruhig mal weiter.“
Tom wirft eine blaue sowie eine violette Murmel in die Bahn … beide kommen unten an.
Tom: „Da funktioniert's."
Digitalcourage: „Hm…Dann probier jetzt nochmal eine rote Murmel.“
Die rote Murmel kommt wieder nicht im Ziel an.
Tom: „Woran liegt das‽“
Digitalcourage: „Na, komm mal hier um den Tisch rum."
Tom sieht, dass ein Hebel das Durchkommen der roten Murmel verhindert.
Tom: „Wie passiert das?“
Digitalcourage: „Ich habe hier einen Knopf und ich mag einfach keine roten Kugeln, also zensiere ich die raus.“
Tom: „Das ist unfair, wieso kannst du das?“
Digitalcourage: „Na, weil ich das gebaut habe.“
Tom: „Das ist aber unfair, nur weil du das gebaut hast, darfst du das doch nicht entscheiden!“
Digitalcourage: „Was willst du denn dagegen tun?“
Tom: „Ich baue auch eine Bahn, und da lasse ich dann alle Kugeln durch!“
Was ist hier passiert?
Digitalcourage, als Erbauer der Kugelbahn, hat beschlossen, keine roten Kugeln durchzulassen. So ähnlich funktioniert Zensur im Internet. Wenn niemand sehen kann, wie z.B. ein soziales Netzwerk programmiert ist, können die Eigentümer.innen einige Meinungen zensieren, blockieren, hervorheben oder in den Tiefen des Internets verschwinden lassen – diejenigen, die das Netzwerkwerk nutzen, wissen oft nicht, warum etwas zensiert wird und nach welchen Regeln vorgegangen wird. Demokratische Kontrolle über das, was Eigentümer.innen richtig oder falsch finden, kann es nicht geben, wenn niemand die Algorithmen einsehen kann. Und das ist gefährlich.
Ein aktuelles Beispiel für Zensur von Informationen von staatlicher Seite ist die Medienberichterstattung in Russland: Die Menschen, die dort leben, bekommen nur die Berichte zu lesen, die dem Regime gefallen (auch diese Verbindung haben die Kinder an unserem Stand eigenständig hergestellt).
Tom hat in unserem Beispiel schon einen Lösungsansatz präsentiert: „Ich baue auch eine Bahn, und da lasse ich dann alle Kugeln durch!“ (Ein echtes Zitat.) Solche Ansätze (für Social Media) gibt es schon: Das Fediverse ist ein dezentrales Kommunikationsnetzwerk mit großem Potenzial und enormem Wachstum.
Filterblasen
Johanna: „Was kann ich hier machen?“
Digitalcourage: „Zuerst suchst du dir mal eine der goldenen Figuren aus und stellst sie hier vorne auf das schwarze Feld.“
Digitalcourage: „Im Internet können wir ja nach Dingen suchen, das weißt du bestimmt, dafür gibt es nicht nur die Google-Suchmaschine, sondern auch andere Suchmaschinen. Du kannst dir eine der silbernen „Suchkugeln“ nehmen, in eine der Suchmaschinen-Rampen werfen und schauen, welche Ergebniskugeln ankommen.“
Ein mechanisches Geräusch ertönt. Johanna wirft eine Kugel über die Google-Rampe in die Bahn. Unten kommen ihre silberne Suchkugel an sowie zwei rote Kugeln.
Digitalcourage: „Und jetzt wirf deine Suchkugel nochmal dort bei Startpage rein.“
Johanna wirft eine Kugel in die Startpage-Bahn. Nun kommen neben den roten Kugeln auch noch andere Farben unten an: Rot, Grün, Blau, Violett.
Johanna: „Wieso kommen denn jetzt mehr Kugeln an, also ganz andere?“
Digitalcourage: „Naja, Google versucht zu erraten, was genau dir gefällt, während Startpage dir einfach alle Ergebnisse zeigt, die zu deiner Suchanfrage passen würden.“
Johanna: „Und wieso zeigt Google mir ausgerechnet rote Kugeln?"
Digitalcourage: „Schau mal unter die Figur, die du anfangs ausgewählt hast… Von außen sind alle gold, aber unten drunter ist sie rot.“
Johanna: „Ich mag aber gar kein Rot, und außerdem habe ich mir ja gar kein Rot ausgesucht. Hätte ich auch nie.”
Digitalcourage: „Google rät eben auch nur, was dir gefallen könnte.“
Johanna: „Aber dann sehe ich ja nie die blauen Ergebnisse, egal wie oft ich suche.“
Digitalcourage: „Genau das ist das Problem: Wenn Google einmal denkt, dass dir Rot gefällt, siehst du nie blaue Kugeln. So ähnlich lässt sich das auch auf deine Suchanfragen und die Suchergebnisse übertragen: Vor allem bei Meinungen, gerade bei politischen Einstellungen, kann es passieren, dass wir gute Argumente der anderen Seite einfach nicht mitkriegen, weil die Suchergebnisse von anderen bestimmt werden.“
Johanna: „Also streiten wir uns mehr, weil Google jedem andere Dinge anzeigt.“
Was ist hier passiert?
Wir alle bewegen uns in einem gewissen Maß in sogenannten Filterblasen. Wir unterhalten uns viel lieber mit unseren Freund.innen, die ähnlich denken wie wir, als mit Fremden. Wir lesen einige Zeitungen, die unsere Haltung vertreten, lieber als andere. Aber wir brechen in der analogen Welt regelmäßig aus dieser Filterblase aus. Am Kiosk lesen wir vielleicht mal die Überschriften aller Zeitungen. Im Büro unterhalten wir uns mit politisch anders denkenden Kolleg.innen, und ein guter journalistischer Bericht im Fernsehen zeigt alle Seiten eines Themas in angebrachter Länge.
Im Internet ist das Phänomen der Filterblasen deutlich problematischer. Hier kommen zu unseren eigenen Entscheidungen Algorithmen hinzu, die „ohne darüber nachzudenken“ einfach das tun, wozu sie programmiert sind. Entscheiden wir uns nach einer Internet-Suche für einen Artikel der Zeitung A, anstatt der Zeitung B wird Zeitung B bei der nächsten Suche eher auf der zweiten Seite angezeigt. Richtig besorgniserregend wird das bei politischen Meinungen: Filterblasen verhindern das Betrachten aller Argumente, das Abwägen, die Entscheidung zu Kompromissen. Wenn wir immer nur lesen, was wir sowieso schon denken, orientieren wir uns in eine Richtung (möglicherweise bis hin zur Radikalisierung) und bekommen nicht mit, dass es abseits unserer Haltung weitere legitime Meinungen gibt.
Filterblasen verhindern also Inspiration, Moderation, Zusammenarbeit. Bildlich gesprochen: Wenn Google uns immer nur Murmeln unserer Lieblingsfarbe Rot zeigt, merken wir gar nicht, wie gut Rot und Grün zusammen aussehen (besonders zu Weihnachten) und wie sehr uns die Kombination gefällt. Nach unserer Einschätzung haben die Kinder am Mitmachstand des Medienaktiv-Festivals eindeutig verstanden, dass die grünen Kugeln, die in der Bahn „versteckt bleiben“, ein Verlust sind. Dass es nicht gut ist, einige Farben gar nicht erst zu sehen, auch wenn sie vielleicht eine bestimmte Farbe am schönsten finden.
Damit Sie nicht nur die roten Murmeln sehen, haben wir alternative Suchmaschinen vorgestellt, die versuchen, diese Probleme zu lösen.
Fazit
Wir denken, dass unsere Modelle gut vermitteln können, wie Teile der digitalen Welt funktionieren. Wenn Sie diese Modelle selbst auf einer Veranstaltung, Messe oder ähnlichem ausstellen möchten, leihen wir Ihnen die Bahn gerne aus!
Haben Sie noch weitere Ideen, welche Szenarien man mit einer Murmelbahn darstellen kann? Wir freuen uns über Ideen und Zuschriften an mail@digitalcourage.de