Unser Wunschzettel an die EU-Ratspräsidentschaft

Noch bis Ende 2020 hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Wir haben 10 Wünsche an die EU.

An den Weihnachtsmann glauben wir nicht mehr – wohl aber daran, dass engagierte Politikerinnen und Politiker ein Europa gestalten können, in dem Grundrechte hochgehalten und Privatsphäre als schützenswertes Gut gesehen wird. Bis Ende des Jahres 2020 hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Es sind also noch einige Wochen Zeit, in denen Deutschland die EU der Zukunft prägen kann. Das ist unser Wunschzettel - natürlich nicht vollständig, denn Wünsche fallen uns noch viele ein:

1. Europäischen Suchindex einrichten – Google-Konkurrenz möglich machen

Damit Suchmaschinen uns Ergebnisse liefern können, brauchen sie einen sogenannten Suchindex, ein Verzeichnis der Inhalte aller findbaren Websites. So einen Index gibt es weltweit nur vier mal: Google und Bing in den USA, Yandex in Russland und Baidu in China. Suchmaschinen sind ein wichtiges Machtinstrument: Durch sie werden Inhalte für viele Menschen sichtbar oder eben umgekehrt - unsichtbar. Ein eigener, öffentlicher Suchindex macht Europa unabhängig von den Monopolisten und viele neue, datenschutzfreundliche Suchmaschinen möglich. Die Einrichtung eines europäischen Suchindex empfiehlt auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (wbgu).

2. Reform des Wettbewerbsrechts – gegen die Allmacht der Internetgiganten

Online-Werbung, Internet-Suche, Dokumentenverwaltung, Kommunikation, Online-Shopping – in wichtigen Bereichen haben große Digitalkonzerne Monopole aufgebaut. Sie kontrollieren den Zugang zu Märkten, die Milliarden wert sind. Um die Macht dieser Internetkonzerne zu begrenzen, brauchen wir dringend ein modernes Wettbewerbsrecht für Europa. Ein deutsches Gesetz ist in Arbeit – doch damit das wirksam wird, brauchen wir eine schlagkräftige Regulierung für die ganze EU.

3. EU-weite ePrivacy-Verordnung, die tatsächlich private Kommunikation schützt

Die geplante ePrivacy-Verordnung soll eine Modernisierung des Schutzes unserer elektronischen Kommunikation sein – und umfasst alles von Telefongesprächen über E-Mails, Messenger und Online-Videochats bis hin zu Browsern oder Smartphone-Apps. Auch verräterische Metadaten von Mobiltelefonen und „Smart“-Devices, ob Auto oder Kühlschrank, sind damit gemeint. Leider enthält keiner der Entwürfe, was er verspricht: Privatsphäre. Die Regulierungslücke muss trotzdem geschlossen werden. Wir wünschen uns eine ePrivacy-Verordnung, die Standortdaten, Chatnachrichten und unsere Geräte vor Übergriffen schützt.

4. „Public Money, Public Code“ – „Öffentliches Geld? Öffentlicher Code!“

Öffentliche Stellen kaufen mit öffentlichem Geld Software ein. Der Programmcode ist aber bislang oft nicht öffentlich, sondern Geschäftsgeheimnis der Software-Firma. Verwaltungen und Behörden können Programme so weder untereinander weitergeben, noch können sie sie von unabhängigen Dritten auf Sicherheitslücken überprüfen lassen. Wir finden: Öffentlich finanzierte Software in Europa sollte Freie Software sein. Frei heißt dabei nicht gratis (wie in „Freibier“), sondern frei wie in „freie Rede“: Der Code sollte frei zu verwenden, zu verstehen, zu verteilen und zu verbessern sein.

5. Datenschutz als Wettbewerbsvorteil herausstellen

Die EU hat weltweit den höchsten Datenschutzstandard. Das ist nicht nur gut für alle EU-Bürger.innen, sondern auch für Firmen, die Wert auf ihre Betriebsgeheimnisse legen. In der Praxis wenden viele global tätige Unternehmen die strengen europäischen Regeln auch für ihre Geschäfte in anderen Länder an, um nicht zu viele unterschiedlich Gesetze im Blick haben zu müssen.
Und unsere Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) macht auch anderswo Schule: Sie hat Politiker in Kalifornien zu einem Gesetz inspiriert, das Kundendaten besser schützen soll.
Wir sollten unser hohes Datenschutzniveau deshalb nicht nur als Standortvorteil sehen und verteidigen, wir sollten es viel häufiger auch positiv präsentieren – nicht als Klotz am Bein der Wirtschaft, sondern als einflussreiches Vorzeigemodell.

6. Verschlüsselung stärken, Hintertüren verbieten

Was geheim ist, ist geheim? Leider war das in der Vergangenheit nicht selbstverständlich. Eine europäische Behörde hat den absichtlich kaputten Standard „Enterprise Transport Security“-Protokoll (ETS) für die Verschlüsselung im Internet eingeführt – und dafür 2019 einen BigBrotherAward von uns bekommen. In Deutschland nutzen Ermittlungsbehörden IT-Sicherheitslücken, um Staatstrojaner zu installieren. Statt sich selber wie Gauner zu verhalten, sollten europäische Regierungen auf starke Ende-zu-Ende-Verschlüsselung setzen und Hintertüren verbieten. Das nützt nicht nur europäischen Firmen, die ihre Forschung und Entwicklung schützen wollen. Es ermöglicht auch Bürgerinnen und Bürgern, vertraulich zu kommunizieren.

7. Digitale Souveränität Europas stärken

Ob Hardware oder Software – im Moment sind wir in vielen Bereichen abhängig von großen Firmen aus den USA; langsam kommen auch chinesische Unternehmen dazu. Dabei muss uns klar sein: Wer Hardware (wie Computerchips) oder Software baut, der kann nicht nur über den Preis seiner Produkte bestimmen, sondern auch darüber, welche ethischen Standards und Werte dabei berücksichtigt werden. Und die Interessen welcher Regierungen. Gibt es bei einer Hardware eingebaute Hintertüren, die von Herstellern, Geheimdiensten und Kriminellen genutzt werden können? Nach welchen Kriterien werden in sozialen Netzwerken Inhalte gefiltert und angezeigt? Um unsere Demokratie in Europa und unsere Grundrechte in Zukunft zu schützen, brauchen wir deshalb mehr Kontrolle über unsere IT-Infrastruktur. Beispielhafte konkrete Vorschläge dazu: Die EU könnte europäische Chipfabriken und den quelloffenen Webbrowser Firefox finanziell unterstützen (dazu ein Kommentar von Felix von Leitner auf heise.de).

8. Überwachungsmoratorium – Maßnahmen aussetzen und neu diskutieren

Während Überwachungsmaßnahmen immer weiter ausgedehnt und europaweit zusammengeführt werden, bleibt das politische Nachdenken über die Folgen dieses Überwachungsausbaus auf der Strecke. Ein Überwachungsmoratorium könnte uns die dringend benötigte Luft verschaffen, die wir für demokratische Diskussionen brauchen. Ausgesetzt und neu diskutiert werden müssen unter anderem:

9. Gesichtserkennung im öffentlichen Raum verbieten

Überwachungskameras, die nicht nur filmen, sondern auch sofort erkennen, wer da durchs Bild spaziert und ob die Person sich „verdächtig“ verhält – mindestens 15 EU-Länder haben schon mit solcher Massenüberwachung herumexperimentiert. Wird diese Technologie flächendeckend eingesetzt, dann sind viele unserer Grundrechte in Gefahr. Wer war auf der Demo, bei der Gewerkschaftsversammlung, im Gottesdienst? Wer ist wann wohin gereist und mit wem? Und wer geht mit wem in Corona-Zeiten spazieren? Solche Informationen sind dann sehr leicht verfügbar und können unter anderem Whistleblowern und politisch Aktiven das Leben schwer machen. Alle EU-Bürger.innen einem permanenten Gefühl des Beobachtet-werdens auszusetzen, widerspricht zutiefst demokratischen Grundprinzipien und darf deshalb in der EU nicht legal sein.

10. Sicherheit statt Sicherheitstheater

Ein beliebtes politisches Manöver funktioniert so:

  • Ein gesellschaftliches Problem wird benutzt, um Menschen Angst einzureden
  • Um die Angst zu beruhigen, werden Überwachungsmaßnahmen eingeführt
  • Das tatsächliche Problem bleibt bestehen

Wir nennen dieses Muster „Sicherheitstheater“, weil diese Art von Politik keinen echten Nutzen hat. Stattdessen bringt sie unsere Grundrechte in Gefahr. Wir fordern das Ende einer Sicherheitspolitik, die diesen Namen nicht verdient. Europaweit können wir gesellschaftliche Probleme nicht durch Überwachung oder Zensur lösen, sondern nur durch Investitionen z.B. in Sozialpolitik, politische Bildung, Verkehr und Infrastruktur, Umwelt und Klima oder IT-Sicherheit.